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Video: rbb|24 | 11.08.2022 | Stefan Oberwalleney | Quelle: rbb

Ökologische Jagd in Brandenburg

"Ich jage nicht für mich, sondern für den Wald"

Kay Hagemann will den Wald retten. Dafür pflanzt er keine neuen Bäume, sondern er schießt - vornehmlich auf Rehe und Hirsche, damit die nicht zu viele nachwachsende Bäume anfressen. Unterwegs mit einem Jäger, dem es um die Zukunft des Waldes geht. Von Laura Kingston

"Beschreib mal, was du siehst," sagt Kay Hagemann zu mir. "Wald", sage ich. "Bisschen genauer", sagt er. "Toter Wald", sage ich. Das Spiel geht noch Minuten so weiter, bis ich erraten habe, dass die toten Bäume Fichten sind, die dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind, und die kleinen grünen Bäumchen Pappeln.

Ich habe mir das erste Treffen mit einem Jäger anders vorgestellt. Bisschen weniger Waldschule, bisschen mehr Geballer. Aber: Kay Hagemann ist eben nicht nur Jäger, sondern "jagender Förster", wie er sich gerne beschreibt.

Es ist ein heißer Dienstagnachmittag in der Märkischen Schweiz bei Buckow. Bevor wir zusammen jagen gehen, will Kay Hagemann mir erklären, wieso er das Ganze macht: "Die Pappeln", sagt er. Er tappt zu den hüfthohen Bäumchen, die sich durch das Totholz schieben. Behutsam umgreift er den dünnen Stamm und hält ihn mir entgegen: "Abgefressen. Keine Knospe, gar nichts. Und wenn das nur ein Einzelner wäre, wäre das egal. Aber man sieht: Die haben hier alle dieselbe Höhe. Ein Zeichen dafür, dass es hier zu viel Wild gibt. Die Pappeln wollen wachsen, können sie aber nicht."

Quelle: rbb

Kay Hagemann ist im Ökologischen Jagdverband Brandenburg-Berlin. Der Verein beschreibt sich auf der eigenen Website so: "Eine ökologische Jagd unterstützt eine umweltschonende Landwirtschaft und den naturnahen Waldbau sowie Ziele des Natur- und Artenschutzes. Sie verhindert zudem in der Kulturlandschaft ökologische und unzumutbare ökonomische Schäden."

"Und was ist dann der Unterschied zur traditionellen Jagd?", frage ich Hagemann, während er eine kniehohe, angeknabberte Eiche streichelt. "Bei uns ist die Jagd kein Selbstzweck, wir machen das nicht aus Spaß oder als Hobby, um Geweihe zu sammeln, sondern um das wunderbare Ökosystem Wald zu schützen. Aber auch bei mir bedeutet Jagen töten - wenn der Wildbestand zu hoch ist." Die traditionelle Jagd werde dem Ziel der Nachhaltigkeit und des Waldumbaus, der in Brandenburg dringend nötig sei, nicht gerecht, so der 44-Jährige. Deswegen fordert er Veränderungen im Brandenburger Jagdgesetz.

Quelle: rbb

Neues Jagdgesetz heftig umstritten

Über die Novellierung dieses Jagdgesetzes wird in Brandenburg seit Monaten heftig gestritten. Als Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel (Grüne) einen Entwurf für ein erneuertes Jagdgesetz veröffentlichte, klatschten 70 Stellungnahmen von Verbänden und Einzelpersonen auf seinen Schreibtisch. Unter anderem auch vom Jagdverband Brandenburg, der aktuell 10.000 Mitglieder zählt. Die stehen den 350 ÖJV-Mitgiedern und einigen Naturschutzorganisationen entgegen.

Was der Entwurf von Vogel vorsah: Zum Beispiel die Möglichkeit, neue Jagbezirke zu gründen auf privaten Waldflächen, die kleiner als 150 Hektar sind. Damit würden also die aktuell bestehenden Jagdbezirke anders aufgeteilt. Der Landesjagdverband hat auf den Entwurf von Vogel die Initiative "Wild. Wald. Wir." gegründet, um die Novellierung zu verhindern.

In der Begründung heißt es: "Wir wollen erreichen, dass das vorliegende Gesetz angepasst und geändert wird, denn der vorliegende Entwurf sieht auch eine Jagd auf kleiner Parzellengröße vor, ohne langfristige Verpachtung und mit kurzfristig wechselnden Jagdberechtigten." Das gefährde Wald und Wild.

Quelle: rbb

Drei Jäger auf dem Marktplatz

"Schwachsinn", sagt Kay Hagemann zu der Ablehnung des traditionellen Jagdvereins. Inzwischen hat er sich äußerlich eher in einen Soldaten verwandelt, trägt eine enge Jacke im Pixeltarn, die er über seine Hände zieht, eine Cap in Tarnfarben. Mit seinen "Mitjagenden", wie er sie nennt (und auch sonst gendert Kay Hagemann konsequent), trifft er sich auf dem Buckower Marktplatz. "Mir ist das wichtig, dass die Buckower sehen, das gehört hier zur Region, dass man eben jagen geht. Und vor allem sollen das die Prenzlberger sehen, die hierhin Ausflüge machen und sich selten fragen, wo ihre Wildschweinsalami eigentlich herkommt." Ich - Vegetarierin, wohnhaft in Prenzlauer Berg, hab ihn mitbekommen, den Wink mit dem Zaunpfahl.

"Kommunikation ist immer das A und O - und am besten gewaltfreie Kommunikation", sagt er und stößt den Rauch der sechsten Zigarette des Tages aus. Dass er gerne redet, habe ich schon gemerkt. Was Hagemann meint, ist aber auch die Kommunikation mit den anderen Jägern, die eher auf der Jagd nach einzelnen Trophäen sind, das Ganze als Sport sehen, oder "Kochtopfjäger", wie Hagemann sagt, sind. Und das ist auch nötig. Denn drei Viertel der 1,1 Millionen Hektar Brandenburger Wald sind in Privatbesitz. Die Mehrheit der Flächen ist nicht kleiner als jeweils 40 Hektar. Heißt: Hier grenzt Waldgrundstück an Waldgrundstück - und jede:r Besitzer:in hat unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Wald bewirtschaftet und bejagt werden soll.

Waldumbau statt "Rotwild-Puff"

Er selbst arbeite nicht mehr für bestimmte Waldbesitzer:innen. "Es gab da Leute, die hatten regelrechte Rotwild-Puffs angezüchtet. Das ist alles andere als nachhaltig", sagt er. Hagemann spielt auf Waldbesitzer:innen an, die das Wild in ihren Gebieten teils künstlich zufüttern, erklärt er mir später. Denn sie machen Geld damit, Jagdpachten an Hobbyjäger zu vergeben, die auch was erlegen wollen. So die Theorie von Hagemann. Er arbeite nur noch mit Waldbesitzer:innen, "die wollen, dass der Wald wächst."

"Wir wollen doch, dass unsere Kinder auch noch den Wald erleben."

Dass er das tut, ist dringend notwendig in Brandenburg. Das ist nicht nur Kay Hagemanns Meinung. Einschlägige Forstwissenschaftler:innen und Naturschutzer:innen zeigen sich sicher: Was Brandenburg braucht, sind Mischwälder. Mit dem Wort "Waldumbau" wird seit einigen Jahren umhergeworfen, wenn wieder mal der Wald brennt. Eigentlich zu spät, findet Hagemann: "30 Jahre lang wurde da gepennt. Die Hütte brennt." Und deshalb will er mit seiner Form der Jagd den Wildbestand reduzieren. "Bambi killen fürs Klima?", frage ich. Er lacht sein rauchiges Lachen: "Nee, das finde ich zu populistisch. Am Ende geht es mir auch um Generationengerechtigkeit. Wir wollen doch, dass unsere Kinder auch noch den Wald erleben."

Eichen, Buchen, Kiefern

Junge Bäume im Berliner Wald leiden massiv unter Rehwild

Laufen wie auf Cornflakes

19:30 Uhr, in einem Waldgebiet 15 Autominuten von Buckow entfernt. Die Sonne verfärbt sich orange hinter den Baumkronen und Kay Hagemann baut sein Gewehr zusammen. Noch im Auto, hält sich Hagemann immer wieder die Wärmebildkamera an die Augen. Gesprächig ist er jetzt nicht mehr.

Als er zum Hochsitz pirscht, führt er immer wieder das Visier seines Gewehrs an sein Auge, bedeutet mir, stehenzubleiben und bloß nicht auf irgendwelche Tannenzapfen zu trampeln. Leise zu gehen auf einem Waldboden, der wie Cornflakes klingt: nicht einfach.

Bevor ich auf "meinen" Hochsitz steige und er auf seinen klettert, flüstert er mir zu: "Zwei Stücken wären gut heute." Wir sitzen und gucken und lauschen. Und sitzen und gucken und lauschen. Und tatsächlich sehe ich zwei junge Rehe an mir vorbeihüpfen. Ich habe aber weder Waffe noch Jagdschein, und bin in diesem Moment ganz froh darüber. Dann hören wir einen Schuss aus der Ferne. Hagemann schreibt mir eine Whatsapp-Nachricht: "Erste Beute, Jan hat ein Reh."

Quelle: rbb

Mit Bio-Limo aufs Reh anstoßen

21:30 Uhr. Duster ist es inzwischen, und Kay Hagemann schickt mir eine Whatsapp-Nachricht: Feierabend, absteigen. Zurück am Treffpunkt, kann ich nicht anders, als das tote Reh anzustarren, das da liegt. Schon aufgebrochen, wie es im Jagdjargon heißt, also ohne Gedärme. Wir stoßen mit Bio-Limo auf den Jagderfolg an.

Ob es nicht reichlich wenig Beute für drei Jäger in einem Wald mit - aus seiner Sicht - zu viel Wild sei, frage ich Hagemann. "Nur, weil man sie nicht sieht, heißt es nicht, dass sie nicht da sind. Das ist manchmal auch Glückssache", antwortet er. Am nächsten Abend will Hagemann wieder mit seinen Mitjagenden rausgehen.

Beitrag von Laura Kingston

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