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Video: rbb24 | 11.10.2022 | Material: rbb Adrian Bartocha & Jan Wiese | Quelle: dpa/P. Zinken

Autoverleiher in Berlin

Der Fuhrpark der Clans

Rund 40 Berliner Autovermietungen sind nach Ansicht des Landeskriminalamtes allein dazu da, das kriminelle Milieu mit Fahrzeugen zu versorgen. Die Hintermänner dieser Verleihfirmen sollen kriminelle Mitglieder polizeibekannter Großfamilien sein. Von Adrian Bartocha und Jan Wiese

Der Unfallort am Treptower Park gleicht einem Inferno: zerstörte Schaltkästen, ein abgerissener Baum, herumliegende Körperteile – und das Auto, ein 450 PS-starker Audi RS 5, in vier Teile zerrissen und ausgebrannt. Tragisches Ende eines illegalen Autorennens im Februar 2021, das drei der vier Insassen des Audis das Leben kostet. Nur der Fahrer überlebt. Er wird später vom Landgericht Berlin zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das teure Auto hatte der Raser, damals ein 21-jähriger Mann, der noch in der Ausbildung steckte, geliehen. Das sei keine Ausnahme, sondern der Regelfall, sagt Andreas Winkelmann von der Berliner Amtsanwaltschaft. Er leitet dort eine Spezialabteilung, die sich nur um die Verfolgung illegaler Autorennen in der Stadt kümmert. "In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle gehören die Fahrzeuge, die bei solchen Autorennen verwendet werden, nicht dem Täter, sondern sind Mietfahrzeuge", sagt Winkelmann. "Und es ist schon verwunderlich mitunter, dass da innerhalb kürzester Zeit so Kleinstfirmen entstehen, die doch sehr viele solcher hoch motorisierten Fahrzeuge anbieten."

Das zerstörte Auto nach dem Unfall am Treptower Park | Quelle: Frank Talke

"Systemrelevant fürs kriminelle Milieu"

Diese Kleinstfirmen fallen mit dubiosen Vermietpraktiken auf: 500 PS-Boliden werden an 18-Jährige verliehen, bezahlt wird in aller Regel in bar. Die Vermittlung läuft oft online, nur wenige Firmen verfügen über Filialen.

TV-Hinweis

Rund 40 solcher Autoverleiher sind nun in den Fokus des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin geraten, wo das sogenannte Zentrum für Analyse und Koordination zur Bekämpfung krimineller Strukturen angesiedelt ist. Denn dass die Wagen dieser Autoverleiher immer wieder bei illegalen Autorennen auffällig werden, ist eher ein Nebenaspekt. Für Adham Charaby, Leiter des LKA-Zentrums, haben diese Firmen einen anderen Daseinszweck: "Diese dubiosen Autovermietungen sind für das kriminelle Milieu in Berlin systemrelevant. Sie sind einzig und allein dazu gegründet worden, um das kriminelle Milieu mit Fahrzeugen zu versorgen. Das kriminelle Milieu, das eine gewisse Mobilität benötigt, bedient sich dieser Firmen."

Autos dieser Verleihfirmen werden demnach für alle möglichen Straftaten benutzt: als Fluchtfahrzeug bei Einbrüchen, bei Raubtaten, für Kurierfahrten – darunter die sogenannten Kokstaxis. Auch als Prestigeobjekt haben sie Bedeutung. Das Geld für die Autos, ob gekauft oder geleast, stamme dabei selbst aus kriminellen Geschäften: Die Gewinne aus diesen Geschäften werden unter anderem in teure Autos investiert, die wiederum dazu dienen, neue Straftaten zu begehen und neue Gewinne zu generieren.

Kriminelle Mitglieder der Großfamilien als Hintermänner

Adham Charaby spricht deshalb auch von einem Kreislauf, der sich jedoch schwer gerichtsfest nachweisen lasse. Denn die Hintermänner dieser Firmen gehen sehr geschickt vor. Sie setzen Strohleute ein, benutzen Schein-Adressen und Pseudonamen, fingieren Steuernummern und wechseln ständig die Firmenbezeichnungen: ein ganzes Arsenal an Methoden, um die tatsächlichen Besitzverhältnisse zu verschleiern.

Dennoch kann die Analyseeinheit von Adham Charaby in vielen Fällen die Hintermänner wenigstens einkreisen: "Wir haben festgestellt, dass es zahlreiche Firmen gibt, die wir der Clan-Kriminalität zuordnen. Wo wir zum einen wissen, dass viele Personen, die wir der Clan-Kriminalität zurechnen, diese Fahrzeuge nutzen, und dass diese Personen auch dahinterstecken. Die haben natürlich Strohleute eingesetzt, aber sie stecken dahinter und besitzen praktisch diese Firmen und lenken sie auch."

Ihre Strohleute rekrutieren sie nach Erkenntnissen von rbb24 Recherche vor allem im osteuropäischen Ausland. Wie Mariusz S., einem verarmten 50-jährigen Mann, der in einer verkommenen Wohnung im polnischen Legnica lebt. Er wurde mehrfach nach Deutschland verfrachtet und als geschäftsführender Gesellschafter für insgesamt sieben verschiedene Firmen eingesetzt, darunter die World-Autovermietung in Berlin-Neukölln. Ohne ein Wort deutsch zu sprechen, wie aus einem der notariell beglaubigten Gesellschaftsverträge hervorgeht. Von Autos habe er schon gar keine Ahnung, sagt er im Gespräch mit rbb24 Recherche.

Andreas Winkelmann, Amtsanwaltschaft Berlin | Quelle: Adrian Bartocha

Kein Führerschein, aber drei Luxusautos

Den 450 PS-Audi, der im Februar 2021 so schwer verunglückt ist, hatte der Fahrer von einem Mann geliehen, den die Ermittler dem kriminellen Clan-Milieu zurechnen: Mohamed el N.. Der wohnt, genauso wie der Fahrer, in einer der ärmsten Gegenden Berlins, in der Braunschweiger Straße in Neukölln.

El. N. musste auch als Zeuge im Prozess gegen den jungen Raser aussagen. Was er mitzuteilen hatte, machte die Anwesenden stutzig: Er habe zwar keinen Führerschein, verfüge aber über drei luxuriöse Seriensportwagen von Mercedes und Audi. Deren Gesamtwert beträgt gut 300.000 Euro. Auf die Frage, ob er die Autos vermiete, verweigerte er die Auskunft.

Illegale Autorennen in Berlin - Zahlen der Berliner Polizei für 2021:

Dutzende illegaler Autorennen registrierte die Berliner Polizei 2021 (Quelle: Polizei) | Quelle: rbb

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.10.2022, 8 Uhr

Beitrag von Adrian Bartocha und Jan Wiese

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