Theaterkritik | "Der Untertan" im Gorki - "Dit Bier ist treu!"

Sa 16.12.23 | 09:55 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Marta Kizyma, Tim Freudensprung, Catherine Stoyan in "Der Untertan". (Quelle: Gorki Theater/Ute Langkafel)
Audio: rbb Kultur | 14.12.2023 | Christian Weise | Bild: Gorki Theater/Ute Langkafel

Heinrich Manns Kaiserreich-Satire "Der Untertan" wird im Berliner Gorki zu einem hochtourigen Slapstick-Theaterabend. Der ist auf Dauer recht öde - aber Via Jikeli in der Hauptrolle ist ein Vergnügen. Von Fabian Wallmeier

Eine Art Torhaus in Schwarz-Weiß und doch in knalligem Comic-Stil verdeckt auf voller Höhe das Bühnenportal, wo sich sonst der Eiserne Vorhang hebt. Allerlei Gestalten sind gemalt, eine "Thomas-Mann-Schule", eine Papierfabrik, oben fehlt das Dach und ein Monster lugt grimmig herein.

Doch keine Sorge: Grimmig ist an diesem Abend im Berliner Maxim-Gorki-Theater rein gar nichts. Christian Weise hat aus Heinrich Manns satirischem Roman "Der Untertan" über einen obrigkeitshörigen Emporkömmling im Kaiserreich gut 90 bunte, aber auch etwas hohle Minuten Comedy gemacht.

Marta Kizyma, Tim Freudensprung, Catherine Stoyan in "Der Untertan". (Quelle: Gorki Theater/Ute Langkafel)
Bild: Gorki Theater/Ute Langkafel

Ein Feigling kriecht aus der Luke

Till Wonka führt als Conférencier auf die Melodie der "Moritat von Mackie Messer" singend in die Geschichte ein, stellt den Protagonisten des Abends vor: Diederich Heßling, dem wir zunächst als Jungen begegnen.

Ungelenk kommt dieser Unsympath aus einer Luke auf die Bühne gekrochen. Ein dicklicher Jammerlappen mit ballonhafter kurzer Anzughose und zu großer Fliege steht zunächst mit dem Hintern zum Publikum da, dreht sich mit einem unbeholfnen Sprung um - und fängt erst einmal an zu kreischen, als er all die Menschen im Saal sieht.

Gleich ist klar, und Wonka erzählt es uns zur Sicherheit noch mal: Dieser Diederich ist schon als Kind und später erst recht ein Feigling. Einer, der es denen, die etwas zu sagen haben, recht machen will, um selbst aufsteigen zu können.

Buckeln und Treten

In zwölf "Moritaten" (Brechts "Mackie Messer" lässt grüßen) erzählt Weise Manns Roman mehr oder weniger nach. Wir sehen, wie Heßling aufwächst, zum Studieren nach Berlin geht, in seinen Heimatort zurückkehrt und dort, wenn auch nicht ohne Rückschläge, in fanatischer Kaiserverehrung nach oben buckelnd und nach unten tretend aufsteigt.

Fünf Schauspieler:innen, größtenteils in wechselnden Rollen, und zwei Musiker peitschen von Moritat zu Moritat. Niemals wird innegehalten, kaum ist ein Gag verklungen, muss der nächste her. "Dit Bier ist nicht wie kokette Weiber, dit Bier ist treu", krakeelt Diederich im Suff mit der Burschenschaft in Berlin. Na, wenn das so ist… Es gluckern die Sound-Effekte, hoch die Tassen und weiter geht's.

Marta Kizyma, Tim Freudensprung, Catherine Stoyan in "Der Untertan". (Quelle: Gorki Theater/Ute Langkafel)
Bild: Gorki Theater/Ute Langkafel

Hemmungslos komisch: Via Jikeli

Ein tatsächliches Vergnügen ist es, VIa Jikeli in der Hauptrolle zuzusehen. Die Neue im Gorki-Ensemble schmeißt sich mit voller Kraft in die Figur. Jikeli berlinert, kiekst, grimassiert wie wild und stolpert mit stolzgeschwelltem Wohlstandsbauch und beim Marschieren lustig wackelndem Pimmel zwischen den Fatsuit-Beinen durch die Szenerie. Mit großer Freude am Überzeichnen und am Slapstick stellt sie die Lächerlichkeit dieses Emporkömmlings und Bücklings heraus.

Das kann Christian Weise offenkundig: junge Schauspielerinnen hemmungslos komisch in Männerrollen glänzen zu lassen. Schon 2020 durfte etwa Svenja Liesau einen irrwitizigen, fast vollständig von der Tragödie befreiten Hamlet geben.

Doch während damals das drall Komische mit Metatheater-Geistesblitzen ausbalanciert wurde, fehlt hier das Gegengewicht. Nichts von Heinrich Manns heiligem Schwulst blitzt hier durch, schon gar nicht sein feiner Spott. Stattdessen: Voll auf die Zwölf, anderthalb Stunden lang. Ohne Erbarmen.

"Komödie oder Wahrheit?"

Und das wird dann doch leider recht schnell öde und ermüdend. Da hilft auch nicht, dass kurz vor knapp noch mal ein Heinrich-Mann-Text von 1923 bemüht wird, in dem dieser den verloren gegangenen "Geist der Weimarer Verfassung" betrauert und die "Diktatur der Gierigsten" heraufbeschwört. Für eine ernsthaftere Grundierung des grell überzeichneten Treibens ist es da natürlich längst zu spät.

"Entscheiden Sie selbst", fordert Conférencier Wonka am Ende zur Beurteilung des Gesehenen auf, "Mackie Messer" klimpert wieder im Hintergrund. "Komödie oder Wahrheit?" Mag sein, dass auch einiges an Wahrheit in diesem Theaterabend steckt. Etwas weniger Komödie hätte ihm jedenfalls gutgetan.

Sendung: rbb Kultur, 14.12.2023, 18:45 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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