Wahlkampf - Grüne und SPD beharken sich vor Berliner Wirtschaftsvertretern

Mo 23.01.23 | 18:26 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Franziska Giffey (l, SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, neben Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen), Berliner Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (Quelle: DPA/Soeren Stache)
Audio: rbb24 Inforadio | 23.01.2023 | Sebastian Schöbel | Bild: DPA/Soeren Stache

IHK und Handwerkskammer haben alle Spitzenkandidaten vor der Wiederholungswahl zum Streitgespräch gebeten. Gezofft wurde sich auch – aber vor allem innerhalb der regierenden Koalition. Von Sebastian Schöbel

Dass es zwischen SPD, Grünen und Linken aktuell nicht besonders harmonisch läuft, hätte man auch vor der Spitzenkandidatenrunde im Ludwig-Erhard-Haus am Montag wissen können. Eingeladen hatten Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer, es sollte um die wichtigsten Probleme der Berliner Wirtschaft vor der Wiederholungswahl gehen. Dass dann aber gleich beim ersten Thema der Gesprächsrunde die rot-grün-roten Dissonanzen deutlich zutage treten, kam überraschend.

Jarasch kassiert die Verwaltungsreform - vorerst

Gerade hatte SPD-Regierungschefin Franziska Giffey verkündet, dass der Senat am 7. Februar seine Eckpunkte für eine Verwaltungsreform beschließen. "Starke Bezirke, klare Zuständigkeitsregelungen und eine gesamtstädtische Steuerung", fasste Giffey zusammen. Eine delikate Mischung aus effizienter Zentralisierung und bezirklicher Selbstkontrolle. Seit November werde daran gearbeitet, und "natürlich" habe ihre Senatskanzlei dabei den Hut auf, so Giffey. Die Senatskolleg:innen sollten also "mal in den Poststapel gucken", das Papier sei im Umlauf. Es gebe "keinen Grund, warum das jetzt nicht am 7. Februar passieren sollte."

Doch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch grätschte unsanft dazwischen. Man habe doch vereinbart, die Bürgermeister der Bezirke bei der Entscheidung einzubeziehen. "Ich sehe nicht, dass wir das jetzt einfach beschließen, ohne dass wir mit den Bezirken gesprochen haben." Man habe jetzt gute Grundlagen geschaffen, sagte Jarasch, nun gehe man auf die Bezirke zu. "Es wird dann halt nach der Wahl sein müssen." Giffeys eisiger Blick verriet, was in ihr vorging.

Klaus Lederer, der Dritte im Koalitionsbunde, versuchte noch schnell, das Thema zu wechseln: Personalmangel in der Verwaltung sei sowieso das akutere Problem. Doch Giffey ließ nicht locker. Man rede seit einem Jahr mit den Bezirken über die Verwaltungsreform, und werde das auch weiter tun – nach Beschluss des Senats. "Das ist das ganz normale Verfahren, alles im Plan."

Giffeys Retourkutsche bei der Verkehrspolitik

Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass sich die Koalitionspartner auf offener Bühne beharkten. Als die Sprache später auf die Mobilitätswende kam, revanchierte sich Giffey bei Jarasch. Verkehrspolitik dürfe keine Klientelpolitik werden, so die SPD-Spitzenkandidatin – und machte umgehend klar, wer gemeint war. "Parkplatzreduzierung um die Hälfte und 30 km/h in der ganzen Stadt" seien keine "individuellen, passgenauen" Lösungen, sondern würden die Stadtgesellschaft spalten. Ein unmissverständlicher Seitenhieb auf die Grünen und Jarasch. "War ja fast ein Appell an neue Koalitionspartner", freute sich FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja unter viel Gelächter und Applaus.

Die Koalitionäre hingegen lachten nicht. Im Gegenteil: Beim Streit um den Weiterbau der A100 wurde es nochmal hitzig. Jarasch warf Giffey unverhohlen vor, den Weiterbau der bei Grünen und Linken unbeliebten Autobahn insgeheim zu befürworten, gegen den Beschluss ihrer eigenen Partei und den Koalitionsvertrag. "Man kann ja Koalitionspartner wechseln wollen, wie Franziska Giffey immer wieder tut, aber es gibt einen Koalitionsvertrag." Da fiel ihr die Regierende Bürgermeisterin genervt ins Wort. "Ich habe für die SPD gesprochen. Ich mache keinen Koalitionswahlkampf." Und überhaupt sei die Vereinbarung, den 17. Bauabschnitt der A100 nicht voranzutreiben, auch für sie verbindlich.

Lederer stichelt gegen CDU und FDP

Dass Giffey Grünen und Linken eventuell doch von der Fahne geht, scheint derweil vor allem die Linken umzutreiben. Ihr Spitzenkandidat Klaus Lederer jedenfalls arbeitete sich auffällig offensiv an den möglichen Partnern einer Deutschland-Koalition ab. CDU-Chef Wegner warf er vor, "dicke Backen“ zu machen, trotz früherer Regierungsbeteiligung der Christdemokraten. "Ich weiß nicht, was du gefrühstückt hast", rief Wegner irgendwann entnervt dazwischen.

Und FDP-Mann Czaja musste sich beim Streit über die Ausbildungsplatzabgabe, die die Linken für Unternehmen einführen wollen, anhören: "Ich verstehe schon, dass eine Partei, die Sorge hat, die 5 Prozent zu schaffen, jetzt ihre eigene Klientel powern muss." Czaja musste nicht antworten, das tat das Publikum im Saal mit einem betretenen Raunen.

Weitgehend unbeteiligt - auch wegen der deutlich kürzeren Redezeit, war AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker. Sie geriet nur kurz in den Fokus, bei kritischen Nachfragen zur Einwanderungspolitik ihrer Partei. "Ungeregelte Einwanderung hat dazu geführt, dass eben nicht nur Fachkräfte kommen", so Brinker. "Fachkräfte sind nötig, aber man muss es steuern."

Woraufhin Jarasch zurückkeilte: Was die AfD als ungeregelte Einwanderung bezeichne, würden andere Flucht und Recht auf Asyl nennen.

Am Ende einer lebhaften Gesprächsrunde bleibt festzuhalten: Eigentlich trennt die Berliner Parteien in der Wirtschaftspolitik gar nicht so viel – anders als bei der Wohnungs- oder Verkehrspolitik. Dass Genehmigungen schneller erteilt, Kinder und Jugendliche besser ausgebildet und Fachkräfte angeworben werden müssen, darin sind sich alle einig. Dass die Unternehmen in der Krise Hilfe brauchen, ist ebenfalls unstrittig. Deutlich mehr Sprengstoff steckt in der Frage, wer all die Ideen nach dem 12. Februar miteinander überhaupt umsetzen kann.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.01.2023, 15 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

56 Kommentare

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  1. 55.

    Sie unterstellen also der Verkehrsenatorin Lügen?

  2. 54.

    Toller Beitrag.
    Danke dafür!

  3. 53.

    "Immer wieder stellen Sie zurückhaltende (das Gegenteil von extrem) liberale Meinungen in „die rechte Ecke“?" Ich benenne Rechtsextreme nach ihren Taten und Worten. Und "Steffen" posaunt gerne AfD Parolen. Außerdem zeugt es davon wie sehr ihr moralischer und politischer Kompass falsch anzeigt.

    "Wollen Sie nicht sehen, dass es Berlin immer dann gut ging, wenn liberalere Auffassungen mitregiert haben?"

    Das ist eine glatte Lüge, da ich Senate mit FDP Beteiligung noch sehr gut kenne. Es waren ja auch nicht wenige Bau- und Bestechungsskandale. Wahrscheinlich sind sie zu jung dafüt oder lügen sich die Hucke voll. Außerdem verwechseln sie liberal mit neoliberal und rechtsextrem.

    "Man hat bei Ihnen den Eindruck, dass Ihnen ein graues Berlin mit Gleichschaltung besser gefällt. Nur, die Menschen wollen nicht alle gleich arm sein. Da gibt es starke Belege seit 1989 für. "

    Gleichschaltung? Nein. Aber ich bin dagegen dass sich eine Minderheit die Stadt zur Beute macht.

  4. 52.

    Tatsächlich bewegte RR einst einiges. Sie verschacherten öff. Wohnungsbaugesellschaften für'n Appel und'n Ei, schafften die Lernmittelfreiheit an Schulen ab und schwangen sich zum Bauherrn der BER auf, um über 8 Mrd. € Mehrkosten in den Sand zu setzen. Richtig also, in der Schadenbilanz steht RR ganz vorn. Aber RGR/RRG/GRR ist schon nah dran das aufzuholen. Vorwärts ...

  5. 51.

    Schon lustig wie hier argumentiert wird. Wie ist es denn dazu gekommen. Überteuerte und marode übernahmen von DDR bauten diesbezüglich Sanierungen von Wohnungen die eigentlich abgerissen hätten werden sollen. Nie wieder linke Klientelpolitik weder von den Linken noch von den Grünen. Dann lieber CDU, SPD und FDP denn armselig ist nicht sexy.

  6. 50.

    Und die Zahl haben sie woher? Gerade frei erfunden? Fakten vs. Fake News!

    "Eine im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums durchgeführte Befragung ergibt dasselbe Bild: Demnach besitzen deutlich mehr als 70 Prozent der Berliner Haushalte mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 500–1.500 Euro im Monat kein Auto, bei einem Einkommen von bis zu 2.000 Euro sind es 62 Prozent und selbst bei bis zu 3.000 Euro hat die Mehrheit von 55 Prozent kein eigenes Auto. Erst von den Menschen, die in Berlin mehr als 3.000 Euro pro Monat verdienen, hat die Mehrheit ein (oder mehrere) eigene Auto(s)."

    https://changing-cities.org/wer-in-berlin-auto-faehrt-ist-selten-arm/

  7. 49.

    Und die Zahl haben sie woher? Gerade frei erfunden?

    "Eine im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums durchgeführte Befragung ergibt dasselbe Bild: Demnach besitzen deutlich mehr als 70 Prozent der Berliner Haushalte mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 500–1.500 Euro im Monat kein Auto, bei einem Einkommen von bis zu 2.000 Euro sind es 62 Prozent und selbst bei bis zu 3.000 Euro hat die Mehrheit von 55 Prozent kein eigenes Auto. Erst von den Menschen, die in Berlin mehr als 3.000 Euro pro Monat verdienen, hat die Mehrheit ein (oder mehrere) eigene Auto(s)."

    https://changing-cities.org/wer-in-berlin-auto-faehrt-ist-selten-arm/

  8. 48.

    Griffey und Jarrasch mögen sich nicht

  9. 47.

    Wer stellte doch gleich den Bausenatierenden und den Bezirksbürgermeister, als due Entscheidung zur Coral World gefallen ist?

  10. 46.

    Genau, 50% der Haushalte in Berlin haben ein Auto - dass ist ja voll die Minderheit! Oder auch nicht.

  11. 45.

    Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum es Bundes-Autobahn heisst und nicht Landes-Autobahn?

  12. 44.

    "Es wird mal wieder Zeit, dass die CDU mit der SPD gemeinsam Berlin lenkt. Raus aus der grün-linken Sackgasse."

    WIE BITTE? Schon vergessen was cDU und spD nach dem Bankenskandal angerichtet haben? Erst stürzt die cDU unter Diepgen und Landowsky Berlin in ein Milliardengrab, dann geht der Steigbügelhalter der sPD wieder eine Koalition mit den Verursachern ein, nachdem man sich mit Grünen und Linke überworfen hatte.

    Die Folge waren jahrelanger Stillstand, ja Agonie.

    Ich bin zwar nicht der Meinung von Gerd aber alles ist besser als cDU oder gar FDP.

  13. 43.

    Ja, das wäre auf alle Fälle besser als diese rein ideologische Anti-Auto-Hysterie. Die Bevölkerung altert immer mehr, da brauchen wir bessere Antworten als nur das Fahrrad. Dieses beantwortet die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft nämlich nur unzureichend.

  14. 42.

    Das befürchte ich auch. Und wenn dann Berlin auch noch weiter nach Links ableiten würde, haben wir dann bestimmt auch bald die letzten Leistungswilligen aus Berlin vertrieben.Berlin verdient eine bessere Zukunft!

  15. 40.

    Warum machen Sie das? Immer wieder stellen Sie zurückhaltende (das Gegenteil von extrem) liberale Meinungen in „die rechte Ecke“? Wollen Sie nicht sehen, dass es Berlin immer dann gut ging, wenn liberalere Auffassungen mitregiert haben? Man hat bei Ihnen den Eindruck, dass Ihnen ein graues Berlin mit Gleichschaltung besser gefällt. Nur, die Menschen wollen nicht alle gleich arm sein. Da gibt es starke Belege seit 1989 für.

  16. 39.

    Ihre „Lageeinschätzung“ ist falsch. In allem.
    Aber hier geht es um Wahlen. Die Demokratie ist stark in allen Stadtteilen. Die Ränder der Gesellschaft bleiben am Rand. Vor allem die „Extrem:innen“.
    Wer völlig unvorhersehbar (!) eine Diktatur zu Fall bringen kann, friedlich, der kann so einiges....gegen Spaßverderber und graues Einerlei machen.

  17. 38.

    "Darf ich daran erinnern, daß die Brüder und Schwestern im Osten es waren, die ein ganzes System zum Einsturz brachten?
    Bei wie vielen Revolutionen waren SIE denn maßgeblich beteiligt? "

    Revolution? Wie naiv! Es war ein wirtschaftlicher Zusammenbruch und immer mehr Leute haben "rübergemacht". Als das nicht mehr zu übertünschen war haben die Menschen protestiert. Da konnte man nichts mehr zum Einsturz bringen. Das war unübersehbar, jeder hatte einen Nachbarn oder Arbeitskollegen, der nicht mehr da war.

    Hätten hohe Entscheidungsträger bei Militär und Stasi nicht ein Einsehen gehabt dass der Staat nicht mehr zu retten ist hätte das blutig ausgehen können. Die Pläne waren vorhanden.

    Ich will den Mut der Menschen der ersten Montagsdemonstrationen nicht kleinreden, aber wäre Strauß, seine Amigos und sein Duzfreund Schalck-Golodkowski nicht gewesen wäre die DDR schon 10 Jahre vorher zusammengebrochen.

  18. 37.

    Meinen Sie mit Minderheitenpolitik die Mehrheit der Berliner Haushalte die garkein Auto besitzen? ;) Die Flächen müssen gerecht verteilt werden. Daher muss dem PKW-Verkehr Fläche genommen werden und Fahrrad, Fußgängern und ÖPNV zur Verfügung gestellt werden. Parteien die eine Autobahn durch einen lebendigen Kiez prügeln wollen, wie CDU oder FDP, sind unwählbar.

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