Theaterpreis für Nele Hertling - Die Jeanne d'Arc des Off-Theaters

Sa 11.05.24 | 08:11 Uhr | Von Barbara Behrendt
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Archivbild: Kulturmacherin Nele Hertling. (Quelle: imago images/Funke)
Audio: Inforadio | 11.05.2024 | Barbara Behrendt | Bild: imago images/Funke

Nele Hertling gilt als die "Grande Dame der Freien Szene" - gleichzeitig ist sie auch deren Erfinderin. Jetzt wird der Kuratorin, Dramaturgin und Intendantin der Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung verliehen. Von Barbara Behrendt

Wann immer der Name Nele Hertling fällt, ist nicht nur die Hochachtung groß, sondern auch die Sympathie für diese Jeanne d’Arc der Freien Theater- und Tanzszene. Nele Hertling gilt als kluge, couragierte, freundliche und gänzlich uneitle Person. Unbestechlich und zielstrebig. Bei ihr steht die Kunst im Zentrum. Nicht das Festival, nicht der Erfolg, das Geld oder die Publikumsresonanz. Eine seltene Eigenschaft.

Hortensia Völckers, ehemalige Leiterin der Bundeskulturstiftung, beschreibt die Zusammenarbeit mit ihr so: "Sie schlug sich, genau wie ich, mit sehr vielen Männern herum. Ich konnte sehen, mit wie viel Eleganz sie doch sehr genau durchsetzte, was sie wollte – und das war eindrucksvoll."

"Sie bekam alles, was sie wollte."

Doch da gibt es auch eine andere Nele Hertling, so Völckers: "Später, als ich auf der Förderseite war, habe ich eine andere Nele kennengelernt. Auch wieder elegant. Aber so stur! Unglaublich! Ich sagte zum Beispiel: Nein, das finde ich schrecklich, was ihr da mit dem Tanz vorhabt, warum müsst ihr das machen? Und sie ließ das alles über sich ergehen und fing wieder von vorne an. Und nach dem dritten Mal habe ich gedacht: Na, gut, dann macht es eben so. Sie bekam alles, was sie wollte. Und das muss man erst mal machen."

In Berlin wurde Nele Hertling als Nele Schröder 1934 in eine Zeit der politischen Katastrophen hineingeboren. Ihre jüdische Mutter war Musikwissenschaftlerin und Pianistin und hatte unter den Nazis Berufsverbot, der Vater, Komponist, aus politischen Gründen ebenfalls.

Sie hat die Freie Szene in Berlin erfunden

Nele Hertling hat die Freie Szene in Berlin nicht nur geprägt – sie hat sie erfunden. Als sie in den 1960er Jahren zur Akademie der Künste kam (noch heute ist sie hier Direktorin der Sektion Darstellende Kunst), gab es für die Freie Szene weder Budget noch Auftrittsmöglichkeiten. Mit dem Festival "Pantomime Musik Tanz Theater" gründete Hertling das wichtigste internationale Performance-Festival der 1970er und 1980er Jahre. Später folgte die Gründung des größten internationalen Tanzfestivals in Deutschland: "Tanz im August". Hertling sorgte außerdem dafür, dass Berlin das erste Theater für die internationale Performance-Kunst bekam: Das Hebbel Theater am Ufer, das sie 14 Jahre lang leitete.

Legendär sind ihr kollegialer Führungsstil und das gemeinsame Mittagessen, das sie am HAU einführte. Jeden Tag kochte jemand aus dem Team für alle, Hertling erzählte von ihren Treffen mit Künstlern und Politikern – alles lag offen auf dem Tisch.

Hertling entdeckte Robert Wilson für Berlin

Sie entdeckte zudem viele wichtige internationale Künstler:innen für Berlin. Sie war die erste, die Trisha Brown oder die Wooster Group aus New York nach Europa einlud. Sie hat Robert Wilson bekannt gemacht, Merce Cunningham, Lucinda Childs, Boris Charmatz, Jan Fabre – um nur einige zu nennen. Doch sie wollte nicht nur die Avantgarde-Kunst nach Berlin bringen, sondern hier auch neue Werke mit diesen Künster:innen erschaffen. "Eine Motivation war, den Politikern klarzumachen: Solche fantastische Kunst könnt ihr auch in Berlin erzeugen, wenn die Strukturen dafür geschaffen werden", erinnert sie sich.

Viel Gegenwind von der Presse

Dafür hat sie sich mit Produktionshäusern etwa in Salzburg, Amsterdam und Brüssel zusammengetan, von Außenstehenden bald als "die Mafia" bezeichnet, als sei hier tatsächlich großes Geld im Umlauf. Von der Presse kam viel Gegenwind: Am Anfang, erzählte Hertling vor einiger Zeit bei der Präsentation des Buchs "Ins Offene" (darin berichten Weggefährt:innen über die Zusammenarbeit mit Hertling), sei sie beschimpft worden. Zum Beispiel: Wie könne man in so einem schönen alten Berliner Haus, gemeint ist das Hebbel Theater, fremde Sprachen aufführen? Das passe doch nicht! Hertling hatte sich gegen viele Widerstände durchzusetzen.

Die Kunst, sagt Nele Hertling, ist ihr Kraftfeld. Und mit den Mitteln von Kunst und Kulturinstitutionen, das ist ihre Überzeugung, kann man zu einer gerechteren Welt beitragen. Noch heute, mit 90 Jahren, treibt diese überzeugte Europäerin internationale Kunstprojekte voran. Jetzt wird ihr, mehr als verdient, der Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung verliehen.

Sendung: Inforadio, 10.05.2024, 08:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

3 Kommentare

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  1. 3.

    So eine tolle Vorreiterin!

  2. 2.

    Tolle Frau und alle Achtung - da können sich viele Frauen ne Scheibe abschneiden! Sorry, natürlich auch die Männer!

    I can't get no

  3. 1.

    Danke und Chapeau, Nele Hertling!

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