rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Audio: rbb24 Inforadio | 08.08.2022 | Ann Kristin Schenten | Quelle: dpa/K. Hoffmann

Inflationsanstieg

Indexmietverträge können plötzlich zu einer schweren Belastung werden

Das Modell Indexmiete war lange Zeit nur wenig beachtet bei Wohnungsmietverträgen. Wegen der hohen Inflation droht vielen Mieterinnen und Mietern zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein großer Preissprung.

Hannah wusste, worauf sie sich einlässt, als sie und ihr Freund vor zwei Jahren den Mietvertrag unterzeichneten. "Das war schon ein Thema, mein Freund hat das damals angesprochen mit der Indexmiete und gefragt, um wie viel Prozentpunkte das normalerweise pro Jahr steigt", sagt sie. Antwort des Maklers: Ungefähr zwei Prozent.

"Da dachten wir: Okay." Obwohl ein Bekannter von dem Mietvertrag abriet, unterzeichneten Hannah und ihr Freund den Indexmietvertrag - es fehlten schlicht die Alternativen. Hannah war schwanger, und die beiden wollten zusammen in eine neue Wohnung ziehen, weil ihre alten Wohnungen nicht groß genug für eine kleine Familie waren. Also nahmen sie die Klausel im Mietvertrag in Kauf. Auf rund zwei Prozent Mietsteigerung pro Jahr waren sie eingestellt. Im April kam die erste Erhöhung: Um mehr als sieben Prozent.

Verbraucher-preisindex

Verbraucherpreisindex steigt so rasant wie noch nie in den letzten 30 Jahren

"Das sind 85 Euro pro Monat mehr, ein Wocheneinkauf für unsere kleine Familie", sagt Hannah. Und da geht es nur um die Kaltmiete, auf erhöhte Nebenkosten stellt sie sich ebenso ein - wie die meisten Menschen in Deutschland aufgrund der gestiegenen Energiekosten.

Bei einer Indexmiete einigen sich Vermieter und Mieter auf die jährliche Möglichkeit der Mieterhöhung nach dem Verbraucherpreisindex. Automatisch ist diese allerdings nicht - anders als zum Beispiel bei einer Staffelmiete, bei der von Anfang an feste Erhöhungen im Mietvertrag vereinbart sind. Vermieter müssen bei der Indexmiete aktiv die Erhöhung ankündigen und darlegen, anhand welcher Verbraucherindexwerte sich diese berechnet. Erhöht werden darf maximal einmal pro Jahr.

Mit der gleichen Risikoabwägung wie Hannah und ihr Freund haben sich einige Menschen auf Indexmietverträge eingelassen. Denn in den letzten 20 Jahren stieg der Verbraucherpreisindex nur vier Mal um zwei Prozentpunkte oder mehr, häufig waren es sogar nur zwischen ein und anderthalb Prozent. Steigerungen wie im Moment gab es in den letzten 30 Jahren noch gar nicht.

Lange Zeit nicht attraktiv für Vermieter - das könnte sich ändern

Auch Maria hat sich auf einen Indexmietvertrag eingelassen. Sie wohnt in Mitte mit ihrem Mann und ihrem kleinen Kind, schon seit etwa vier Jahren. Seitdem hat der private Vermieter noch nie eine Mieterhöhung eingefordert. Bis zu diesem Jahr. Hier kam das Schreiben mit der Ankündigung zur Mieterhöhung erst im Juli. Da waren es schon fast elf Prozent Erhöhung im Vergleich zum Vorjahr - das sind rund 150 Euro mehr pro Monat bei Marias Wohnung.

Dass Vermieter in den letzten Jahren häufig auf die mögliche Mieterhöhung in Indexmietverträgen verzichtet haben, sei nichts Ungewöhnliches, glauben die Experten von "Haus und Grund", einem Verband für Haus- und Wohnungseigentümer. "In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass von der Möglichkeit, die Miete zu erhöhen, nicht Gebrauch gemacht wurde, weil die Schritte zu klein erschienen", sagt der Vorsitzende des Verbandes, Carsten Brückner. Er findet deshalb sogar, dass die Indexmiete gesehen auf die letzten zwanzig Jahre eher von Vorteil für Mieter gewesen sei, nicht für Vermieter.

Bei Mietwohnungen ist die Indexmiete vielleicht auch deshalb ein recht neuer Trend. In ihrer heutigen Form ist sie überhaupt erst seit 2001 erlaubt. Auch der Berliner Mieterverein geht davon aus, dass bei länger bestehenden Mietverträgen die Indexmiete noch eine Randerscheinung ist, in den letzten Jahren habe das aber zugenommen, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Wibke Werner.

"Auch bei uns ist irgendwann die Obergrenze erreicht"

Zumindest gefühlt, anhand der Fälle, die beim Verein zur Überprüfung landen. Wirklich belastbare Zahlen gibt es nicht. Der Berliner Mieterverein geht auf Basis eigener Schätzung davon aus, dass mindestens 300.000 solcher Mietverhältnisse in Berlin existieren könnten - das wären ein Drittel der von privaten Unternehmen und Vermietern unterhaltenen Wohnungen. Für die städtischen Wohnungsunternehmen schließt Wibke Werner Indexmietverträge aus.

Sie geht außerdem davon aus, dass die Zahl der Indexmietverträge in den nächsten Monaten zunehmen wird: "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, weil jetzt der Verbraucherpreisindex steigt und dadurch kurzfristig Mietpreiserhöhungen möglich sind, die so nach Mietspiegel nicht möglich wären", sagt Werner.

Genau das beunruhigt auch Maria und Hannah, denn auch wenn sie sich beide ihre erste heftige Mieterhöhung noch leisten können, wissen sie nicht, was ist, wenn in den nächsten ein oder zwei Jahren weitere Erhöhungen in der gleichen Größenordnung folgen. Maria beschreibt sich und ihren Mann als "Gutverdiener", beide haben akademische Berufe. Aber: "Auch bei uns ist dann irgendwann die Obergrenze erreicht", sagt sie.

Klagen ist meist nicht möglich

Das Problem auf angespannten Wohnungsmärkten wie in Berlin ist, dass häufig die Alternativen fehlen. Maria hat sich nach der angekündigten Mieterhöhung um 150 Euro umgeschaut auf dem Wohnungsmarkt. Das Ergebnis: Es gibt trotzdem keine vergleichbare Wohnung, die für die kleine Familie in Frage käme - zumindest nicht in zumutbarer Entfernung zur Kita des Kindes. "Es gab genau zwei Wohnungen, die von der Lage und Größe in Frage gekommen wären und die kosteten etwa das Doppelte - rund 3.000 Euro kalt für etwas über 100 Quadratmeter", sagt Maria.

Gegen die Indexmieterhöhung klagen geht meistens nicht, denn sie ist ja vertraglich geregelt. Der Mieterverein rät aber zumindest dazu, zu prüfen, ob die formellen Kriterien bei der Mieterhöhung eingehalten wurden: Wurde sie schriftlich eingefordert? Wurden der Ausgleichsindex-Wert von der letzten Erhöhung und der aktuelle Index angegeben? Und ist die letzte Mieterhöhung mindestens 12 Monate her? Falls nicht, könnten sich Mieter gegen eine Indexmieterhöhung wehren.

Bei Maria und Hannah ist all das aber erfüllt, gegen die Mieterhöhung können sie nicht klagen.

Manchmal gibt es nur die Wahl, nach welchem Modell die Mieter erhöht wird, nicht ob überhaupt

Maria allerdings hätte eine Chance: Denn die Ursprungsmiete ihrer Wohnung liegt bereits über dem ortsüblichen Mietspiegel. Das könnte sie rügen oder sogar dagegen klagen. Ein erstes Schreiben an die Hausverwaltung blieb allerdings unbeantwortet, und da ihre Wohnung einem privaten Vermieter gehört, fürchtet sie, eine juristische Auseinandersetzung könnte zu einer anschließenden Anmeldung von Eigenbedarf führen. Dann müsste sie möglicherweise aus ihrer Wohnung ausziehen und Alternativen auf dem Wohnungsmarkt - das hat sie ja schon geprüft - gibt es derzeit nicht.

Also verzichtet Maria wahrscheinlich auf eine Klage. Weil sie das aber noch nicht sicher weiß, wollte sie nur anonym darüber sprechen. Maria ist also nicht ihr echter Name.

Situationen wie ihre verdeutlichen das Problem in Städten wie Berlin: Vermieter sitzen hier am längeren Hebel. Wohnungen ohne bereits im Vertrag fixiertes Modell zur Mieterhöhung sind selten geworden. Wer in den letzten Jahren eine Wohnung suchte, sah sich angesichts des Angebots teilweise vor die Wahl gestellt, zwischen einem Indexmietvertrag oder einem anderen Modell, wie einer Staffelmiete. In diesem Vergleich sah die Indexmiete lange attraktiver aus - bis jetzt.

 

Sendung: rbb24 Inforado, 08.08.2022, 10.30 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen