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Audio: rbb24 Inforadio | 23.01.2023 | Sebastian Schöbel | Quelle: DPA/Soeren Stache

Wahlkampf

Grüne und SPD beharken sich vor Berliner Wirtschaftsvertretern

IHK und Handwerkskammer haben alle Spitzenkandidaten vor der Wiederholungswahl zum Streitgespräch gebeten. Gezofft wurde sich auch – aber vor allem innerhalb der regierenden Koalition. Von Sebastian Schöbel

Dass es zwischen SPD, Grünen und Linken aktuell nicht besonders harmonisch läuft, hätte man auch vor der Spitzenkandidatenrunde im Ludwig-Erhard-Haus am Montag wissen können. Eingeladen hatten Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer, es sollte um die wichtigsten Probleme der Berliner Wirtschaft vor der Wiederholungswahl gehen. Dass dann aber gleich beim ersten Thema der Gesprächsrunde die rot-grün-roten Dissonanzen deutlich zutage treten, kam überraschend.

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Jarasch kassiert die Verwaltungsreform - vorerst

Gerade hatte SPD-Regierungschefin Franziska Giffey verkündet, dass der Senat am 7. Februar seine Eckpunkte für eine Verwaltungsreform beschließen. "Starke Bezirke, klare Zuständigkeitsregelungen und eine gesamtstädtische Steuerung", fasste Giffey zusammen. Eine delikate Mischung aus effizienter Zentralisierung und bezirklicher Selbstkontrolle. Seit November werde daran gearbeitet, und "natürlich" habe ihre Senatskanzlei dabei den Hut auf, so Giffey. Die Senatskolleg:innen sollten also "mal in den Poststapel gucken", das Papier sei im Umlauf. Es gebe "keinen Grund, warum das jetzt nicht am 7. Februar passieren sollte."

Doch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch grätschte unsanft dazwischen. Man habe doch vereinbart, die Bürgermeister der Bezirke bei der Entscheidung einzubeziehen. "Ich sehe nicht, dass wir das jetzt einfach beschließen, ohne dass wir mit den Bezirken gesprochen haben." Man habe jetzt gute Grundlagen geschaffen, sagte Jarasch, nun gehe man auf die Bezirke zu. "Es wird dann halt nach der Wahl sein müssen." Giffeys eisiger Blick verriet, was in ihr vorging.

Klaus Lederer, der Dritte im Koalitionsbunde, versuchte noch schnell, das Thema zu wechseln: Personalmangel in der Verwaltung sei sowieso das akutere Problem. Doch Giffey ließ nicht locker. Man rede seit einem Jahr mit den Bezirken über die Verwaltungsreform, und werde das auch weiter tun – nach Beschluss des Senats. "Das ist das ganz normale Verfahren, alles im Plan."

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Giffeys Retourkutsche bei der Verkehrspolitik

Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass sich die Koalitionspartner auf offener Bühne beharkten. Als die Sprache später auf die Mobilitätswende kam, revanchierte sich Giffey bei Jarasch. Verkehrspolitik dürfe keine Klientelpolitik werden, so die SPD-Spitzenkandidatin – und machte umgehend klar, wer gemeint war. "Parkplatzreduzierung um die Hälfte und 30 km/h in der ganzen Stadt" seien keine "individuellen, passgenauen" Lösungen, sondern würden die Stadtgesellschaft spalten. Ein unmissverständlicher Seitenhieb auf die Grünen und Jarasch. "War ja fast ein Appell an neue Koalitionspartner", freute sich FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja unter viel Gelächter und Applaus.

Die Koalitionäre hingegen lachten nicht. Im Gegenteil: Beim Streit um den Weiterbau der A100 wurde es nochmal hitzig. Jarasch warf Giffey unverhohlen vor, den Weiterbau der bei Grünen und Linken unbeliebten Autobahn insgeheim zu befürworten, gegen den Beschluss ihrer eigenen Partei und den Koalitionsvertrag. "Man kann ja Koalitionspartner wechseln wollen, wie Franziska Giffey immer wieder tut, aber es gibt einen Koalitionsvertrag." Da fiel ihr die Regierende Bürgermeisterin genervt ins Wort. "Ich habe für die SPD gesprochen. Ich mache keinen Koalitionswahlkampf." Und überhaupt sei die Vereinbarung, den 17. Bauabschnitt der A100 nicht voranzutreiben, auch für sie verbindlich.

Lederer stichelt gegen CDU und FDP

Dass Giffey Grünen und Linken eventuell doch von der Fahne geht, scheint derweil vor allem die Linken umzutreiben. Ihr Spitzenkandidat Klaus Lederer jedenfalls arbeitete sich auffällig offensiv an den möglichen Partnern einer Deutschland-Koalition ab. CDU-Chef Wegner warf er vor, "dicke Backen“ zu machen, trotz früherer Regierungsbeteiligung der Christdemokraten. "Ich weiß nicht, was du gefrühstückt hast", rief Wegner irgendwann entnervt dazwischen.

Und FDP-Mann Czaja musste sich beim Streit über die Ausbildungsplatzabgabe, die die Linken für Unternehmen einführen wollen, anhören: "Ich verstehe schon, dass eine Partei, die Sorge hat, die 5 Prozent zu schaffen, jetzt ihre eigene Klientel powern muss." Czaja musste nicht antworten, das tat das Publikum im Saal mit einem betretenen Raunen.

Wahlthemen-Check

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Weitgehend unbeteiligt - auch wegen der deutlich kürzeren Redezeit, war AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker. Sie geriet nur kurz in den Fokus, bei kritischen Nachfragen zur Einwanderungspolitik ihrer Partei. "Ungeregelte Einwanderung hat dazu geführt, dass eben nicht nur Fachkräfte kommen", so Brinker. "Fachkräfte sind nötig, aber man muss es steuern."

Woraufhin Jarasch zurückkeilte: Was die AfD als ungeregelte Einwanderung bezeichne, würden andere Flucht und Recht auf Asyl nennen.

Am Ende einer lebhaften Gesprächsrunde bleibt festzuhalten: Eigentlich trennt die Berliner Parteien in der Wirtschaftspolitik gar nicht so viel – anders als bei der Wohnungs- oder Verkehrspolitik. Dass Genehmigungen schneller erteilt, Kinder und Jugendliche besser ausgebildet und Fachkräfte angeworben werden müssen, darin sind sich alle einig. Dass die Unternehmen in der Krise Hilfe brauchen, ist ebenfalls unstrittig. Deutlich mehr Sprengstoff steckt in der Frage, wer all die Ideen nach dem 12. Februar miteinander überhaupt umsetzen kann.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.01.2023, 15 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

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