Interview | Trainer-Original aus Film "Die Schwimmerinnen" - "Im Film bin ich der immer Lächelnde - aber ich habe oft ins Kissen geschrien"

Fr 09.12.22 | 16:26 Uhr
Sara Mardini, Sven Spannekrebs und Yusra Mardini (Quelle: imago images)
Bild: imago images

Die Mardini-Schwestern flohen aus Syrien und wurden von den Wasserfreunden Spandau aufgenommen. Jetzt wurde ihre Geschichte verfilmt. Matthias Schweighöfer spielt den Trainer Spannekrebs. Der war bei den Dreharbeiten ebenfalls gefordert, wie er berichtet.

Es ist eine gewaltige Geschichte. Sie handelt vom Krieg in Syrien und den beiden Schwestern Yusra und Sarah Mardini, die auf der Flucht übers Meer ihre Schwimmfähigkeiten einsetzten, um ein überfülltes Schlauchboot vor dem Untergehen zu bewahren. Und sie handelt von der geglückten Qualifikation für die Olympischen Spiele als Teil des "Refugee Olympic Team".

Nun wurde die Geschichte verfilmt ("Die Schwimmerinnen", seit 23. November auf Netflix). Mittendrin: Der damalige Schwimmtrainer der Schwestern, Sven Spannekrebs (Wasserfreunde Spandau 04). Im Film wird er von Matthias Schweighöfer gespielt. Wer genau hinschaut, kann aber auch den echten Spannekrebs sehen: als freiwilligen Helfer, der die aus dem Bus austeigenden Geflüchteten mit den Worten: "Willkommen in Berlin!" begrüßt.

Wie Spannekrebs die Dreharbeiten erlebt hat, erzählt er im Interview mit rbb|24.

rbb|24: Wie Sie und die beiden Mardini-Schwestern sich im Jahr 2015 kennenlernten wird im Film "Die Schwimmerinnen" recht verdichtet dargestellt: Yusra und Sarah kommen da an das Trainingsbecken von Spandau 04 und wenden sich direkt an Sie: "Wir würden gern für Ihren Verein schwimmen." Wie trug es sich tatsächlich zu?

Sven Spannekrebs: Als Yusra und Sarah in Berlin ankamen, waren sie zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Spandau. Dort erzählten sie einem freiwilligen Helfer, dass sie in Syrien geschwommen seien und damit gerne weitermachen wollen. Er kontaktierte dann unsere Geschäftsstelle, woraufhin unsere Cheftrainerin, Renate Stamm, die beiden zu einem Training einlud und mir ebenfalls Bescheid gab.

War Ihnen direkt klar, dass es sich bei den aus Syrien geflüchteten Schwestern um Elite-Schwimmerinnen handelte?

Nicht als sie ankamen. Aber als sie dann im Wasser waren, habe ich schon gemerkt, dass die beiden sehr gut trainiert waren. So etwas sieht man erst im Wasser. Ich selber war ja auch im Leistungssport unterwegs, habe viel Nachwuchs trainiert. Bei der Technik im Wasser konnte ich erkennen, dass Yusra und Sarah nicht nur Gelegenheits-Schwimmerinnen waren.

Im Film werden Sie dargestellt von Matthias Schweighöfer. Wie liefen die Vorgespräche?

Ich habe Matthias einmal für zwei Stunden in Berlin getroffen, bevor es für ihn nach London ging, wo die Szenen mit ihm gedreht wurden. Da haben wir natürlich auch über konkrete sportbezogene Dinge gesprochen: Etwa, wie verhält sich ein Trainer am Beckenrand?

Finden Sie, das hat er gut umgesetzt?

Ich finde, er hat es perfekt getroffen. Aber natürlich kann der Film nicht alle Facetten darstellen. Im Film bin ich der immer Lächelnde, nach vorne Blickende. Ich kann aber sagen, dass es in dem Jahr 2016 viele Momente gab, in denen ich auch mal ins Kissen geschrien habe.

Welche Momente meinen Sie?

Ich denke da ans nächtliche Schlangestehen beim BAMF (Anm.: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), wo wir dann um 01:30 Uhr bei Minusgraden und Schneetreiben bis um elf Uhr standen, um einen Termin für eine Anhörung zu bekommen.

Wie fühlt es sich nun für Sie an, sich als tragende Rolle in einem weltweit millionenfach geschauten Film zu sehen?

Es ist herausfordernd, weil das Ganze etwas ist, was man so wahrscheinlich nur einmal im Leben hat. Aber die Geschichte ist ja nicht in der Voraussicht passiert, dass es irgendwann mal einen Kinofilm darüber gibt. Sondern die Mädchen und ich haben uns einfach sehr gut verstanden, alles andere ist dann daraus entstanden, bis heute. Wir hatten keinen großen Plan. Wenn man das jetzt sieht, ist es surreal für uns alle. Wir begreifen noch nicht, was es bedeutet, dass wir Teil eines Films sind, der auf Netflix zeitweise der am zweitmeisten gesehene der Welt war.

Stimmt es, dass Sie der Schauspielerin Nathalie Issa, die Yusra darstellt, ebenfalls Schwimmtraining gegeben haben?

Ja, etwa eine Woche lang. Ich habe sie ins Wasser gebracht, so möchte ich es mal formulieren (lacht). Nathalie konnte zwar über Wasser bleiben, aber hatte vorher nie wirklich Schwimmen trainiert. Wir haben alles gelernt: von Wassergewöhnung bis ins Wasser springen. Ich muss ehrlich sagen, ich hätte nie geglaubt, dass man mit über zwanzig Jahren noch so eine steile Lernkurve hinbekommt.

Yusra Mardini konnte ein Jahr nach ihrer Ankunft in Berlin tatsächlich bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio teilnehmen. Welche Rolle haben Sie dabei gespielt?

Das war erneut eine Aneinanderreihung von Zufällen. Ich bin irgendwann abends nach Hause gekommen und habe im Fernsehen gesehen, wie Thomas Bach auf der UN-Generalversammlung gesagt hat, dass das IOC (Anm.: Internationales Olympisches Komitee) sich der Flüchtlingsthematik verpflichtet fühlt und betroffene Leistungssportler gezielt fördern will. Dann habe ich das IOC per Mail angeschrieben und habe auf die Geschichte von Yusra und Sarah aufmerksam gemacht, habe einen Artikel über die beiden verlinkt.

Archivbild:Die syrische Schwimmerin Yusra Mardini am 02.03.2016 zusammen mit ihrem Trainer Sven Spannekrebs beim Training in Berlin.(Quelle:dpa/M.Seifert)Sven Spannekrebs mit Yusra Mardini

Und das IOC meldete sich bei Ihnen?

Ich habe eine Antwort bekommen von einer langjährigen Mitarbeiterin des IOC. Man wisse noch nichts genaues, aber ich solle mich schon mal mit dem DOSB (Anm.: Deutscher Olympischer Sportbund) in Verbindung setzen. Wenig später gab das IOC eine Pressekonferenz mit der Botschaft, dass man ein Team mit geflüchteten Sportlern auf die Beine stellen werde und dafür bereits drei Athleten habe - unter anderem eine Schwimmerin aus Deutschland. Danach standen mein Telefon und meine sozialen Kanäle nicht mehr still.

Der Film zeigt zwei sehr unterschiedliche Schwestern: Yusra, die talentiertere Schwimmerin von beiden, die sehr ehrgeizig an ihren sportlichen Zielen arbeitet. Und ihre ältere Schwester Sarah, die extrovertierter und aufgeschlossener gezeichnet wird. Kommt das den wahren Persönlichkeiten nahe?

Talentierter war und ist tatsächlich Sarah, würde ich sagen. Wir reden da nicht von großen Unterschieden, aber wenn man sie schwimmen gesehen hat, konnte man ihr größeres Talent doch beobachten. Yusra hat mehr gearbeitet. Ich glaube, dass das auch in Syrien schon so war, wenn ich meine Gespräch mit ihrem Vater, der sie dort trainiert hat, Revue passieren lasse. Wir haben nicht konkret darüber gesprochen, aber es war mein Eindruck. Sarah wollte dann in Berlin die große Schwester für Yusra sein, hat viele Behördengänge übernommen, hat sich recht rasch in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Sarah war auf Lesbos als freiwillige Helferin und wurde im Zuge dessen 2018 unter anderem für Menschenschmuggel angeklagt. Wie haben Sie den Fall verfolgt?

Sehr eng, bis heute. Die Sache ist ja noch anhängig. Und Sarah war mehr als hundert Tage in Haft. Ich war der erste, der es in Deutschland erfahren hat. Ich bin mit vielen Menschen in Kontakt getreten, natürlich mit dem UNHCR, ich muss aber auch sagen: Das IOC war mir eine große Hilfe, vor allem in den ersten Tagen. Es hat uns auf allen Ebenen, bis zum Präsidenten, unterstützt mit Kontakten, mit Einschätzungen um nachzuvollziehen, was da gerade eigentlich passiert. Mit anderen Unterstützern habe ich auch die Initiative Free Humanitarians gegründet [freehumanitarians.org], um auf den Fall Sarahs und zwei ihrer Kollegen aufmerksam zu machen.

Wie geht es ihr jetzt damit?

Sie hat schon damit zu kämpfen, dieses Damokles-Schwert noch immer über sich schweben zu haben und nicht zu wissen, was als nächstes passiert.

Sie sind nicht mehr Trainer bei Spandau 04, sondern engagieren sich bei den Special Olympics, die nächstes Jahr in Berlin stattfinden. Welche Rolle nehmen Sie ein?

Ich bin dort im PR-Team. Ich versuche sozusagen der Stadt klarzumachen, dass nächstes Jahr ein riesiges Raumschiff hier landet, das dem größten Sportevent zumindest von der Größe her recht nahe kommt: Die Olympischen Spiele haben 10.500 Athleten, bei den Paralympics haben wir rund 5.000. Und in Berlin bei den Special Olympics erwarten wir 7.000. In Berlin scheinen mir die wenigsten darauf vorbereitet - aber alles wird definitiv ähnlich sein wie bei Olympischen Spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.12.2022, 10:15 Uhr

Nächster Artikel