Cannabisgesetz - Berliner Justizsenatorin warnt vor "Bürokratiemonster"

Do 14.03.24 | 08:06 Uhr | Von Susett Kleine und Carla Spangenberg
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Archivbild: Felor Badenberg Berliner Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz am 08.09.2023. (Quelle:picture alliance/Sebastian Gollnow)
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Ab April soll das neue Cannabisgesetz in Kraft sein. Justizbehörden würde es erheblich belasten, kritisiert Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg. Sie möchte die darin enthaltene Amnestieregelung streichen oder verzögern. Von Susett Kleine und Carla Spangenberg

  • Berliner Justiz stehen laut Senatorin tausende Einzelprüfungen bevor
  • Staatsanwaltschaft: betrifft rund 3.500 Verfahren
  • Auch Justizministerium in Brandenburg sieht Mehraufwand für Behörden
  • Cannabisgesetz am 22. März im Bundesrat

Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) warnt vor der Einführung des Cannabisgesetzes. Im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "Kontraste" bezeichnet sie das Vorgehen der Bundesregierung gar als "absolut unverantwortlich". Mit dem Gesetz werde ein riesiges "Bürokratiemonster" geschaffen, das die Justiz allein zu bewältigen habe. Wie dies zu bewerkstelligen sein könnte, ist offenbar bei Weitem nicht geklärt.

Hintergrund der Bedenken ist vor allem die geplante Amnestieregelung. Das Gesetz sieht vor, dass noch nicht vollständig vollstreckte Strafen wegen Cannabisdelikten, die künftig nicht mehr strafbar wären, erlassen werden müssen. Um wie viele Fälle es dabei insgesamt geht, ließ sich bislang nicht ermitteln. Aussagen von Justizministerien der Länder auf Anfrage von Kontraste legen nahe, dass bundesweit wohl mindestens zehntausende Verfahren betroffen sind.

Tausende Einzelprüfungen

Die Justiz soll jene Vollstreckungsverfahren einzeln prüfen. So müsste die Staatsanwaltschaft Berlin nach eigenen Angaben rund 3.500 Verfahren darauf untersuchen, ob rechtskräftige Urteile ganz oder teilweise unter die Amnestieregelung fallen. "Man muss schauen, welche Akten einschlägig sein könnten. Dann müssen diese Akten aus den Archivräumen, aus den Kellerräumen erst mal zusammengetragen werden und dann müssen sie manuell gesichtet werden", sagt Badenberg. Wer wegen eines Cannabisdelikts im Gefängnis sitze, müsse womöglich sofort entlassen werden. Zu prüfen sei aber auch: "Stand nur der Vorwurf des Cannabisbesitzes im Raum oder standen auch andere Straftaten im Raum, wie beispielsweise Diebstahl, Untreue, Hehlerei? Da muss eine neue Strafe festgesetzt werden."

Die als liberal geltende "Neue Richter:innenvereinigung" lässt solche Argumente nicht gelten. Schon im September des vergangenen Jahres sei der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf befasst gewesen. "Dass die Regelung organisatorischen Aufwand für die Justiz bedeuten würde, hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt. Es wäre also möglich – und geboten – gewesen, Vorkehrungen für den Gesetzeserlass zu treffen", erklärt sie in einer Stellungnahme. Auch die mangelnde Digitalisierung der Verfahrenspflege und die unzureichende Erfassung der Gründe von Verurteilungen, die nun zum erheblichen Mehraufwand bei der Prüfung der Vollstreckungsverfahren führen sollen, dürften nicht zulasten der Verurteilten gehen.

Auch Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband hält die Argumentation der Justizbehörden für eine Hinhaltetaktik: "Es sind insbesondere diejenigen, die sowieso immer schon gegen die Legalisierung waren, wie der Richterbund zum Beispiel, die jetzt dieses Thema noch mal hochpumpen, sozusagen als letzter Strohhalm, um noch mal irgendwie Sand ins Getriebe zu werfen", sagt er zu "Kontraste".

Das Gesundheitsministerium weist in einer Stellungnahme an die Bundesländer die Kritik der Justizbehörden zurück und geht von deutlich weniger Fällen aus, die es zu überprüfen gilt.

Kleinteilige Kontrollen

Ein erklärtes Ziel der Entkriminalisierung des Cannabiskonsums durch das neue Gesetz ist es, Behörden zu entlasten. Berlins Justizsenatorin Badenberg befürchtet stattdessen einen langfristigen Mehraufwand für Behörden. Grund dafür seien die kleinteiligen Regelungen des Gesetzes. So müssten in der Öffentlichkeit Konsumierende einen Abstand von 100 Metern etwa zu Eingängen von Schulen und Kitas halten. Die sogenannte "Bubatzkarte" [bubatzkarte.de] eines Koblenzer Softwareentwicklers vermittelt einen Eindruck davon, was diese Vorgabe in der Praxis bedeuten könnte: Orte, an denen im dicht besiedelten Berlin gekifft werden dürfte, wären demnach eher die Ausnahme.

Mehraufwand für Behörden

Auch das Justizministerium in Brandenburg sowie fünf weitere Bundesländer, die "Kontraste" angefragt hat, rechnen mit einer langfristigen Mehrbelastung durch das Gesetz.

Acht teilten mit, sie könnten dies noch nicht abschätzen. Eine Ausnahme stellt Bremen dar. "Wir gehen davon aus, dass es nach der Abarbeitung der Rückwirkungsproblematik deutlich weniger Verfahren gegen Cannabis-Konsument:innen geben wird als bisher", so eine Sprecherin von Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD).

Der Verkauf von Cannabis soll auch mit dem neuen Gesetz verboten bleiben. Allerdings soll es möglich sein, dass sogenannte Anbauvereinigungen gemeinschaftlich Cannabis anbauen und an ihre Mitglieder abgeben können. Die Vereinigungen müssten dafür eine Lizenz beantragen. Möglich sein soll das erst ab Juli, obwohl das Gesetz nach derzeitigem Stand bereits ab April in Kraft treten soll.

Offenbar ist noch nicht einmal klar, welche Behörde dafür zuständig sein würde. Kontraste hat die Berliner Senatskanzlei gefragt, welche Behörde für die Vergabe der Lizenzen für Anbauvereinigungen sowie für deren Kontrolle zuständig sein soll. Die knappe Antwort eines Sprechers des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU): "Wir bitten um Verständnis dafür, dass die Senatskanzlei sich nicht zu einem laufenden Gesetzgebungsverfahren äußert."

Entscheidung im Bundesrat

Justizsenatorin Badenberg hofft indes auf den Vermittlungsausschuss des Bundesrates. Sie fordert, auf die geplante Amnestieregelung ab April zu verzichten oder der Justiz eine großzügige Übergangszeit zur Bearbeitung der Fälle zu gewähren. Alternativ könnte das Gesetz auch erst später in Kraft treten. Entscheiden soll darüber am 22. März der Bundesrat.

Sendung: rbb24, 14.03.2024, 13:00 Uhr

Beitrag von Susett Kleine und Carla Spangenberg

53 Kommentare

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  1. 53.

    Gemach, Gemach, Leute. Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat,wo es nochmal zurecht geschnitten und zusammen gestutzt wird. Ich finde es gut, dass endlich Mal ein Gesundheitsminister den Mut hat und aufräumt. Ob Cannabis schädlicher ist als Alkohol, ist noch nicht bewiesen.Beim Alkohol ist das klar. Korsakoff Syndrom, Endstadium .

  2. 52.

    Also Sie fordern ein generelles Rauchverbot und, konsequenterweise, auch ein generelles Alkoholverbot? Das wirkt wie der Rest Ihres Kommentars etwas realitätsfern...

  3. 51.

    Ich kenne genug Menschen, die am Wochenende gerne mal ein paar Gläser Wein oder ein paar Bierchen oder auch Cocktails trinken. In Maßen konsumiert ist der Schaden nicht wirklich zu erkennen. Und Cannabis ist sogar deutlich weniger schädlich als Alkohol.

  4. 50.

    "Wir bitten um Verständnis dafür, dass die Senatskanzlei sich nicht zu einem laufenden Gesetzgebungsverfahren äußert." gilt das jetzt für jedes oder nur bei diesen Verfahren

  5. 49.

    Also die Volksdroge Nummer eins ist Alkohol.
    Dann sollte man vielleicht damit anfangen und nicht hier Panik verbreiten.

    Aber daran ist wahrscheinlich auch noch die Ampel schuld.

  6. 48.

    Heute muss man eher damit rechnen, von einem Betrunkenen überfahren zu werden oder von einem ungeduldigen 83-Jährigen auf der Fahrradspur.

    Ja, ich kann Sie nur ermutigen, eine Partei zu gründen, die Rauchen komplett verbietet. Und Alkohol. Und die Führerscheinüberprüfungen für Senioren einführt. Das wird ein Senkrechtstarter!

  7. 47.

    Die Ampel mal wieder gegen alle, die irgendwie halbwegs Ahnung haben. Ist das nicht schon Staatswohlgefärdend? Ich habe nichts dagegen wenn jemand Kifft, aber wenn ich in einen Verkehrsunfall verwickelt werde weil sich jemand im Rausch selbst überschätzt oder 0 Reaktion hat oder meine Wohnung + Kinderzimmer neben Zigarettenqualm jetzt auch noch mit Kiff zugedröhnt ist, dann hört der Spaß auf. Wenn die Ampel kritische Wähler ruhig stellen will, dann soll sie mit ihrer Politik überzeugen und sie nicht mit Drogen ruhig stellen.
    Der richtige Weg wäre Rauchen endlich zu verbieten statt noch mehr Drogen zu legalisieren.

  8. 46.

    Das ist so allgemein an alle die gestellt die in den Kommentaren die Gefahr von Schulen, Kitas usw. sehen wenn in deren Umgebung geraucht, getrunken usw. wird.
    Es sollte dann doch mal mehr als „ist bestimmt schlecht“ geben wenn man schon sowas fordert wie 200m um diese Einrichtungen herum.
    Hatte ich letztens gerade lesen…. In Deutschland ist Meinung mehr wert als Daten/Fakten.

  9. 45.

    In jedem anderen Land Europas wäre die Suche nach Deliktarten nach wenigen Minuten erledigt. Vermute mal die Datenbank der Berliner Staatsanwaltschaft ist noch ein Stapel Karteikarten mit entsprechender Suchfunktion.
    Aber hier ist ja schon eine einfache Ummeldung beim Bürgeramt bereits ein Bürokratiemonster.

  10. 44.

    Ruft mich ein Bekannter an, der am Amt arbeitet. Ich sage: Ich habe im Moment zu tun, kann ich dich gleich zurückrufen? Antwort: Das ist schlecht, ich geh' nicht dran.

    Richten wir jetzt das geltende Recht danach aus, wozu die Bediensteten in den Amtsstuben Lust haben?

  11. 43.

    Gegen das "Bürokratiemonster" hilft nur schnell einen Durchziehen - Dann ist einem das egal.

  12. 42.

    Stellen Sie sich diese Fragen jetzt selber oder einfach so in die Allgemeinheit geschmettert?
    Diese Fragen müssen sie denen stellen, die in einer Stadt bzw. Kommune solche Bann-Gebiete um Schulen und Kitas beschlossen und erlassen haben.

  13. 41.

    Jürgen Berlin Donnerstag, 14.03.2024 | 09:53 Uhr
    "Die Senatorin warnt spät, der "Speedy" Minister Lauterbach hat sich da was schönes ausgedacht. Die Politik - Kabarettisten lachen schon seit Tagen ........ .und die Gesundheitsexperten schütteln die Köpfe."

    Ja schön, dass Sie noch mal Ihre selektive Wahrnehmung von "Experten" referieren.
    So geht halt Extremismus.

  14. 40.

    Es ist zwingend erforderlich, dass ein Vermittlungsausschuss eingesetzt wird und die Amnestieregelung möglichst gestrichen wird. Es gibt kein (!) sachliches Argument für die Amnestie, sondern es ist reine Klientelpolitik, die zugleich die Strafjustiz auf Monate lahmlegen würde.

  15. 39.

    Im Falle der "Amnesie" wohl eher gar nicht...

    (Amnesie = "Form der Gedächtnisstörung, die sich durch eine zeitliche und/oder inhaltliche Beeinträchtigung der Erinnerung bemerkbar macht.")

  16. 38.

    Ich finde das gut.
    Der Staat demontiert sich selbst.
    Erst durch die fortschreitende Deindustralisierung, der Aufgabe des Gesundheitssystem, jetzt ist die Justiz dran.

  17. 37.

    Homeoffice ist heute weiter als zu Corona verbreitet - was man hat hat man - die SPD sollte diesen ungerechten Müll in Interesse aller wieder abschaffen. Kein wunder dass alles so lange dauert

  18. 36.

    Wegen Faulheit weiter unrecht walten lassen genau mein Humor

  19. 35.

    Echt ? Gute Frage, vielleicht Cannabis Lobbyisten ? Er muss aber die Verantwortung übernehmen, oder ? Müssen noch die Politiker die Verantwortung übernehmen, oder werden Sie zu Strafe "nach Brüssel" geschickt?

  20. 34.

    Als wenn das alles so plötzlich kommt, es ist schon seit Monaten bekannt und die Behörden waren einfach nur faul sich vorzubereiten.

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