IG Bau warnt - 275.000 Häuser in Berlin und Brandenburg könnten asbestbelastet sein
Deutschlandweit soll es noch mehr als neun Millionen Wohnhäuser geben, in denen bis 1989 Asbest verbaut wurde. Die IG Bau befürchtet, dass der krebserregende Baustoff nun im Zuge von Sanierungen vermehrt freigesetzt werden könnte. Von Kira Pieper
- Krebserregender Asbest ist immer noch in Millionen Gebäuden aus Nachkriegsjahrzehnten verbaut
- Gewerkschaft sieht hohe Risiken für Bauarbeiter und Hobby-Heimwerker
- IG Bau fordert Schadstoff-Pass für Gebäude und eine staatliche Abwrackprämie für Asbest-Müll
"Wir wurden nicht darüber informiert, dass wir mit asbesthaltigen Materialien arbeiten. Wir wurden auch nicht darauf hingewiesen, dass Schutzmasken notwendig sind", sagt Wolfgang Leihner-Weygandt. In den 80er Jahren arbeitete der heute 69-Jährige als Maurer. "Ich habe damals Zementfaserplatten mit einer Kreissäge zersägt." Eine staubige Angelegenheit. Und eine sehr gefährliche, wie sich später herausstellte. In den 90er-Jahren habe er starke Schulterschmerzen bekommen. "Ich bin dann von Orthopäde zu Orthopäde gelaufen." Dann im Jahr 1995 die Diagnose: Leihner-Weygandt hat Lungenkrebs.
Ein Teil seiner Lunge musste entfernt werden. Heute gilt der 69-Jährige zwar als krebsfrei. Aber die Folgen sind geblieben. "Das merke ich besonders, wenn ich mich anstrengen muss. Beim Treppenlaufen. Zwei bis drei Stockwerke kriege ich hin, beim vierten werde ich kurzatmig. Beim fünften geht’s nicht mehr. Obwohl ich bis heute sehr viel Sport treibe. Ich mach' Muckibude und fahr' Fahrrad." Trotzdem habe er Glück gehabt, sagt er und ist den Tränen nah. Denn viele Patienten überleben den Lungenkrebs nicht.
Schätzung: 9,4 Millionen Gebäude deutschlandweit betroffen
Leihner-Weygandt erzählt seine Geschichte am Donnerstag auf der Pressekonferenz der IG Bau. Die Gewerkschaft nutze die Veranstaltung, um vor mehreren Millionen Tonnen Asbest zu warnen, das immer noch in älteren Gebäuden schlummere und nun – im Zuge von Sanierungen – freigesetzt werden könnte. Eine Gefahr für Bauarbeiter, aber auch Privatpersonen, die sanieren lassen oder selbstständig sanieren.
Deutschlandweit wird Asbest nach Angaben der Gewerkschaft in 9,4 Millionen Wohnhäusern vermutet, die zwischen 1950 und 1989 gebaut wurden. Die IG Bau ließ dafür vom Pestel-Institut eine Studie durchführen. Daraus geht hervor: In Berlin gibt es 122.215 Wohngebäude, die zwischen 1950 und 1989 gebaut wurden. In Brandenburg sind es 153.135.
Sanierungswelle und Freisetzungsgefahr
Die Hälfte der Menschen in Deutschland wohne in Gebäuden der Baualtersklasse 1950 bis 1989, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. Eine Zeitspanne, in der Asbest-Baustoffe intensiv zum Einsatz kamen. Zwar seien mittlerweile einige Tonnen Asbest aus Gebäuden entfernt worden. Aber: Drei-Viertel der verbauten Asbest-Produkte würden immer noch in Gebäuden schlummern, so Günther.
IG-Bau-Bundesvorstand Carsten Burckhardt verdeutlicht das Problem: Eben diese Häuser würden nun nach und nach saniert. Weil sie altersgerecht oder familiengerecht umgebaut, aufgestockt oder energetisch modernisiert werden.
Hohe Gebäude besonders asbestgefährdet
In Berlin ist die Lage eventuell noch zugespitzter. Denn je höher das Gebäude, desto wahrscheinlicher sei es, dass Fahrstuhlschächte oder Ver- und Entsorgungsschächte eingebaut wurden, sagt Günther. Diese wurden insbesondere in den 60er Jahren gerne mit Spritz-Asbest ausgekleidet. Spritz-Asbest ist besonders fatal, weil die Fasern noch schwächer gebunden sind und deswegen noch leichter freigesetzt werden können. 17.688 Wohnhäuser gibt es laut Pestel-Studie alleine in Berlin, in denen es mehr als 13 Wohnungen gibt. Gebäude also, die besonders hoch sind.
Asbest ist keine Gefahr, solange es verbaut ist. Gefährlich wird es erst, wenn Asbestfasern freigesetzt werden. Durch den feinen Baustaub gelangen sie in Atemwege und Lunge. Das Umweltbundesamt (UBA) stuft Asbest als "eindeutig krebserregenden Stoff" ein. Die Latenzzeit, also die Zeit vom Einatmen von Asbest bis zu einer darauf zurückzuführenden Erkrankung, ist lang: Bis zu 30 Jahre kann es dauern, bis der Lungen-, Rippenfell- oder Kehlkopfkrebs ausbricht.
320 Baubeschäftigte starben 2022 an Asbest-Folgen
Die Berufsgenossenschaft Bau geht davon aus, dass in den vergangenen zehn Jahren fast 3.380 Versicherte infolge einer asbestbedingten Berufskrankheit gestorben sind, "darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr", hieß es am Donnerstag.
Dabei handele es allerdings nur um Menschen, die im Bau beschäftigt sind, stellte Carsten Burckhardt auf Nachfrage klar. Also keine Erkrankungen mit Todesfolge von Heimwerkern. Zudem werde vermutet, dass die Dunkelziffer hoch sei.
IG Bau fordert: Gebäudepass, Asbest-Kataster und Abwrackprämie
Die IG Bau fordert nun einen Plan, der mehrere Punkte umfasst. Zum einen müssten Bauarbeiter – und auch Heimwerker – besser über die Gefahr aufgeklärt werden, sagte Carsten Burckhardt, der bei der IG Bau unter anderem auch für den Arbeitsschutz zuständig ist.
Außerdem sei es wünschenswert, dass es für jedes Haus einen Schadstoff-Gebäudepass gebe, in denen Asbest-Vorkommen dokumentiert würden. Zudem müssten die Vorkommen in einem kommunalen Asbest-Kataster aufgeführt werden. Zwar gebe es dies teilweise bereits, allerdings sei dies nicht verpflichtend und damit auch nicht flächendeckend, so Burckhardt. Und: Die IG Bau fordert von der Politik eine Abwrack-Prämie für Asbest-Müll. Der Staat sollte Sanierungen finanziell unterstützen, mit dem Ziel, dass mehr Häuser asbestfrei werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.08.23, 19:30 Uhr