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Quelle: Picture Alliance/Jochen Eckel

Auslastung über 90 Prozent

Minusgrade bringt Notunterkünfte für Obdachlose wieder an Kapazitätsgrenzen

Minusgrade sind für obdachlose Menschen lebensbedrohlich. Viele, die sonst draußen bleiben, haben diese Woche wieder Hilfe bei den Notunterkünften gesucht. So dramatisch wie zum Kälteeinbruch im Dezember ist die Lage aber noch nicht.

Die Berliner Notunterkünfte für wohnungs- und obdachlose Menschen sind diese Woche zu über 90 Prozent belegt gewesen. Wie die Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe auf rbb-Anfrage mitteilt, sind die Auslastungen wegen der anhaltend tiefen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt angestiegen. In der vergangenen Woche lag die Auslastung noch bei durchschnittlich 88 Prozent. Durchschnittlich seien in der gesamten Obdachlosenhilfe in Berlin noch 100 Plätze frei gewesen. Zwischen 1.145 und 1.178 Plätze habe es insgesamt gegeben. Die Zahl der Plätze ist täglichen Schwankungen unterworfen.

Damit ist die Lage trotz der Kälte entspannter als noch im Dezember. Die Berliner Kältehilfe musste im letzten Monat des vergangenen Jahres regelmäßig weit mehr Menschen in ihren Notunterkünften annehmen, als Plätze vorgesehen waren, schildert Kältehilfe-Sprecherin Barbara Breuer. So seien beispielsweise zum Kälteeinbruch am 1. Dezember allein in der Notunterkunft in der Lehrter Straße 160 Leute aufgenommen worden - 35 Menschen mehr, als aufgenommen werden dürften und sollten und auch bezahlt würden. "Die Leute haben keine Bettenplätze mehr erhalten, sondern teils im Sitzen mit dem Kopf auf dem Tisch im Speisesaal geschlafen", so Breuer. Ende Dezember wurde es milder, der 31.12. sei der einzige Tag des Monats gewesen, in dem weniger Menschen einen Platz brauchten, als die Kältehilfe anbiete.

Hotlines für Menschen in Not

172 zusätzliche Plätze seit Dezember

Sobald die Auslastung über 90 Prozent steigt, informieren die Träger den Senat, sagt Natalija Miletic von der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe Gebewo. Im Notfall könne der dann weitere Plätze kurzfristig zur Verfügung stellen, zum Beispiel in Hostels. Bisher sei das aber nicht nötig gewesen. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung teilt auf X mit, dass jeder, der ein Bett braucht, auch eins bekomme.

Miletic und ihre Kolleginnen und Kollegen seien überrascht, dass trotz der frostigen Temperaturen, Schnee und Eis die Notunterkünfte diese Woche nicht komplett ausgelastet waren. Über die Gründe kann die Koordinatorin der Kältehilfe nur spekulieren: "Die Bezirke und der Senat haben im Dezember zwei weitere Notunterkünfte geöffnet, in Charlottenburg gibt es nun 150 Plätze mehr und in Reinickendorf 22 Plätze nur für Frauen mehr." Vielleicht habe das zur Entlastung beigetragen, so Miletic.

Stadtarmut wächst

Kältetote habe es nach Information der Berliner Stadtmission und Kältehilfe bisher dieses Jahr nicht gegeben. Sicher sein könnte man sich darüber aber nicht.

Trotz der entspannteren Lage als in der Vergangenheit spricht Breuer von der Stadtmission von dramatischen Rekordwerten in der Obdachlosenhilfe. Bei der Kleiderkammer kämen inzwischen 180 Menschen pro Tag, 2022 waren es durchschnittlich 120 Personen täglich. In der Kälteperiode diese Woche seien pro Nacht durchschnittlich 198 Anrufe bei den Kältebussen eingegangen - normalerweise gebe es 50 bis 60 Anrufe pro Nacht.

Zudem mangle es an Tagestreffs. In der City-Station nahe dem Kurfürstendamm seien im Jahr 2023 etwa 1.000 Gäste mehr gekommen als im Jahr 2022. "Manche Menschen kommen aus der Umgebung, das sind Rentnerinnen und Rentner, die nur Wäsche waschen und die wieder zu Hause aufhängen. Die können sich teils die Wasser- und Energiekosten nicht mehr leisten." Daran sehe man, dass die Stadtarmut wachse, so Breuer.

Mobilitätseingeschränkte Menschen benachteiligt

Der Tagestreff am Containerbahnhof nahe der Frankfurter Allee in Friedrichshain, betrieben von der Gebewo, musste zum Jahresende nach acht Monaten wieder schließen, weil die EU-Finanzierung ausgelaufen sei, so Breuer. 300 Menschen wüssten seit dem nicht mehr, wo sie sich tagsüber aufwärmen, ihre Wäsche waschen und essen könnten. "Viele sind in die U-Bahnhöfe geflohen, entlang der Samariterstraße sehen wir viele obdachlose Menschen, die sich auf die Bänke legen."

Zudem fehle es an Notunterkunftsplätzen für mobilitätseingeschränkte Menschen, so Breuer weiter. Die Traglufthalle am Containerbahnhof wird weiterhin von der Stadtmission nachts genutzt und ist barrierearm. 150 Menschen mit Gehstützen und Rollatoren könnten dort die Nacht verbringen. "Wenn die Unterkunft abends um 8 Uhr öffnet, stehen die Leute mit Rollis Schlange." Sie wünscht sich für Menschen mit Geheinschränkungen mehr Plätze.

Pilotprojekt in Berlin

Reinickendorf stellt Schließfächer für Wohnungslose auf

Damit Wohnungslose ihr Hab und Gut sowie Wertsachen in Sicherheit bringen können, hat der Berliner Bezirk Reinickendorf Schließfächer aufgestellt, die Nutzung ist kostenlos. Der Mitinitiator hofft nun auf Nachahmende in anderen Bezirken.

Breuer und Miletic möchten Berlinerinnen und Berliner ermutigen, aufmerksam durch die Stadt zu gehen und hilflos wirkenden Menschen zu helfen. Dabei sollte man der wohnungs- oder obdachlosen Person auf Augenhöhe begegnen und zunächst fragen, ob die Hilfe gewünscht ist. Wenn die Person in eine Notübernachtung möchte, sollte man den Kältebus anrufen. Ist die Person nicht mehr ansprechbar, sollte man die Polizei und den Rettungsdienst informieren.

Sendung: rbb24 Abendschau, 17.01.2024, 19:30 Uhr

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