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Audio: rbb24 Inforadio | 25.11.2022 | Amelie Ernst | Quelle: dpa/Sophia Kembowski

Gewalt gegen Frauen

Berlin und Brandenburg fehlt es an genügend Plätzen in Frauenhäusern

Jede dritte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren. Für viele von ihnen ist der letzte Zufluchtsort das Frauenhaus. Doch die Realität in Berlin und Brandenburg zeigt: Nicht alle finden den notwendigen Schutz.

Die Zahlen sind alarmierend: Jede dritte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren. Jede vierte Frau in der eigenen Partnerschaft. Darauf möchte der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen am Freitag aufmerksam machen.

Für viele betroffene Frauen ist der letzte Zufluchtsort das Frauenhaus. Zu jeder Tages- und Nachtzeit finden sie dort für sich und ihre Kinder Schutz. Doch Berlin und Brandenburg können Frauen weniger Plätze bieten als eigentlich notwendig.

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

"Ich habe Grenzen überschritten, die nicht zu überschreiten sind"

Die Zahlen von häuslicher Gewalt sind noch immer erschreckend hoch. Insgesamt sieben Beratungsstellen in Berlin bieten Hilfe - nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern teilweise auch für die Täter. Wolf Siebert hat zwei davon besucht.

Hotline-Personal unter Druck

Frauen, die in Berlin einen Platz im Frauenhaus suchen, können sich beispielsweise an die Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) wenden. Das Problem: Nicht immer gibt es einen freien Platz, erzählt Kristin Fischer von der Initiative. Viel zu häufig könnten Frauen nicht vermittelt werden.

"Ich beneide die Kolleginnen nicht, die den Hotline-Dienst machen. Eine Frau nicht vermitteln zu können und Angst davor zu haben, was am nächsten Tag in der Zeitung steht, das ist eine Belastung, die schwer auszuhalten ist", sagt Fischer.

Zu wenig Plätze in Berlin

Der Bedarf an Plätzen in den Bundesländern wird nach der sogenannten "Istanbul-Konvention" berechnet, einer Übereinkunft des Europarats. Demnach muss es pro 10.000 Einwohnerinnen einen sogenannten Familienplatz geben. Für Berlin bedeutet das: Rund 900 Schutzplätze werden gebraucht, momentan gibt es aber nur etwa halb so viele.

Laut Ines Schmidt, frauenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, strenge sich der Senat an, die Situation zu verbessern: "Das achte Frauenhaus, wird im ersten Quartal nächsten Jahres eröffnet. Und das neunte Frauenhaus ist schon in Arbeit. Aber wie wir alle wissen, wird das Handwerk auch immer teurer. Zum Schluss muss so ein Frauenhaus auch finanziert werden können."

Trotz leichtem Rückgang in 2021

Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt weiterhin auf hohem Niveau

Geht es um häusliche Gewalt sind meist Frauen die Opfer und Männer die Täter. Das unterstreichen auch die aktuellen Zahlen. In Brandenburg ist die Gefährdung laut Statistik bei weiblichen Personen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren besonders hoch.

Opposition fordert schnellere Umsetzung

Es gibt mehr Geld für Beratungsstellen und Frauenhäuser - eine Million mehr als in diesem Jahr möchte der Senat 2023 ausgeben, insgesamt 17,8 Millionen Euro. Zudem ist die Finanzierung in Berlin einfacher als in vielen anderen Bundesländern. Hier zahlt das Land direkt und allein für die Frauenhäuser. Von der Opposition kommt trotzdem Kritik.

Die FDP-Fraktion fordert in einem Antrag, dass es dringend mehr Frauenhausplätze braucht. Mehr Geld alleine helfe nicht, sagt Maren Jasper-Winter, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion: "Das, was im Haushalt eingestellt ist, wird einfach oft in der Stadt nicht umgesetzt – siehe Schulbau, siehe andere wichtige Infrastruktur – insofern müssen wir schließlich in die Umsetzung kommen und nicht nur auf dem Papier agieren."

Auch Brandenburg hinkt Bedarf hinterher

In Brandenburg stehen aktuell 295 Plätze in Frauenhäusern zur Verfügung. Laut "Istanbul-Konvention" müssten es mindestens doppelt soviele sein. 600.000 Euro sind im neuen Doppelhaushalt dafür vorgesehen, dass Frauen, die Schutz in einem Frauenhaus suchen, dafür nichts mehr bezahlen müssen. Denn anders als in Berlin war das in Brandenburg bisher der Fall.

Für Sahra Damus, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Brandenburger Landtag, ist das ein voller Erfolg: "Wir haben teilweise parteiübergreifend unter den frauenpolitischen Sprecherinnen Druck aufgebaut. Einen so großen Sprung gegen Gewalt an Frauen haben wir in Brandenburg noch nicht gehabt".

Zustimmung findet Damus damit bei Laura Kapp vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser – zumindest was die Nutzungsentgelte betrifft. "Das ist eine Zeitenwende. Denn im Moment zahlen Frauen in Brandenburger Frauenhäusern zwischen sechs und zwölf Euro am Tag. Das bringt uns in die absurde Situation, dass Frauen für ihren Schutz selbst finanziell aufkommen müssen."

Was wurde aus ...? | Frauenhäuser in Berlin

"Es ist wichtig, dass wir auch die Täter in die Verantwortung nehmen"

Die Sozialarbeiterin Kristin Fischer erlebte im Frauenhaus aus nächster Nähe, was häusliche Gewalt bei Frauen und Kindern anrichtet. Zweieinhalb Jahre nach dem letzten Interview erzählt sie, wie sich die Corona-Krise auf Schutzsuchende ausgewirkt hat.

Linke fordert Frauenhausfinanzierungsgesetz

Linken-Politikerin Bettina Fortunato bleibt dagegen skeptisch. Denn an der unsicheren Finanzlage vieler Frauenhäuser ändere sich damit nichts. 111.000 Euro pro Jahr bekommt ein Landkreis maximal vom Land für die Frauenhäuser – egal, wie viele Häuser oder Plätze es vor Ort gibt.

"Das sind nur Nutzungsgebühren, damit sind keine Investitionen oder anderes zu tätigen. Ich werfe der Landesregierung vor, das erstmal dem Bund zu überlassen. Sie wissen, dass die Frauenhäuser unterfinanziert sind", so Fortunato. Auch dass in den Landkreisen nur nach Kassenlage gehandelt wird, sei bekannt. "Eine Festlegung in einem Frauenhausfinanzierungsgesetz würde einen jährlichen Betrag festlegen. Das müsste nicht wieder neu verhandelt werden", sagt die Linken-Politikerin.

Doch die Struktur oder auch die Finanzierung der Frauenhäuser grundsätzlich ändern möchten die Landesregierung und die Kenia-Koalition derzeit nicht. Denn tatsächlich habe der Bund im Koalitionsvertrag zugesagt, sich an der Finanzierung zu beteiligen.

Investitionen in Prävention nötig

Auch Elisabeth Oberthür vom Verein Frauenhauskoordinierung findet, dass Berlin, wie auch andere Bundesländer, mehr Frauenhausplätze braucht. Allerdings mache Berlin Fortschritte, da immer mehr Plätze geschaffen werden.

"Das ist auch ausbaufähig, man kann darüber streiten, ob genug Geld fließt, ob es genug Personal gibt, etc. Aber der Vorteil ist, dass die Frauen selbst sich nicht an der Finanzierung beteiligen müssen", sagt Oberthür.

Neben dem Angebot an Beratungen und Frauenhausplätzen brauche es aber dringend Prävention. Am besten sei es, schon in der Schule damit anzufangen: "In anderen Ländern gibt es sehr gute Projekte, wo es darum geht zu erkennen: Was sind toxische Muster in Beziehungen? Warum ist Eifersucht, wie wir es ganz oft lernen, nicht unbedingt ein Zeichen von Liebe, sondern ganz oft eher von Besitzdenken?"

Es müsste viel mehr auch in Prävention investiert werden - damit die Zahlen sinken und weniger Frauen auf die Plätze in Frauenhäusern angewiesen sind.

Infobox

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.11.2022, 09:00 Uhr

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