Protestkundgebung in Berlin - "Frauen brauchen mehr Frauenhäuser"

Mo 06.03.23 | 13:24 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Eine Frau steht am 21.11.2017 auf einem Balkon eines Frauenhauses in Berlin. (Quelle: Picture Alliance/Sophia Kembowski)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.03.2023 | Sylvia Tiegs | Bild: Picture Alliance/Sophia Kembowski

In Berlin und Brandenburg fehlen fast 900 Plätze für schutzsuchende Frauen. Am Dienstag protestieren die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern für mehr Plätze und eine andere Finanzierung der Zufluchtsstätten. Von Sylvia Tiegs

  • 2021 gab es laut Polizei in Berlin mehr als 15.600 Fälle häuslicher Gewalt, Brandenburg verzeichnete rund 5.000 Fälle
  • 70 Prozent der Opfer sind Frauen
  • Laut eines eurpäischen Übereinkommens müsste es in Brandenburg etwa 600 Plätze in Frauenhäusern geben, derzeit sind es 290
  • In Berlin müssten es demnach etwa 1.000 Plätze sein, aktuell sind es 420

Eine kleine Seitenstraße, irgendwo in Berlin. Hier befindet sich das Frauenhaus Hestia. Die Adresse muss geheim bleiben, genauso wie die Namen der hier Arbeitenden. Es geht dabei um die Sicherheit für die Frauen - damit nicht plötzlich Gewalttäter, vor denen sie geflohen sind, vor der Tür stehen. Es geht aber auch um die Sicherheit der Sozialarbeiterinnen, die die Schutzsuchenden hier betreuen: "Seit es Frauenhäuser gibt, gibt es Angriffe auf die Häuser und auf die Mitarbeiterinnen", sagt die Sozialarbeiterin. Die Personen, vor denen die Frauen geflüchtet sind, seien oft "wirklich gefährlich, teilweise bewaffnet und ohne Skrupel".

Schläge, Tritte, Demütigungen

Die Polizeien von Berlin und Brandenburg verzeichneten allein für das Jahr 2021 zusammen mehr als 20.000 Fälle häuslicher Gewalt. Gerade erst am vergangenen Samstag hat ein Mann in Berlin-Lichtenberg seine Lebensgefährtin mit einem Messer derart schwer verletzt, dass sie reanimiert werden musste. Der jugendliche Sohn der Frau hatte das alles miterleben müssen.

Die Folgen schlimmster körperlicher Gewalt zu sehen, gehört zum Alltag der Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern: "Schläge, Tritte, Würgen; Angriffe mit Waffen", zählt die Sozialarbeiterin des Frauenhauses Hestia auf. Dazu sehen sie aber auch Formen psychischer Gewalt wie "jahrelange Demütigungen, Isolation von der Außenwelt, das Vorenthalten von Geld".

Meist alle Plätze belegt

Wer dem entkommt, findet aktuell in sieben Frauenhäusern in Berlin Zuflucht, zumindest theoretisch. Denn die 420 Plätze sind stadtweit meistens belegt. Allein die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Hestia mussten im vergangenen Jahr 320 Frauen und 258 Kinder ablehnen, weil sie keine Plätze frei hatten. Für Gewaltopfer sei das furchtbar und für die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser "extrem belastend".

Verstoß gegen die Istanbul-Konvention

Dabei hat sich Deutschland 2017 im "Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" - kurz Istanbul-Konvention genannt - international verpflichtet, Frauen vor Gewalt zu schützen. Diese Konvention verlangt unter anderem, ausreichend Notfallplätze vorzuhalten. Dafür gilt folgende Formel: Pro 10.000 Einwohner:innen soll es einen sogenannten Familienplatz geben. Ein solcher Platz gilt rechnerisch für eine Frau und ein bis zwei Kinder. Für Berlin wären das demnach etwa 1.000 Plätze in Frauenhäusern - mehr als das Doppelte dessen, was aktuell vorhanden ist.

In Brandenburg ist es ähnlich: Hier gibt es aktuell rund 290 Plätze in Frauenhäusern, nach der Istanbul-Konvention müssten es aber etwa 600 sein. Tatsächlich machen auch Brandenburger Einrichtungen regelmäßig die bittere Erfahrung, schutzsuchende Gewaltopfer wegschicken zu müssen – weil sie belegt sind.

Aufruf zu Streik am Dienstag

Nun haben die autonomen Frauenhäuser für Dienstag zum deutschlandweiten Streik aufgerufen. Autonome Frauenhäuser sind Einrichtungen, die selbständig arbeiten, ohne einen kirchlichen oder sozialen Träger im Hintergrund. Die zentrale Protestkundgebung soll ab 13 Uhr in Berlin vor dem Brandenburger Tor stattfinden.

Sie fordern mehr Frauenhausplätze und eine bessere Finanzierung. Zwar werden alle deutschen Frauenhäuser staatlich unterstützt. Aber im Grundsatz entscheidet jedes Bundesland, jeder Stadtstaat selbst, wie und welcher Höhe Gelder fließen. Frauenhäuser fordern stattdessen eine bundesweit einheitliche und auskömmlichere Regelung. Wie die aussehen könnte, auch darüber wollen die Vertreterinnen der Frauenhäuser bei ihrem Protest am Dienstag vor dem Brandenburger Tor informieren.

Die Mitarbeiter des autonomen Berliner Frauenhauses Hestia wollen auch zur Kundgebung fahren. "Wir haben im Haus einen Notbetrieb organisiert, und wir nehmen unser Rufbereitschaft-Telefon mit.“ Da sich ihre Arbeit immer zwangsläufig im Verborgenen abspiele, sei es ihnen wichtig, einmal geschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen und darüber berichten, dass Frauen massiv unter Gewalt leiden. "Frauen brauchen mehr Frauenhäuser!", betont die Sozialarbeiterin.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.03.2023, 06:30 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

18 Kommentare

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  1. 18.

    Toscana:
    "Wir brauchen nicht mehr Frauenhäuser! Wir brauchen geregelte Strafen für Schläge, es sollte keine Frau und kein Mann in Deutschland geschlagen werden. Werd die Hand gegen Frauen oder Männer erhebt muss bestraft werden ohne, dass die Frau oder der Mann Anzeige erstatten muss…. Wo leben wir denn?"

    Der 1. Satz ist FALSCH! Weil es nie den Idealzustand geben wird. Es wird - leider - immer Machos geben, selbst im besten Erziehungssystem. Und daher werden - leider - immer Frauenhäuser gebraucht werden.

  2. 17.

    Wie kommen Sie darauf das diese Aussage falsch ist. Selbstverständlich ist es auch Ausdruck mangelnder Achtung, mangelnder Wertschätzung, wird einer Frau noch immer und statistisch nachweisbar für gleiche Arbeit weniger Lohn bezahlt.
    Das musste ja nun aktuell auch einem Arbeitgeber in Sachsen per Arbeitsgericht beigebracht werden: Er kann einer Frau nicht jahrelang weniger Lohn bezahlen und es damit begründen, die Männer hätten halt besser verhandelt.

    Man kann ja auch feststellen: Die notorische Unterbezahlung im Bereich Pflege und Care ist der Tradition geschuldet, dass Frauen sie üblicherweise gratis machten. Seitdem das nicht mehr selbstverständlich ist - weil die Ökonomie das verlangt, weil Frauen sich darauf nicht mehr reduzieren und (strukturell) hineinpressen lassen, ist Aufregung und erstaunen gross, wie "teuer" wie wertvoll, wie konstituierend diese gesellschaftlich zentrale Arbeit ist. Das rechnete die Ökonomie der informelle Männerquote in ihren Exceltabellen nicht ein.

  3. 16.

    Ganz meine Meinung. Nach außen hin schön modern und aufgeschlossen glänzen. Wie die Politik in Deutschland aussieht ist doch eigentlich egal. Klar braucht es mehr erste Anlauf- und Schutzstellen für Frauen, die häuslicher Gewalt und Erniedrigungen ausgesetzt sind. Gleichzeitig sollten jedoch auch Hilfsangebote vorhanden sein, die das Selbstbewusstsein von Frauen stärken. Das aktuelle Strafrecht in Bezug auf Gewaltdelikte ist ein absoluter Witz ist. Es sind oft keine Bagatellen. Auch hier sollte zwingend nachgebessert werden. Frauen, die den Mut haben und versuchen, Misshandlungen anzuzeigen, werden (leider) oft nicht ernst genug genommen. Auch bei der Polizei besteht deshalb Schulungs- und Nachbesserungsbedarf.

  4. 15.

    Diese historischen Fakten und ihre bis heute andauernden Folgen hat doch niemand bestritten. Der Kommentar von 'Berliner:_*innen' bezog sich aber ganz offensichtlich auf folgende sachlich weitgehend falsche Aussage des Nutzers 'Femizid': "Man zahlt Frauen für gleiche Arbeit weniger, weil man diese Leistung nicht anerkennen will. Soll die Frau doch schuften und nur die Hälfte bekommen, was daran soll schon frauenverachtend sein."

  5. 14.

    Berliner:_*innenMontag, 06.03.2023 | 21:44 Uhr
    Antwort auf [Femizid] vom 06.03.2023 um 13:35
    "(...) nur daran liegt dass die Frauen Jobs machen die eben schlechter bezahlt werden bzw häufig in teilzeit arbeiten".

    Aha. Und warum haben Frauen in der Realität der tausendjährigen informellen Männerquote die schlechteren Jobs, in der Folge Pay-gap? Wie hängt das vielleicht zusammen? Dazu das Frauen in Europa -mit Glück- erst seit 100 jähren Wahlrecht haben? (Schweiz: 1971!!) Wie hängt es mit der Selbstverständlichkeit zusammen, dass Ehefrauen gesetzlich ihrem Ehemann Sex zu liefern haben? (Gegen Stimmen der CDU 1997 abgeschafft) Wie damit, dass eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, ein eigenes Bankkonto zu führen Frauen nur mit Zustimmung eines Mannes erlaubt war?
    Was glauben Sie bewirken all diese Puzzleteile, in die Tiefe, Breite, langen Zeitraum? Bei der Vorstellung eines Mannes, die Frau sei Eigentum? Wie bildet sich das vielschichtig, strukturell, alltäglich für die Frau ab?

  6. 13.

    @femizid, Sie argumentieren zu simpel.
    Nach Ihrer Vorstellung müssten gut bezahlte Frauen keine Probleme haben. Gewalt geht aber durch alle Schichten. Und die Abhänigkeit zu den Tätern ist nicht immer finanzieller Natur. Sie sollten sich mit dem Thema vielleicht mal differenzierter beschäftigen.

  7. 12.

    Auch von manchen Frauen geht physische, vor allem aber psychische Gewalt aus. Dennoch schlagen Frauen statistisch deutlich seltener zu. Daher sind Fluchträume besonders für Frauen vor allem gegen körperliche Gewalt eine gute kurzfristige Lösung und die Forderungen der Demonstrierenden richtig. Längerfristig hilft aber nur, dass Menschen einen anderen, reflektierteren Umgang mit offenen und versteckten Aggressionen finden: als Täter, aber auch als Opfer und als Beobachtende. Denn viel zu oft wird Gewalt viel zu lange toleriert. Und Strafen alleine bringen es leider nicht: Aggressionen laufen meist ab, bevor das Denken einsetzt. Das Angebot an psychologischer Hilfe für Opfer UND Täter UND das Umfeld muss also deutlich größer werden. Auch und gerade in Schulen muss noch mehr der Umgang mit fremder und eigener, körperlicher und seelischer Gewalt trainiert werden. Hier gibt es bereits viele positive Ansätze, für die aber oft Personal fehlt.

  8. 11.

    Politische eiferer mit falschaussagen wie sie sind genau das was die frauenwelt nicht braucht.
    Es wurde schon lange dargelegt dass der pay Gap nur daran liegt dass die Frauen Jobs machen die eben schlechter bezahlt werden bzw häufig in teilzeit arbeiten.
    Aber gut das kommt bei ideologisch verblendeten scheinbar nie wirklich an.

  9. 10.

    Wir brauchen nicht mehr Frauenhäuser! Wir brauchen geregelte Strafen für Schläge, es sollte keine Frau und kein Mann in Deutschland geschlagen werden. Werd die Hand gegen Frauen oder Männer erhebt muss bestraft werden ohne, dass die Frau oder der Mann Anzeige erstatten muss…. Wo leben wir denn?

  10. 9.

    Die Jusos Bremen fordern aktuell einen männerfreien Jahrmarkttag, damit Frauen auch einmal geschützt vor übergriffigen Männern Spass haben können.
    An gute Erziehung scheinen die jungen der SPD nicht mehr zu glauben.
    Vielleicht wissen die SPD-Jungen mehr, stellt doch ihre Partei die feministische Bundesinnenministerin.

  11. 8.

    Sie kennen den Zusammenhang zwischen Abhängigkeiten und Gewalt gegen Frauen nicht? Dann beschäftigen Sie sich mit dem Patriarchat und der Rolle der Frau. Gleichberechtigte Frauen landen selten in Frauenhäusern, Frauen, die gleichen Lohn bekommen, sind frei und unabhängig.

  12. 7.

    feminine Innenpolitik…..???
    sollte nicht endlich begonnen werden, die männliche Jugend entsprechend unserer Normen und Gesetze zu erziehen ???

  13. 6.

    Verstehe Ihren Kommentar nicht ...
    Ein Anfang, müssen uns nicht überall einmischen, keinen Wert auf Reichtum, Frauenhäuser wären Luxus

  14. 5.

    Auch wenn ich von unserer Außenministerin nicht viel halte sind separierte Toiletten in Nigeria ein Anfang. Hierbei muss man auch betrachten das wir nicht Weltpolizei spielen können und den Leuten in Nigeria alles vorschreiben können. Vor allem dann wenn es sich um ein Land handelt in dem man nicht so viel Wert auf Reichtum setzt. Frauenhäuser wären in Nigeria daher eher ein Luxus.

  15. 4.

    Während Frau Baerbock in Nigeria Toilettenhäuser im Zentrum eines Dorfes zur Sicherheit von Frauen und Mädchen fordert, brauchen wir in unserer femininen Glückswelt Frauenhäuser, um Frauen und Kinder von ihren gewalttätigen Männern zu separieren.
    Wann kommt in Deutschland endlich eine feminine Innenpolitik, die Frauen und Kinder vor Vergewaltigungen, Körperverletzungen und Morden schützt?

  16. 3.

    @Femizid, hier ging es um Gewalt gegen Frauen und eventuell deren Kindern. Das gleiche Gehalt für alle Geschlechter ist ein anderes Thema.
    Beide Themen sind aber komplexer als eine einfache Schuldzuweisung.
    Vor allem ging es hier aber um Angebote, die nicht ausreichend vorhanden sind.

  17. 2.

    "Die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik soll stärker auf die Rechte von Frauen und Mädchen achten."
    Passt doch alles nicht mehr zusammen.
    Armes Deutschland!

  18. 1.

    Frauen brauchen Akzeptanz, Sicherheit und Wertschätzung. Frauenhäuser benötigen Frauen nur, weil ein Teil der Männer patriarchalischen Strukturen angehören. Deshalb ist das Recht der Frau noch nicht im Arbeitsleben angekommen. Man zahlt Frauen für gleiche Arbeit weniger, weil man diese Leistung nicht anerkennen will. Soll die Frau doch schuften und nur die Hälfte bekommen, was daran soll schon frauenverachtend sein.
    Frauen brauchen keine Frauenhäuser. Frauen, die abhängig von Männern sind, benötigen sehr oft Frauenhäuser.

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