Interview | Das Ende des Bio-Booms? - "Viele Lieferdienste mit Regional- und Bio-Anspruch straucheln jetzt"

Mo 18.07.22 | 15:31 Uhr
  8
Ökogemüse aus Brodowin, bunte Vielfalt vor Ladengeschäft
Audio: Antenne Brandenburg | 15.07.2022 | Franziska Rutscher vom Ökodorf Brodowin | Bild: rbb/Marcus Groß

Für viele Berliner und Brandenburger war der Corona-Lockdown ein Anreiz, sich intensiver mit Ernährung und Gesundheit zu beschäftigen. Händler von Bio-Lebensmitteln und Lieferanten erzielten Rekord-Gewinnen. Nun zwingt die Inflation zum Sparen - auch beim Essen.

Das Ökodorf Brodowin bei Chorin (Barnim) zählt zu den größten Demeter-Betrieben Deutschlands. Das Konzept sieht vor, Lebensmittel nach bio-dynamischen Richtlinien zu produzieren und zu verarbeitet. Über den Verkauf im eigenen Hofladen hinaus werden die Lebensmittel zudem mit einem Lieferservice in Eberswalde auch an Bio-Märkte und Privatkunden in Berlin und Brandenburg versandt. Wie auch andere Bio-Händler verzeichnete der Betrieb in Zeiten des Corona-Lockdown einen enormen Anstieg der Nachfrage. Dieser Trend hat sich nun angesichts der Ukraine-Krise und hoher Inflation umgekehrt. Darüber hat rbb|24 mit Franziska Rutscher, zuständig für die Qualitätssicherung in Brodowin, gesprochen.

rbb|24: Frau Rutscher, Sie hatten während der Hochphasen der Corona-Pandemie gute Absätze zu verzeichnen. Wie sieht es aktuell aus?

Es sieht nicht so gut aus. Wir haben stark sinkende Zahlen. Damit müssen wir klarkommen. Viele Liefer-Optionen – seien es Fahrzeuge oder Leute, die für uns arbeiten - sind am Kippen. Wir haben gerade wesentlich weniger Kunden.

Können Sie den Rückgang bei sich beziffern?

Unser höchster Punkt waren fast 4.000 Kunden pro Woche. Das war im Jahr 2021. Und wir sind jetzt gerade runtergefallen auf 2.300. Es ist zwar jetzt auch Ferienzeit. Aber das sind jetzt schon Arbeitsplätze. Die Menschen, die bei uns Lebensmittel packen und ausliefern, die haben einfach keine Arbeit mehr.

Sie mussten also Leute entlassen?

Wir mussten aktiv keinen entlassen. Das ist der Effekt, dass wir auch Mitarbeiter hatten, die beispielsweise aus der Gastronomie zu uns gekommen sind. Die haben sich jetzt teilweise wieder zurückorientiert. Wir haben also einfach Stellen nicht neu besetzt. Das ist aktuell unsere Maßnahme.

Worauf führen Sie die sinkende Nachfrage zurück?

Das liegt daran, dass sich die Leute gerade nicht so viel gönnen, jedenfalls nicht diese Kleinigkeiten, wo ganz schnell etwas aus dem Geldbeutel raus ist und das günstige Angebot direkt danebenliegt. Wenn man im Lebensmittel-Regal direkt den Preis miteinander vergleichen kann, hat man direkt im Kopf "da kann ich was sparen". Es wurden auch weniger Spargel und Erdbeeren gekauft. Da sind die Leute drauf sitzen geblieben. Und auch Bio-Lebensmittel gehören - jedenfalls bei denen, die keine überzeugten Bio-Täter sind - zu der Kategorie Luxus, den man sich gönnt.

Sind die Bio-Produkte denn teurer geworden?

Wir haben zum Mai hin tatsächlich unsere Milch-Preise erhöhen müssen, weil wir auf unseren Höfen auch mehr zahlen, und das weitergegeben. Aber ansonsten gab es gerade im Bio-Sektor im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln generell die geringsten Erhöhungen, weil wir schon alle ein bisschen teurer waren und abgebildet haben, was Lebensmittel eigentlich kosten. Grund dafür ist auch die Regionalität. Wenn mein Import einfach viel teurer geworden ist, weil ich Sprit und so weiter zu zahlen habe, und ich dann auf das Lebensmittel gucke, das von um die Ecke kommt, habe ich diese Kostenfaktoren überhaupt nicht.

Befürchten Sie, dass viele Bio-Märkte jetzt schließen müssen?

Wir gehen davon aus, dass man sich da irgendwie schon noch halten wird. Vielleicht machen sie nicht zu, aber dieser Boom, dass viel Neues aufgemacht wird, wird stoppen. Und wir wissen jetzt schon von einigen Lieferdiensten mit regionalen Stationen, die jetzt aufhören. Die Lieferdienste mit Regional- und Bio-Anspruch sind in der Corona-Zeit hochgegangen. Der Grund dafür war die Sorge, irgendwo persönlich hinzugehen. Da sind jetzt viele am Straucheln. Da wird wahrscheinlich einiges zu machen, weil sich etwas liefern lassen ist auch ein Luxus.

Bis dato war das eine Entwicklung, über die wir uns total gefreut haben, dass Leute endlich ihre Lebensmittel online bestellen, was vorher eher Kleidung vorenthalten war. Dieses Tor wurde eingerissen. Aber nach dem Schritt nach vorne gibt es jetzt zwei zurück und wir warten, dass es wieder nach vorne geht.

Wie bewerten Sie den Trend, dass angesichts knapper Ressourcen wieder mehr konventionelle Lebensmittel gekauft werden?

Es ist das falsche Signal, dass wir plötzlich etwas tun, was gegen den Klimaschutz läuft. Dass wir ein akutes Problem vor ein permanentes Problem stellen, einfach nur, weil es gerade einfach lauter ist. Das andere ist ein Grundrauschen, aber dieses Grundrauschen wird das andere auf lange Sicht immer weiter potenzieren. Ich denke da etwa an Kriege durch Hunger.

Sie bekommen Ihre Rohstoffe ja hauptsächlich aus Deutschland. Sind Ihre Bezüge denn dann überhaupt vom Krieg in der Ukraine betroffen?

Ja, aber wir haben plötzlich Konkurrenten. Es gibt ja nicht nur regionales Bio. Wir handeln auch mit anderen Marken. Und insgesamt werden dann natürlich auch andere auf diese Quellen vor Ort gucken und da dann auch ein Preis-Kampf entbrennen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Interview führt Tony Schönberg für Antenne Brandenburg.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.07.2022, 15:30 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 18.07.2022 um 18:13 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

8 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 8.

    Ich esse das, worauf ich Appetit habe und mein Portemonnaie ok sagt. Wenn regional und Bio dabei ist, um so besser.

  2. 7.

    Bio braucht ja bekanntlich deutlich mehr Fläche als konventioneller Anbau und in den Zusammenhang stelle ich mir die Frage was währe unabhängig von deutlich höheren Preisen wenn irgendwann in der Zukunft dann alle 10 Milliarden Menschen nur noch Bio nutzen ?? Reicht unsere Erde dafür überhaupt aus erst Recht vor dem Hintergrund immer öfter auftretender Dürren , Überschwemmungen u.ä. ??

  3. 6.

    Bio ist ein kleiner Luxus und die regionalen Bio-Lieferanten beanspruchen viel Ideal und Bereitschaft Geld auszugeben.
    In den nächsten Jahren wird es schwerer dieses Idial zu leben. Hinzu kommen auch diverse Essensbestelldienste oder auch Unternehmen wie Hello fresh. In den letzten 10 bis 15 Jahren kannten wir nur eine Richtung- Konsum. Jetzt ändert sich einiges und darum werden diverse Unternehmen zum Jahresende schließen müssen. Diejenigen die bereits vor 20 Jahren einen Haushalt hattrn: Essen gehen? Essen liefern lassen? Wohnung putzen lassen? Hemden in die Reinigung? Essen bestellen? In ein kafe gehen? Permanent Kino, Schwimmbad und Freizeitpark? Zwei/ drei mal im Jahr im den Urlaub? Wochenendtrips zur Ostsee? ... Ich habe andere Erinnerungen. Unser heutiger Lebensstil ist schon ein wenig pervers. Ein Dämpfer ist vielleicht gut.

    Leid tun mir nur jene, die oberen genannten Luxus nicht genießen durften und mehr denn je mit dem Rücken zur Wand stehen.

  4. 5.

    Mein Mitleid mit Bio-Höfen hält sich in Grenzen.
    Wer es sich leisten kann sollte ruhig Bio kaufen doch am sollte nicht diejenigen die an der Existenzgrenze zu leben gezwungen sind nicht mit der Umweltkeule drohen.
    So manch ein Hartz IV-Empfänger, Geringverdiener oder Armutsrentner ist gezwungen sich das Billigste vom Billigsten zu kaufen und da ist ein Bio-Ei für 0,60 Cent, so wie ich es vor kurzem in einem Bericht gesehen habe, nun mal nicht im Budget enthalten.
    Das mit dem Ei ist nur ein Beispiel von vielen.

  5. 4.

    Quark. Man sollte einfach auf Bio achten und nicht auf die Herkunft. Regional ist mir egal.

  6. 3.

    "akutes Problem vor ein permanentes Problem"
    Permanent wäre der Klimawandel. Die akuten Probleme können sie der Presse entnehmen. Schwer ist das nicht zu verstehen.

  7. 2.

    Auch im Biobereich gibt es preiswerte Gemüse und andere Nahrungsmittel. Wir müssen nur wegkommen vom Anspruch Alles und Jedes sei zu jeder Zeit verfügbar! Man sollte beim Einkauf auf saisonale Nahrungsmittel achten!

  8. 1.

    Bitte mal erläutern :es ist das falsche Signal, das wir ein akutes Problem vor ein chronisches Problem stellen.....

Nächster Artikel