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Quelle: imago/Jörg Halisch

#Wiegehtesuns? | Mutter zum Lehrer-Warnstreik

"Gefühlt war jeden Monat einmal Streik"

Berliner Lehrkräfte fordern kleinere Klassen und streiken deswegen ab Dienstag für drei Tage. Eine Mutter aus Friedrichshain findet die Forderung zwar richtig, sagt aber auch: Durch ständige Streiks bleibt mehr Arbeit an den Eltern hängen. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Nathalie Reinhard* ist Designerin und lebt gemeinsam mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern (6 und 10 Jahre) in Berlin-Friedrichshain. Dort besuchen beide Kinder eine Grundschule - sofern nicht gestreikt wird.

Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Lehrer hier in Berlin streiken. Ich habe auch den Lehrern in der Schule meiner Kinder gespiegelt, dass das so gut und richtig ist. Es ist mir ja auch selbst ein Anliegen, dass die Klassen kleiner werden. Aber das geht jetzt schon das ganze Schuljahr und gefühlt war jeden Monat einmal ein Streik.

Kleinere Klassen gefordert

Erster Streiktag der GEW: Unterrichtsausfall an Berliner Schulen

Die Gewerkschaft GEW hat in Berlin zu einem weiteren Warnstreik für kleinere Klassen aufgerufen - erstmals über drei Tage. Die Schülervertretung unterstützt das Anliegen zwar, sieht den Warnstreik aber auch kritisch.

Nun naht das Schuljahresende und auch durch die Corona-Jahre hat sich ja einiges an Nachholbedarf aufgestaut bei den Kindern. Da wäre es jetzt schon wichtig, nochmal richtig Unterricht zu machen. Als jetzt der Streik-Aufruf für drei Tage kam, dachte ich, dass das jetzt irgendwie nicht so günstig kommt. Und man muss ja leider auch dazu sagen, dass die Forderungen der GEW hier in Berlin auf lange Sicht unrealistisch sind. Wenn mehr Geld gefordert würde, dann wäre das ja eventuell verhandelbar. Aber kleinere Klassen wird es in Berlin in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht geben können. Eher im Gegenteil. Trotzdem finde ich es natürlich eigentlich wichtig, dass es – auch von der Gewerkschaft – immer wieder thematisiert wird. Aber jetzt gerade bin ich ziemlich zerrissen diesbezüglich.

Denn am Ende landet das ja doch wieder bei den Eltern. Mitunter kriegen die Kinder Hausaufgaben für den Streiktag, die müssen dann betreut werden. Und es macht auch etwas mit uns Eltern, wenn Schulstoff und Themen noch nicht erledigt sind. Es kam ja auch gerade durch die IGEL-Studie wieder heraus, dass gerade bei Grundschülern unter anderem durch Corona noch ganz viele Lücken sind. Für mein Gefühl müsste da jetzt viel Zeit in Unterricht investiert werden.

An den Streiktagen bietet unsere Schule eine Notbetreuung. Die Hortbetreuung, die eigentlich ja vor allem für die Nachmittagsbetreuung zuständig ist, übernimmt dann voll. Aber da gibt es kein großes Programm. Denn da wird ja ein ganzer Schultag kurzfristig in die Hortbetreuung überführt. Einige Eltern behalten ihre Kinder an diesen Tagen zu Hause und machen Home-Office. Bei uns geht das nicht immer. Aber ich finde das auch echt schwierig. Wir Eltern haben während Corona gelernt uns damit zu arrangieren, dass die Kinder zu Hause sind, aber am Ende fällt es uns auf die Füße, zum Beispiel weil die eigenen Kräfte, die Gesundheit oder der Job darunter leidet. Ich habe das Gefühl, dass auch nicht so richtig daran gedacht wird, was mit den Kindern während des Streiks passiert, wie sie dann betreut werden oder betreut werden sollten und was mit dem ausgefallenen Unterricht passiert. Auch von die GEW nicht. Das macht mir Bauchschmerzen.

Hinzu kommt, dass ja – obwohl das an unserer Schule noch geht – auch sonst viel Unterricht ausfällt. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass in meiner Schulzeit so viel Unterricht ausgefallen ist. Heute ist das eigentlich ein Dauerzustand. Für meine Kinder ist das auch durch die Corona-Zeit ganz normal, dass längere Zeit mal keine Schule ist, zum Beispiel durch den Lehrerstreik regelmäßig unterrichtsfreie Tage sind. Es gibt zwar die Schul-, aber leider keine Bildungspflicht. Die Schulpflicht heißt vor allem, dass man pünktlich physisch da sein muss. Was dann aber in der Schule inhaltlich stattfindet, ob alle Kinder abgeholt werden können, ob Unterricht ist oder ausfällt, das wird dabei nicht betrachtet. Ich würde mir wünschen, dass man mehr darüber redet, ob es nicht eine Bildungspflicht geben sollte.

Seit Jahren sind die Schwachstellen in unserem Bildungssystem bekannt. Und klar ist auch, dass das in den nächsten Jahren immer schlimmer werden wird, weil der Lehrermangel auch weiter akut sein wird. Und bei allem, was man heute über Bindung und Lernen weiß, bräuchte man sogar noch viel mehr Personal an den Schulen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es, dass viel mehr in Bildung investiert wird. Ich glaube schon, dass reines Geld da auch helfen würde. Damit man wegkommt von diesen formalen Strukturen und aufwändiger Bürokratie, die zeitintensiv sind und nur Kapazitäten fressen.

Gespräche mit Gewerkschaft

Berliner Senat sieht keine Möglichkeit für Lehrkräfte-Sondertarifvertrag

Und dann: In der freien Wirtschaft schaut man ja auch, was man Fachkräften anbietet, um sie zu halten. Das Denken ist ja, was die Pädagogen betrifft, gar nicht da. Im Gegenteil, es gab ja kürzlich die Debatte, die Lehrer sollten statt Teilzeit noch mehr arbeiten. Das ist so kurz gedacht. Man müsste doch mal überlegen, warum so viele Teilzeit machen.

Ich würde mir insgesamt wünschen, dass viel mehr Fokus und Aufmerksamkeit auf Kinder und Bildung gelenkt wird, Sofortprogramme für mehr Lehrkräfte aufgelegt werden usw. Doch meine Kinder würden davon vermutlich nicht mal mehr profitieren können. Weil alles so träge ist und so lange dauert. Das ist ein ziemlich deprimierender Gedanke.

Gesprächsprotokoll: Sabine Priess

*Name geändert. Der richtige Name der Protagonistin ist der Redaktion rbb|24 bekannt.

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