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Video: Brandenburg Aktuell | 01.12.2021 | Friedrich Herkt | Studiogast Georg Fritz | Quelle: rbb|24

Studie zur Corona-Ausbreitung

Ungeimpfte sind wohl an acht von zehn Infektionen beteiligt

Ja, auch Geimpfte tragen das Virus weiter, und ja, auch Geimpfte können schwer erkranken. Aber: Die Wahrscheinlichkeit dafür ist ungleich geringer, wie jetzt eine Studie der Humboldt-Universität Berlin bestätigt. Von Haluka Maier-Borst

"Impfungen gehören du den wirksamsten Mitteln der Pandemiebekämpfung", so beginnt eine neue Studie [rocs.hu-berlin.de] von Forscherinnen und Forschern der Humboldt-Universität Berlin. Ein deutliches Statement. Gleichzeitig ist aber auch klar: Impfstoffe sind nicht perfekt. Einige Menschen geben trotz Impfungen das Virus weiter, einige Geimpfte stecken sich trotzdem an und ja, manche davon erkranken sogar schwer.

Diese beiden Fakten ins Verhältnis zu setzen und zu zeigen, wie viele Infektionen auf Geimpfte und Ungeimpfte zurückzuführen sind, das war das Ziel jener Modellierungsstudie, die rbb|24 vorab einsehen durfte. Der Startpunkt der Studie waren dabei Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu geimpften und ungeimpften symptomatischen Fällen zwischen 11. Oktober und 7. November 2021.

Allein diese Daten (siehe Grafik oben) zeigen einen deutlichen Unterschied in der Häufigkeit von Erkrankungen zwischen Geimpften und Ungeimpften. Allerdings könnten die Zahlen verzerrt sein. Denn denkbar ist zum Beispiel, dass Ungeimpfte genauso oft erkranken wie Geimpfte, aber häufiger Symptome zeigen und deswegen häufiger in die Statistik eingehen. Oder dass sie öfter getestet werden, wenn es einen Verdachtsfall gibt.

Trotzdem berechneten Ben Maier und seine Kolleginnen und Kollegen basierend auf den RKI-Daten zunächst einmal eine optimistische Schätzung zur Wirksamkeit der Impfungen gegen Infektionen von ungefähr 72 Prozent und mehr. Und sie fütterten mit dieser Schätzung eine Modellierung, die auch einberechnet, wie viele Menschen in jeder Altersgruppe geimpft sind und wie viele Kontakte sie haben.

Heraus kam eine Berechnung, die aussagt, wie oft folgende vier Infektionswege vorkommen:

1. Ungeimpfte stecken Ungeimpfte an
2. Ungeimpfte stecken Geimpfte an
3. Geimpfte stecken Geimpfte an
4. Geimpfte stecken Ungeimpfte an

Konkret sieht das Bild wie folgt aus:

Bei mehr als der Hälfte aller Infektionen stecken Ungeimpfte andere Ungeimpfte an. Bei weiteren 40 Prozent aller Fälle steckt entweder ein Ungeimpfter oder eine Ungeimpfte Leute mit Impfungen an oder eine geimpfte Person steckt Ungeimpfte an. Und lediglich bei neun Prozent der Fälle steckt eine geimpfte Person andere geimpfte Personen an.

Um aber sicher zu gehen, dass die Erhebung des RKI und der Fokus auf die symptomatischen Fälle die Ergebnisse nicht einseitig verzerren, fütterten Maier und seine Kolleg:innen die Modellierung auch einmal mit deutlich pessimistischeren Daten. Diese niedrigeren Zahlen zur Wirksamkeit der Impfungen stammen aus einer britischen Studie. Demnach würde die Impfung bei den 12 bis 60-Jährigen nur 60 Prozent der Infektionen und bei allen über 60 Jahren sogar nur die Hälfte der Infektionen verhindern [nature.com].

"Aber selbst in diesem Szenario, mit einer im Schnitt deutlich niedrigerer Wirksamkeit der Impfungen, machen die Ungeimpften die Mehrheit der Ansteckungen aus", sagt Maier.

Nur 16 Prozent der Fälle würden einzig und allein unter den Geimpften auftauchen, der Rest würde durch Ungeimpfte als Verbreitende oder als Infizierte zustande kommen. Auch andere Annahmen zum Beispiel darüber ob Kinder deutlich weniger ansteckend als Erwachsene sind oder auch wie sehr Geimpfte und Ungeimpfte miteinander in Kontakt sind, ändern nichts fundamentales an der Schlussfolgerung. Die Ungeimpften sorgen für den Löwenanteil des Pandemiegeschehens.

Andere Epidemiologen, die nicht an der Studie beteiligt waren, sehen die Arbeit von Maier und seinem Team als solide an. Benjamin Steinegger von der Universität Rovira i Virgili in Tarragona spricht von "eleganter" Methodik hinter den Ergebnissen. Lediglich für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass Ungeimpfte und Geimpfte sich gar nicht untereinander treffen, seien die Ergebnisse wohl wenig verlässlich.

Ähnlich sieht es auch der Modellierer Peter Klimek von der Medizinischen Universität Wien. Allerdings sieht bei den Schlussfolgerungen aus der Studie durchaus noch Fragen offen.

So schätzt die Studie zum Beispiel, dass die Zahl der Neuinfektionen massiv sinken würde, wenn 90 Prozent aller Menschen über 12 Jahren oder eben 80 Prozent der gesamten Bevölkerung geimpft wären. "Ob das aber so einfach ist, wissen wir nicht genau, weil natürlich mit der Zeit auch immer wieder der Schutz in der Bevölkerung nachlässt", sagt Klimek.

Welche Maßnahmen lassen sich nur auf Ungeimpfte beschränken?

Zugleich deutet die Studie an, dass Maßnahmen wie häufigeres Testen oder gar Kontaktbeschränkungen zwei bis drei Mal so effektiv beim Eindämmen der Neuinfektionen sind, wenn sie für die Ungeimpften gelten anstatt für die Geimpften. "Wenn wir auf die schweren Verläufe in den Krankenhäusern gucken, ist der Effekt wahrscheinlich noch viel größer, weil eben ungeimpfte Fälle häufiger schwer erkranken als geimpfte Fälle", sagt Maier.

Klimek hält dagegen, dass es nur bei einem Teil der Maßnahmen möglich ist, sich wirklich sauber auf die Ungeimpften zu fokussieren. "Ob der Lockdown für Ungeimpfte, den wir hier in Österreich zunächst hatten, was gebracht hat, wage ich zu bezweifeln. Denn die Mobilität in Bezirken mit mehr und mit weniger hohen Impfquoten hat sich im Grunde nicht groß unterschieden." Bei Veranstaltungen mit 2G oder 2G+ hingegen sei es deutlich einfacher die Einhaltung zu kontrollieren.

Wie konkret sich die Erkenntnisse der Studie für die Pandemiebekämpfung nutzen lassen, bleibt damit offen. Erstautor Maier ist auch wichtig zu betonen, dass die Untersuchung eben keine Handlungsanweisung ist. Zwar zeige sie, dass es epidemiologisch Sinn macht, bei Eindämmungsmaßnahmen zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden. Was das aber für Spannungen in der Gesellschaft auslöst, könne eben kein Modell abschätzen.

Und noch eine Sache kann die Studie nur schwer voraussagen: Welchen Effekt die neu gefundene Omikron-Variante auf die Pandemie haben wird. Sollte die Variante die Immunität von Geimpften gegen Infektionen ein wenig senken, wäre nach Maiers Modell nach wie vor der Beitrag der Ungeimpften zu den Neuinfektionen der größte.

Würde aber der Extremfall eintreten, dass bei Omikron die Ansteckungsrate zwischen Geimpften und Ungeimpften sich gar nicht unterscheide, wäre der Vorteil der Geimpften "nur" dass sie wohl seltener schwer erkranken. Fachkollege Klimek warnt allerdings davor, dieses Szenario gleich als gegeben anzusehen: "Dass die Impfung so gar keinen Unterschied mehr bei der Ausbreitung macht, halte ich für eher unwahrscheinlich."

Sendung: Abendschau, 02.12.2021, 19:30 Uhr

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Beitrag von Haluka Maier-Borst

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