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Quelle: Imago Images/Steinach

Horrende Abrechnungen

Betriebskosten: Große Posten fressen kleine Renten

Immer mehr Menschen können sich die hohen Kosten für Energie nicht leisten. Wegen massiver Betriebskostennachzahlungen droht einigen sogar der Wohnungsverlust - unter ihnen auch Rentnerinnen und Rentner. Von Bendrik Muhs

Christa B. ist sauer. Denn die Sozialwohnung, die sie bewohnt, kostet jetzt schon bei einer Größe von 50 Quadratmetern 730 Euro. Miete und Nebenkosten sollten aber eigentlich sozialverträglich sein - zumal die Reinickendorfer Wohnanlage einer Stiftung gehört. Jetzt noch das: Mit der Betriebskostenabrechnung für das vergangene Jahr fordert die Stiftung eine Nachzahlung von 800 Euro von ihr - Heizkosten. Doch Christa B. weiß nicht, woher sie diese Summe nehmen soll. Gleichzeitig sind auch ihre Vorauszahlungen gestiegen.

Eine Nachbarin von B. hat es noch schlimmer getroffen, sie soll 2.000 Euro an Rückzahlungen leisten - die Grundkosten sind damit mehr als verdoppelt, die Verbrauchskosten um das Dreifache gestiegen. Immerhin: Die Stiftung hat den Mietern angeboten, die Beträge in Raten abzuzahlen.

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20% der Berliner:innen armutsgefährdet

So wie bei den Reinickendorfer Mieterinnen wird es diesen Winter vielen ergehen. Die Betriebskostenabrechnungen für 2022 müssen bis Ende des Jahres bei Mieterinnen und Mietern eingegangen sein - in den allermeisten enthalten: die Heizkosten. Und die treiben die Abrechnungen vielfach in die Höhe. Hohe Nachzahlungen sind keine Seltenheit. Die Schulden, die sich so bei vielen Bürgerinnen und Bürgern auftürmen, werden zum Existenzrisiko.

Schon jetzt gelten 20 Prozent der Berliner:innen als armutsgefährdet. Im Zusammenhang mit den massiven Nachzahlungen an Energiekosten schlagen Sozialverbände wie der VdK deshalb Alarm, der deutsche Mieterbund fürchtet gar eine "soziale Katastrophe". Es gelte, sich alle Hilfen zu holen, die der Staat bietet.

Hilfe beim Sozialamt oder Jobcenter

"Wenn diese hohe Nachzahlung kommt, dann kann und sollte man auch sehr schnell zum Jobcenter oder zum Sozialamt gehen und Hilfen beantragen", rät Margret Böwe vom Sozialverband VdK Deutschland gegenüber dem rbb. Geprüft werde dann, ob ein Anspruch auf Bürgergeld bzw. Grundsicherung vorliegt.

Rentner sollten sich dabei besonders beeilen, denn sie müssen beim Sozialamt noch im gleichen Monat einen Antrag stellen, in dem die Nachzahlungsforderung fällig wird. Geringverdienende Angestellte und Selbstständige haben mehr Zeit; sie können innerhalb von drei Monaten Hilfe beim Jobcenter beantragen. "Das sollte man auch wirklich in Anspruch nehmen und da keine falsche Scham haben", so Böwes Appell.

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Bei Zahlungsverzug droht fristlose Kündigung

Der normale Berliner Mietmarkt ist auch ohne diese massiven Energiekosten-Nachzahlungen als hart bekannt. Zwar bestätigen auf rbb-Anfrage alle großen Vermieter, dass sie sich auf Ratenzahlungen einlassen würden, doch dies stellt keine Garantie dar. Mietschulden sind rechtlich ein Kündigungsgrund, und so manch ein Vermieter könnte die nutzen, um Altmieter aus der Wohnung zu bekommen.

Es nütze deshalb gar nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und etwaige Forderungen zu ignorieren, so Jutta Hartmann, Pressesprecherin des Deutscher Mieterbunds. Wer eine hohe Betriebskostenabrechnung bekommt, muss vor allem schnell handeln. Geraten Mieter länger in Zahlungsverzug, droht die fristlose Kündigung. "Deswegen besteht hier wirklich die Gefahr, die Wohnung zu verlieren, wenn ich diese Zahlung nicht rechtzeitig leisten kann," warnt Hartmann.

Schriftliche Bestätigung einholen

Sie rät grundsätzlich allen Mieterinnen und Mietern, die Betriebskostenabrechnung inklusive der Heizkostenabrechnung für das Jahr 2022 überprüfen zu lassen - dies kann man bei Mietervereinen wie dem Mieterbund oder dem Berliner Mieterverein, aber auch bei Mietrechtsanwälten zu unterschiedlichen Konditionen machen lassen.

Wenn dann wirklich hohe Nachzahlung anstehen, empfiehlt sie: "Aktiv auf dem Vermieter zugehen, ihm Lösungen anbieten, wie zum Beispiel Ratenzahlungen." Dies solle allerdings immer auch per Mail passieren, nicht nur am Telefon, damit man es nachweisen kann - auch eine Bestätigung sollten Betroffene immer schriftlich einholen.

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Wohngeld beantragen

Eine weitere Möglichkeit, staatliche Hilfe zu bekommen, ist das Wohngeld. Es wurde Anfang 2023 erhöht, gleichzeitig haben jetzt mehr Menschen Anspruch darauf. "Die Politik hat ein großes Interesse daran, dass Menschen das auch in Anspruch nehmen, weil sie gemerkt haben, dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt extrem angespannt ist, viele Menschen ihre Wohnkosten, ihre Miete nicht mehr bezahlen können oder dadurch einfach zu stark belastet sind", erläutert Margret Böwe. Wirklich alle, die einen Anspruch auf Wohngeld hätten, sollten es in Anspruch nehmen.

Beantragt wird das Wohngeld in Berlin bei den Bürgerämtern, in Brandenburg bei den zuständigen Wohngeldstellen. Geringverdienern und Menschen mit niedriger Rente steht es gesetzlich zu.

Dennoch befürchtet Jutta Hartmann vom Mieterbund, dass es für Mieterinnen und Mieter wirklich zu großen Problemen kommen kann. Wohnen sei für die Menschen existenziell. Sei die Wohnsituation bedroht, bedeute das katastrophale Umstände für die Betroffenen. "Wenn hier nicht durch den Gesetzgeber gegengesteuert wird, befürchten wir tatsächlich, dass es zu sozialen Unruhen oder Verwerfungen kommen kann", so Hartmann.

Sendung: rbb24 Supermarkt, 20.11.2023, 20:15 Uhr

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