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Audio: rbb24 Inforadio | 07.08.2023 | Oda Tischewski | Quelle: imago images/Sergei Chuzavkov

Hilfe für die Ukraine

"Mittlerweile müssen wir um jede Spende kämpfen"

Vor bald anderthalb Jahren hat Russland die Ukraine überfallen. Vielen Menschen fehlt es an allem. Ehrenamtliche aus der Region wollen helfen, doch die dafür notwendigen Spenden kommen deutlich seltener. Von Oda Tischewski

"Ich werde am 25. Februar nicht mehr aufwachen. Es wäre mein 23. Geburtstag gewesen." Mit feinen schwarzen Stichen sind die Worte auf eine weiße Bluse gestickt. Einen Tag zuvor begann vergangenes Jahr der Krieg in der Ukraine. Die weißen Kleidungsstücke an der kahlen, weißen Wand eines Flures symbolisieren Menschen, die das Ende des Krieges nicht erleben werden. Wie die junge Frau, die niemals 23 Jahre alt wurde, am Tag nach dem russischen Angriff.

Chris Knickerbocker sitzt, wenige Meter von diesem textilen Mahnmal entfernt, in einem weitläufigen Raum im "Hotel Continental - Art Space in Exile". Die ehemalige Industrieanlage wird heute von vor allem von Künstlerinnen und Künstlern genutzt. Zwischen Second-Hand-Möbeln und einer Küchenzeile befindet sich hier die Zentrale von Berlin to Borders. Der Verein sammelt Geld- und Sachspenden und organisiert Transporte in die Ukraine.

Quelle: rbb/Oda Tischewski

Der Deutsch-Amerikaner mit dem schwäbischen Dialekt und seine Mitstreiterinnen und Mitstreitern – Menschen aus der Ukraine, Argentinien, Deutschland – haben sich um einen runden Esstisch versammelt. Konzentriert und sachlich wird beratschlagt: 7.000 Euro stehen zur Verfügung, um Baumaterialien zu kaufen. Damit sollen im Krieg zerstörte Häuser wieder aufgebaut werden. In diesem Fall lohnt es sich, direkt in der Ukraine einzukaufen – weniger logistischer Aufwand, keine Zollgebühren und deutlich billiger ist es auch.

Hygieneartikel, Erste-Hilfe-Kits, Leichensäcke

Eigentlich ist Knickerbocker Fotograf. Hochzeiten oder Autos sind meist seine Motive. Seit Kriegsbeginn schafft er nur noch wenige Aufträge, stattdessen sammelt er Spenden und verteilt sie an Kontakte in der Ukraine. Menschen, die vor Ort sind und wissen, was gebraucht wird. Keine zerfledderten Wintermäntel oder kaputten Spielsachen, sondern ganz handfeste Notwendigkeiten, an die die wenigsten denken. Inkontinenzeinlagen für Pflegeheime. Erste-Hilfe-Kästen, die hier keinen Tüv mehr überstehen, an der Front aber Leben retten können. Oder Leichensäcke. "Die gibt es in weiß und in schwarz", sagt Knickerbocker. "Weiß für die Krankenhäuser, die Schwarzen für die Front. Die kann man besser verstecken."

Tagebuch (24): Ukraine im Krieg

"Er sah die Minen nicht. Er hielt sie für Steinchen oder Äste."

Maria sitzt im Keller, zwei Wochen lang. Oben detonieren Bomben. Unserer Autorin Natalija Yefimkina schildert die 18-Jährige ihre Flucht aus Mariupol - über verminte Straßen, durch russische Filtrationslager und quer durch die Front.

Vor einem Jahr war das Spendensammeln einfacher. Kurz nach Kriegsbeginn schwappte eine Welle der Hilfsbereitschaft über Deutschland, Rekordsummen wurden gespendet. Laut einer Umfrage des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) wurden im vergangenen Jahr 13 Milliarden Euro für gemeinnützige Zwecke gespendet [dzi.de]. Davon gingen 1,012 Milliarden für die Nothilfe zugunsten der vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen - laut DZI die höchste Summe, die jemals für einen einzelnen Hilfszweck zusammenkam.

Doch diese Welle ist gebrochen. "Die Spendenbereitschaft hat stark nachgelassen", erzählt Knickerbocker. "Mittlerweile müssen wir um jede Spende kämpfen. Einige spenden immer wieder, aber es kommen kaum neue Leute dazu." Einerseits können er das verstehen, sagt er. Schließlich sei das Leben durch die Inflation auch in Deutschland teurer geworden. "Aber auch die Sachen, die hier nicht mehr gebraucht werden, können wir meistens noch verwenden." Im Juni, als in Cherson der Kachowka-Staudamm brach, stiegen die Spenden vorübergehend an, auch bei den großen Hilfsorganisationen.

Vielen bleibt nur das Rad

Einige Kilometer entfernt, in Marzahn, hat die Immobiliengesellschagft GSG den Helfern von Berlin to Borders einen Lagerraum zur Verfügung gestellt. Der 400 Quadratmeter große Raum ist mit Gittern in einzelne, abschließbare Bereiche unterteilt. Als Sicherheitsvorkehrung sei dies notwendig. In einem früheren Quartier gab es immer wieder Schwierigkeiten.

"Wir hatten insgesamt drei Einbrüche", so Chris Knickerbocker. Bei den ersten beiden seien Spenden gestohlen worden, beim letzten allerdings ging es um bloße Zerstörung. "Wir hatten eine Aktion, 'Weihnachten im Schuhkarton', wir haben Schuhkartons gepackt, für Schüler in der Ukraine – mit Schokolade. Das wurde alles aufgerissen, zerfetzt, durch die Gegend geworfen. Das hat uns damals sehr wütend gemacht, wütend und traurig."

Jetzt schickt Berlin to Borders von Marzahn aus Hilfsgüter in die Ukraine. Gerade ist ein Transport mit 44 gebrauchten Fahrrädern auf dem Weg nach Kiew. Von dort werden sie weiter verteilt, in Regionen, die die ukrainische Armee von den Russen zurückerobern konnte. Dort gibt es kaum noch Infrastruktur, die Straßen sind zerstört, Busse und Bahnen fahren nicht mehr, Treibstoff ist knapp und teuer. Da bleibt oft nur das Rad.

Quelle: rbb/Oda Tischewski

"Es braucht unsere ganze Kreativität und Kraft"

Auch bei den Aktivistinnen und Aktivisten von Vitsche gehen aktuell nur noch schleppend Spenden ein. Der ukrainische Begriff geht zurück bis ins Mittelalter und bezeichnet eine Art Bürgerrat, in dem demokratisch Entscheidungen für die Gemeinschaft getroffen werden. In der Gruppe haben sich vor allem Berliner Exil-Ukrainerinnen und -Ukrainer zusammengefunden, die ihre Landsleute unterstützen wollen. Von ihrem Kreuzberger Büro aus, einem Raum voller Flyer, Transparente und Plakate, organisieren sie Demonstrationen und Infoveranstaltungen, Ausstellungen und Musikfestivals. Aufmerksamkeit für die Ukraine, das ist Vitsches Ziel.

"Wir selbst leisten keine humanitäre Hilfe", sagt Iryna Shulikina, "aber wir unterstützen deutsche und ukrainische Organisationen, die das professionell machen. Und wir bieten informationelle Spendenkampagnen an und organisieren Veranstaltungen, wo Geld für gute Zwecke gesammelt wird." Einfach sei das nicht, trotz des vielen Aufwandes. "Es braucht unsere ganze Kreativität und Kraft, Leute zu mobilisieren, dass sie Hilfe leisten."

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.08.2023, 9:10 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

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