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Quelle: dpa/Soeren Stache

Interview | Verkehrsexperte Andreas Knie

"Wir haben uns eine große Auto-Abhängigkeit geschaffen"

Ein Monat ÖPNV für neun Euro: Das wird die meisten Autofahrenden nicht zum Umstieg bringen, meint Verkehrsexperte Andreas Knie. Im Interview erklärt er, warum auch der ÖPNV nicht ums Auto herumkommt.

rbb|24: Benzin wird immer teurer und deutschlandweit ist ein ÖPNV-Monatstickt für neun Euro geplant - zumindest für drei Monate. Kommt jetzt doch die Verkehrswende?

Andreas Knie: Der Krieg zeigt genauso wie der Klimawandel, dass das unbegrenzte Fahren mit fossilen Brennstoffen an seine Grenzen kommt. Das hat nur jetzt zum ersten Mal auch Auswirkungen auf den Preis. Der Sprit ist deutlich teurer geworden - und bleibt mutmaßlich auch deutlich teurer. Das wäre auch mit den erhöhten CO2-Steuern gekommen, der Krieg nimmt also quasi eine Situation vorweg, die zeigt, dass wir dringend Alternativen brauchen.

Zur Person

Also hat es so eine schreckliche Situation wie den Krieg gebraucht, um die Verkehrswende voranzutreiben?

Es ist der Einstieg in den Anfang. Aber – um das gleich vorwegzunehmen – wenn dann in hektischer Betriebsamkeit gesagt wird: Um Gottes willen, der Sprit wird teurer, wir müssen das kompensieren, dann verpuffen sämtliche weltpolitischen Hinweise, dass wir nicht korrekt leben. Wenn also die nationale Politik sofort versucht die steigenden Benzinpreise monetär zu kompensieren, dann wird dieser Einstieg in die Verkehrswende mindestens verzögert.

Innerhalb Berlins ist der ÖPNV ja relativ gut. Aber wir haben uns einen Fall im Speckgürtel angeschaut: Ein Pendler, der täglich von Fredersdorf bei Berlin bis nach Berlin-Pankow pendeln muss, der braucht mit dem Auto circa 55 Minuten - mit den ÖPNV aber rund zwei Stunden.

Das Problem ist natürlich, dass viele in den Speckgürtel gezogen sind oder sich von dort beruflich in die Stadt orientiert haben, weil sie immer das Auto im Hinterkopf hatten. Die vielen Reihensiedlungen, die wir mittlerweile rund um und an den Rändern von Berlin haben, sind ja nur entstanden, weil alle ein Auto hatten. Dementsprechend wurde eine große Auto-Abhängigkeit geschaffen, die einem jetzt erst bewusst wird. Jetzt ist die Not groß, die Ratschläge teuer. Eine Option ist aus meiner Sicht, nicht mehr jeden Tag zur Arbeit zu fahren. Das hat die Pandemie gezeigt: Menschen können sich verändern, Arbeitgeber können sich verändern – und man kann sagen, man fährt nicht mehr jeden Tag zu Arbeit, sondern vielleicht nur noch an drei Tage.

Für unseren Beispielfall ist das als Koch eher undenkbar. Ihm würden aber Verbindungen vom Wohnort zum S-Bahnhof etwas bringen. Wie muss da noch nachgesteuert werden?

Das ist die berühmte letzte Meile, die fehlt: Also der Weg zur U-Bahn oder häufiger noch zur S-Bahn ist zu weit. Deshalb plädieren wir schon seit Längerem dafür, dass man die letzte Meile ganz einfach macht. Dafür sind wir auch schon mit einigen Bezirken im Gespräch. Das heißt, jeder Mensch, der an einer S-Bahn-Station ankommt, kann zu seinem Wohnort mit dem Taxi fahren – und zwar zum Preis des ÖPNV. Die Differenz muss dann der Senat, der Bund kompensieren.

Sind Sharing-Anbieter eine Lösung, um die letzte Meile zu schließen?

Nein, die sind da, wo Frequenz ist – und die ist nun mal in der Innenstadt. Dort ist die Dichte der Wohnbevölkerung, der Arbeitsverhältnisse und der sich dort bewegenden Menschen viel größer. Carsharing ist nichts für die letzte Meile. Da können die genannten Taxis oder auch Anrufsammeltaxen, wie sie die BVG mit ViaVan in Lichtenberg plant, helfen. Das sind flexible on-demand-Verkehre, die die klassisch geführten Linienverkehre um diese letzten Kilometer ergänzen. Denn die U- und S-Bahn ist nur so gut, wie sie an die Leute herankommt.

Wie sinnvoll sind zum Beispiel Takterhöhungen im ländlichen Raum? Es bringt ja auch nichts, wenn alle zehn Minuten ein Bus fährt, aber immer nur zwei/ drei Personen mitfahren.

Nüchtern betrachtet: Angesichts der individuellen Lebens- und Arbeitsentwürfen der heutigen Zeit, kann der Bus in diesen Strukturen in diesen Raumtypen niemals das Auto ersetzen. Selbst wenn der Bus neun oder zwölf Mal käme er, wird es nicht schaffen. Wir müssen uns endlich eingestehen: Der ÖPNV mit klassischen Linienbetrieben auf getakteten Strukturen aufbauend, war etwas für das frühe mittlere 19. Jahrhundert, vielleicht noch für das 21. Jahrhundert, aber nicht mehr für das 21. Jahrhundert. Busse und Bahnen sind dann sinnvoll, wenn sie viele Menschen von A nach B transportieren können, also in Ballungsräumen. An den Rändern müssen individuelle on-demand-Verkehre her, die flexibel nur dann stattfinden, wenn Menschen sie auch benötigen.

Halten Sie es für sinnvoll, das 9-Euro-Ticket auch nach Ablauf der drei Monate fortzusetzen oder fänden Sie andere Maßnahmen sinnvoller?

Das Signal ‚Achtung, wir machen jetzt eine Attraktivitätsverbesserung für den ÖPNV‘ ist positiv zu bewerten. Aber dann fängt das Problem leider erst an. Bus und Bahn kurzfristig billiger zu machen, ist nur ein kleines Strohfeuerchen. Man kann ein paar Mitnahmeeffekte registrieren, aber ansonsten ändert sich dauerhaft nichts. Wenn die Preise dauerhaft sehr viel niedriger werden, gehen wir davon aus, dass zehn bis 20 Prozent der jetzigen Autofahrenden umsteigen würden, aber eben nur zehn bis maximal 20 Prozent, mehr nicht. Das sind diejenigen, die die Wahl haben. Die überwiegende Mehrzahl, der jetzt im Auto fahrenden, also 80 Prozent, sind in ihren Strukturen so festgelegt, dass auch ein drastisch reduzierter Preis des ÖPNVs hier keine Lösung bietet.

Müsste man anstatt an den Angeboten auch am Image arbeiten?

Es kann noch mehr passieren, aber das Image des ÖPNV als coole Begegnungsstätte ist zumindest in Großstädten da, in Wien, in Zürich, in Basel oder in anderen Städten wie New York und London ist das sowieso klar. Im ländlichen Raum bleibt der Bus und die gelegentliche Bahn schon noch ein Imageproblem. Die entscheidende Hürde ist: U-Bahn, S-Bahn, Regiobusse, Straßenbahnen, Schienenpersonennahverkehr stehen in Deutschland vor der Herausforderung, eine Automobilgesellschaft einzuholen. Das schaffen sie aber nicht, stattdessen müssen sie sich eben gegenseitig ergänzen. Sie müssen sich zu flexiblen Transportangeboten entwickeln, erweitern, und dann werden sie tatsächlich auch die Menschen abholen. Und dann wird es auch kein Imageproblem selbst im ländlichen Raum mehr geben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Helena Daehler.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 04.04.2022, 19:30 Uhr

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