Interview | Polizeidirektor zu Wasserwerfer-Einsatz - "Bei 30 Grad hätte der Einsatz so sicherlich weniger Sinn gemacht"

Do 19.11.20 | 16:37 Uhr
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18.11.2020, Berlin: Die Polizei setzt bei einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung am Brandenburger Tor unweit des Reichstagsgebäudes (hinten) Wasserwerfer ein (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Bild: dpa/Christoph Soeder

Erstmals seit Jahren hat die Polizei in Berlin Wasserwerfer bei einer Demonstration eingesetzt. Im Interview erklärt Polizeidirektor Stephan Katte, warum wieder zu diesem Mittel gegriffen wurde - und welchen Spielraum die Polizei grundsätzlich noch hätte.

rbb|24: Herr Katte, wie viele Wasserwerfer hat Berlin derzeit?

Stephan Katte: Wir haben vier WaWe-Wasserwerfer von den sogenannten 10.000ern. Und dann, wenn ich es richtig erinnere, noch zwei 9.000er. [Das Modell WaWe 10.000 ist das aktuellere, Anm.d.Red.]

Wie teuer ist so ein Wasserwerfer denn, wenn er eingesetzt wird?

Der Wasserwerfer selbst kostet in der Anschaffung etwa eine Millionen Euro. Die werden aus Bundesmitteln bezahlt. Was der Einsatz des Wasserwerfers pro Tag kostet haben wir noch nie ausgerechnet.

Um die Wasserwerfer zu bedienen, braucht man eine spezielle Ausbildung. Wie viele Polizisten in Berlin haben die denn?

Etwa 40 bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ausgebildet und fähig, mit dem Wasserwerfer als Einsatzgerät umzugehen.

Welche Gefahren und Risiken birgt so ein Wasserwerfer im Einsatz?

Zum einen ist der Wasserwerfer in der Lage mit einer hohen Druckzahl Wasser zu werfen, also mit einem gezielten Wasserstoß von einer maximalen Anzahl von 20 Bar. Wenn das in einer kurzen Distanz von fünf bis zehn Metern erfolgt, sind da erhebliche Verletzungen möglich. Insofern war das am 18. November bei der Demonstration auch außerhalb der Diskussion, mit einem Wasserstoß zu arbeiten. Es ging ausschließlich darum, Wasserregen nach Art einer Gießkanne einzusetzen. Und die Teilnehmer entsprechend von oben nass zu machen.

Das haben Sie so entschieden, weil die Demonstranten zu nah am Wasserwerfer dran waren und sich unter ihnen auch Kinder befunden haben?

Ja. Denn jeder Einsatz – auch der des Wasserwerfers – muss unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Und für einen gezielten Wasserstrahl habe ich so keine Verhältnismäßigkeit erkannt. Es ging ausschließlich darum, und daher meine Anordnung, den Wasserwerfer so wirken zu lassen, als ob es etwas verstärkt regnen würde.

Was hat für Sie denn überhaupt den Ausschlag gegeben, den Wasserwerfer zum Einsatz zu bringen?

Ein Stück weit auch die Erfahrung aus den letzten Einsätzen, die wir im Zusammenhang mit dem Protest-Klientel gemacht haben. Es darf ja jeder seine Meinung äußern und demonstieren – das ist ja unbenommen. Aber die Erfahrungen zeigen ja, dass da Zigtausende zusammenkommen die sich auch nach zig Ansprachen nicht an die Regeln halten wollen. Sie halten weder Abstände ein, noch tragen sie eine Mund-Nasen-Bedeckung. Dadurch kann dem Infektionsschutz an keiner Stelle Genüge getan werden.

In den vergangenen Einsätzen haben wir es nicht hinbekommen, diese Menschenmengen zeitnah auseinanderzubekommen. Das ist auch eine Frage der Anzahl der Menschen. Und am Mittwoch waren auch wieder 7.000 bis 10.000 im Bereich des Brandenburger Tores und an der Straße des 17. Juni. Vor dem Hintergrund der Witterungslage - bei 30 Grad Außentemperatur hätte der Einsatz so sicherlich weniger Sinn gemacht - ging es uns darum, wie es auch Michael Müller schon in der rbb-Abendschau gesagt hat, es den Menschen ein bisschen ungemütlich zu machen. Denn wenn man bei diesen Temperaturen nass wird, führt das schon eher mal dazu, dass der eine oder andere geht.

Wann war zuletzt vor dem Einsatz am 18. November 2020 ein Wasserwerfer in Berlin im Einsatz?

Unsere Statistiken sagen, dass am 1. Mai im Jahr 2013 - allerdings nicht von Berliner Kräften, sondern von der Bundespolizei - ein Wasserwerfer in Schöneweide zum Einsatz kam. Davor, von Berliner Polizisten, zum letzten Mal 2008. Beide Einsätze fanden im Rahmen von NPD-Demos statt.

Wie viele Wasserwerfer-Einsätze gab es in den letzten 20 Jahren?

Dazu habe ich keine Statistik vorliegen. Ich glaube, dass 2003 und 2004 - vor 2008 und 2013 - die letzten Jahre, wo Wasserwerfer rund um den 1. Mai zum Einsatz kamen. Aber verlässliche Zahlen habe ich da nicht.

Das heißt, im Vergleich noch zu den Nullerjahren, kommen die Wasserwerfer ja verhältnismäßig selten zum Einsatz. Ist das der Deeskalations-Strategie der Berliner Polizei zu verdanken?

Die Deeskalations-Strategie ist ein Teil der Erklärung. Ich bin seit 1987 bei der Berliner Polizei und verfolge daher ja auch die Entwicklungen rund um den 1. Mai. Wenn man sich anschaut, was da früher an Protestklientel auf der Straße war, dann ist das etwas ganz anderes als das, was wir heute erleben. Das waren früher deutlich heftigere und intensivere Auseinandersetzungen. Gerade rund um den 1. Mai. Dort sind die Wasserwerfer ja vorrangig auch zum Einsatz gekommen. Da kam es teilweise über mehrere Stunden in der Gegend der Oranienstraße zu heftigen Auseinandersetzungen.

Das hat sich ja in den letzten Jahren vollkommen verändert. Auch durch die Organisation des Myfests - das hat ja eher einen Fest-Charakter bekommen. Es gibt zwar immer noch eine Gruppe, die gern einen 18-Uhr-Aufzug machen will, aber das sind deutlich weniger als früher mit einem deutlich geringeren Gewaltpotential. Insofern hat die über Jahre und Jahrzehnte entwickelte Deeskalations-Strategie gar nicht nur bei der Polizei, sondern bei allen möglichen Akteuren dafür gesorgt, dass die Gewalt deutlich zurückgegangen ist. Dann muss man ja auch als Polizei nicht mehr mit so massiven Mitteln vorgehen.

Berlin ist eines der Bundesländer, die dem Wasser, das der Wasserwerfer versprüht, Reizstoffe – in dem Fall Chloracetophenon (CN) – zusetzen dürften. Wurde das je gemacht?

Ja, aber das muss in den 1980er Jahren das letzte Mal gewesen sein. Oder im Zweifelsfall Anfang der 1990er Jahre bei der Räumung der Mainzer Straße - das will ich auch nicht ausschließen. Aber in den letzten Jahren gab es mit Sicherheit keine Zumischungen von Reizstoffmitteln - auch nicht 2008.

Was macht der Reizstoff denn genau, wenn er zum Einsatz kommt?

Der bewirkt, ähnlich wie Reizgas oder Pfefferspray, eine juckende Augenreizung. Die Augenlider und die Schleimhäute schwellen an.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

30 Kommentare

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  1. 30.

    Natürlich ist der Einsatz gerechtfertigt, richtete er sich doch gegen Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner und "... das sind doch keine Menschen" schrieb gestern ein User.
    Da beklatschen die Chlaqeure wie verrückt den Einsatz der Wasserwerfern.
    Was aber kommt als nächstes?
    Die Bilder erinnern mich an Minsk, Hongkong und Peking.

  2. 29.

    Daß bei solchen Veranstaltungen im Freien ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe, ist eine durch nichts belegte Behauptung, die nur dazu dient, überflüssige (Maulkorb) und bei größerer Menschenmenge nicht einhaltbare (Mindestabstand)Auflagen anzuordnen, um die der Regierung unliebsame Veranstaltung auflösen zu können.

  3. 28.

    Sie sollten die Augen aufmachen - bei den Protesten in Belarus tragen die Demonstrierenden durchaus Masken - und zwar mehrheitlich - also verbreiten Sie hier keinen geistigen Dünnfall.

  4. 27.

    Es ist ebenso undemokratisch, Auflagen der Versammlungsbehörde (Abstandsregelung und Maskenpflicht) bewusst und vorsätzlich zu missachten.
    Des weiteren ist anzumerken, das der Einsatz eines "Zwangsmittels" wie der WaWe, stets mehrfach vorher angedroht wird. Hier in diesem Falle sogar mehr als "mehrmals".

  5. 26.

    Was ist denn das für eine Logig? Natürlich ist eine Demonstration ein legitimes Mittel, hat ja auch niemand verboten. Aber dazu gehört auch, dass die Auflagen erfüllt werden. Berieseln mit Wasserwerfer ist brachiale Gewalt, ist doch wohl ein Witz!

  6. 25.

    Dann spannt man im allgemeinen einen Regenschirm auf.
    Wie viele Menschen sich bei dieser Nassberieselung eine Erkältung geholt haben, wird eher eine statistische Dunkelziffer bleiben. Das Wasser wird ja temperiert beheizt gewesen sein. Dass Eltern ihre eigenen Kinder als Abwehr Schutzschild gegen den Einsatz von WaWe nutzen ist eine Unverantwortlichkeit sondergleichen.

  7. 24.

    Eine Demonstration ist ein legitimes Mittel seinen Unmut zu kommunizieren, zumal es sich um ein eindeutig demokratisches Instrument handelt. Daher ist es antidemokratisch "
    Aber auch ein "demokratisches Instrument" unterliegt gewissen Regeln.
    Und wenn die nicht eingehalten werden, muß man mit Reaktionen rechnen.

  8. 23.

    "Das nennt man sorgsamen Umgang mit Steuermitteln. Wenn 4 Wasserwerfer 4 Millionen kosten und lediglich in 7 Jahren einmal zum Einsatz kommen."

    sie sind dann wohl auch einer von denen, die die Kosten für nen Feuerlöscher/Versicherungen etc. einsparen, weil die so selten gebraucht werden.
    Aber in ihrem Sinne war es dann ja gut, dass die Dinger endlich mal wieder eingesetzt wurden- und sehr sinnvoll noch dazu.

    Die Polizei hat hier fast alles richtig gemacht- einzig dass das nicht schon bei früheren Demos eingesetzt wurde ist bedauerlich.

  9. 22.

    Wasser von oben hat noch niemanden daran gehindert, heil nach Hause zu kommen. Oder was machen Sie, wenns regnet?

  10. 21.

    Wir sind nicht in Weißrussland. Wenn ich demonstrieren gehe, bin ich davon überzeugt heil nach Hause zu kommen. Kinder müssen auch Demokratie lernen und das geht nicht vom Wohnzimmer.

  11. 20.

    Der Polizist ist immer der Blöde.

  12. 19.

    In Belarus protestieren seit Wochen regelmäßig Tausende ohne Abstand und Maske. Das wird medial bejubelt. Ich denke, die Coronaregeln werden oft missbraucht, um Gemeinheiten, Versäumnisse u.a. zu begründen. Deshalb besteht auch die Angst vor dem geänderten Infektionsschutzgesetz. Ich bin nicht auf der Seite der Demonstrierenden, aber ganz klar auf der Seite derer, die um die Grundrechte fürchten und seit einigen Jahren deren Einengung spüren.

  13. 18.

    Heute hat die Polizei ins Karlsruhe gezeigt wie es auch geht.

  14. 17.

    Weder Polizei noch Politik kann diesen "Demokratieverteidigern" nachhaltig helfen. Wer im 21. Jahrhundert auch angesichts weltumspannender Verkehre und Warenaustausche glaubt, ohne Infektionen und dem Schutz vor ihnen auszukommen, hat Glück gehabt oder ist jetzt schon krank und benötigt Hilfe. Nazis, AFD-Mitglieder und Frauen mit umgehängten Tampons (Aufzählung ist nicht vollzählig) können uns nicht retten. Wie wär's mit Zurückhaltung und später impfen gehen. Die AFD/NPD hätte die Demoteilnehmer aktuell lieber aufrufen sollen, abends in Gaststätten in ihrer "deutschen Heimat" den Außer-Haus-Verkauf zu nutzen. Da wird man in der Regel nicht nass und hätte etwas für die geplagten Gastronomen getan. Danke RBB für sachliche Berichterstattung.

  15. 16.

    Wer zu so einer Demonstration Kinder mitnimmt und so als Schutzschilde mißbraucht, gehört unter die Obhut des Jugendamtes.

  16. 15.

    „ Im Interview erklärt Polizeidirektor Stephan Katte, warum wieder zu diesem Mittel gegriffen wurde - und welchen Spielraum die Polizei grundsätzlich noch hätte.“

    Und welcher wäre das? Beim Angreifen linker Demos, Hausprojekte oder Kneipen gibt’s ja regelmäßig deutlich mehr als eine harmlose Beregnung.

  17. 14.

    ... man kann die Dinger auch mit Dihydrogenmonoxid (DHMO) betanken und Gefahrstoffaufkleber anbringen.
    PS: Chemikerwitz

  18. 13.

    Die Demonstranten wurden mehrfach aufgefordert den Platz zu verlassen. Und von brachialen Gewalt kann keine Rede sein. Da gab es andere Szenen wenn die Polizei "linke" Demonstrationen aufgelöst hat. Oder wenn Sie an Stuttgart denken- da wurde mit dem Wasserwerfer aus wenigen Metern auf friedliche Menschen gezielt.

  19. 12.

    Wenn bei Demos Auflagen nicht eingehalten werden, die Versammlung deswegen aufgelöst wird und die Demonstranten gebeten werden, nach Hause zu gehen und dies nicht tun......
    Wir reden von Wassereinsatz ähnlich einem Regen. Wo ist da ihre beschriebene brachiale Gewalt? Ziemlich übertrieben, ihre Entrüstung. Allen blieb es frei, nach Aufforderung trockenen Hauptes nach Hause zu gehen.
    Selbst schuld, wenn man dann im staatlich finanzierten Regen steht. Kein Mitleid.

  20. 11.

    "mehrheitlich demokratisch gesinnte Zivilbevölkerung"

    Welche Demoteilnehmer gehörten nicht zu dieser Gruppe?

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