Menschen ohne Papiere in Berlin - Die Unsichtbaren - Leben in Angst

Mi 02.04.14 | 10:27 Uhr | Von Tina Friedrich und Freya Reiß

Wir wissen nicht, wie viele es sind. Sie leben mitten unter uns und bleiben doch für die meisten unsichtbar: Menschen ohne Papiere, sogenannte "Illegale". Sie haben keine Krankenversicherung, kein Konto und keine Arbeitserlaubnis. Für ihren Traum von einem besseren Leben in Deutschland bezahlen sie einen hohen Preis: Ein Leben in ständiger Angst, verraten zu werden, aufzufliegen und abgeschoben zu werden.

Sein Visum sei kurz nach seiner Ankunft in Berlin abgelaufen, erzählt Adewale aus Nigeria. Adewale heißt nicht Adewale und woher er genau kommt, sagt er nicht. Niemand darf seine wahre Identität erfahren. Seine Freundin ist schwanger und lebt wie er illegal in Berlin. Was von seiner Geschichte stimmt oder nicht, lässt sich nicht verifizieren. Schutzgeschichten, "cover stories", hat jeder Papierlose parat. Sie können über Sein oder Nichtsein in der Stadt entscheiden.

Zwischen 140.000 und 350.000 Menschen leben so laut Schätzungen in Deutschland. Einige Studien sprechen sogar von bis zu einer halben Million. Gut zwei Drittel von ihnen sind Männer, ein Drittel Frauen. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn wer illegal im Land lebt, ist bei keiner Behörde gemeldet. Erst wenn jemand von der Polizei aufgegriffen wird, wird aus dem Unsichtbaren eine Zahl in der Statistik.

Ohne Papiere kein Mietvertrag

Ohne Papiere in Deutschland zu leben bedeutet: keine Meldebescheinigung, keine Krankenversicherung, keine Arbeitserlaubnis. Die Suche nach einer neuen Wohnung wird zur fast aussichtslosen Herausforderung. Einige tingeln ständig von einem Freund zum nächsten, finden Unterschlupf in leerstehenden Kellern oder Obdachlosenunterkünften.

Hilfe bieten Sprachgemeinschaften oder nationale Gemeinschaften, die oft kirchlich oder im Umfeld von Geistlichen organisiert sind. Wer keinen Zugang zum Netzwerk hat, muss mit Wucherpreisen von Vermietern rechnen.

Unterstützung durch kirchliche Netzwerke

In Berlin hat sich ein Netzwerk für Menschen ohne Papiere gebildet: Seit 13 Jahren behandeln beispielsweise ehrenamtliche Ärzte und Krankenschwestern in Wilmersdorf bei der Malteser Migranten Medizin kostenlos und anonym alle die kommen. Aus einer Kreuzberger Wohnung hat ein Jesuitenpater eine Wohngemeinschaft gemacht, in der Menschen kurzfristig unterkommen können, ohne dass sie nach Status, Herkunft oder Zukunft gefragt werden.

In vielen Kirchen werden Menschen auch noch kurz vor der Abschiebung ins Asyl aufgenommen und so geschützt. Und der Deutsche Gewerkschaftsbund bietet zwei Mal im Monat eine Beratung für Papierlose an, die um ihren Lohn betrogen worden sind oder unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen leiden.

Ständige Angst vor der Abschiebung

Als Küchenhilfen, Kindermädchen oder Bauarbeiter arbeiten sie schwarz, oft unterbezahlt und immer in der Angst, jemand könne sie an die Ausländerbehörde verraten. Denn ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu sein ist eine Straftat, genauso wie Schwarzarbeit. Menschen ohne Papiere leben häufig jahrelang unerkannt in Deutschland – für die Behörden unsichtbar. Das Risiko aufzufliegen ist immer da. Dann droht die Abschiebung. 7.651 Menschen hat Deutschland im Jahr 2012 abgeschoben.

Einen letzten Ausweg bietet die Härtefall-Kommission des Landes Berlin. Vertreter des Senats, der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und des Migrationsrats Berlin-Brandenburg können Innensenator Frank Henkel aus persönlichen oder humanitären Gründen um eine Aufenthaltserlaubnis ersuchen. 2013 wurden von 252 Anträgen 151 gestattet - das entspricht 60 Prozent.

Beitrag von Tina Friedrich und Freya Reiß

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