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Audio: rbb24 Inforadio | 19.06.2022 | Natalija Yefimkina | Quelle: privat

Tagebuch (11): Ukraine im Krieg

"Sucht nicht den Krieg, er wird euch von selbst finden"

Das Azot-Werk ist ein gewaltiger Industriekomplex in Sjewjerodonezk. Seit Wochen kämpft hier Bohdan gegen die Russen. Natalija Yefimkina in ihrem Kriegstagebuch über einen Freiwilligen, der den Krieg da erlebt, wo er am schlimmsten tobt.

Eigentlich ist es unmöglich mit einem Soldaten zu sprechen, weil sie strikter Schweigepflicht unterliegen. Andererseits gibt es unzählige Menschen, die gerade kämpfen, auch aus meinem Freundeskreis. Einer davon ist Bohdan*.

Als ich zu meiner Mutter nach Deutschland zog, war ich 12. Meine Mutter ist Wissenschaftlerin und ihr wurde damals ein Job an der Uni Bochum angeboten, der schlechter bezahlt war als der der Reinigungskräfte dort. Sie durfte kein Deutsch lernen, musste bis spät abends arbeiten, der Professor veröffentlichte dann alles unter seinem Namen.

Meine Mutter hatte damals eine Wohnung bei einer Dame unterm Dach gemietet. Als ich mit meiner jüngeren Schwester ankam, erklärte die Dame, sie hätte nur ihr die Wohnung vermietet, nicht den Kindern. So verbrachten wir den ganzen Tag vor der Uni, auf dem Rasen, im Botanischen Garten oder in den Aufenthaltsräumen der Universität und gingen dann spät abends erst mit meiner Mutter nach Hause.

Zur Person

Im angesehenen Bochumer Schillergymnasium war ich die einzige Ausländerin, die Lehrer nannten mich Natalie, weil sie von dem Namen Natalija noch nie gehört hatten. Ich trug nie die richtigen Turnschuhe und auch das Pausenbrot fanden meine Mitschüler eklig, so schrieb ich Briefe an meinen Vater und meine Großeltern und wünschte mich zurück nach Kiew.

Wenn ich sie in den Ferien besuchte, war da mein Cousin und sein bester Freund Bohdan. Wir zogen durch die Stadt, später rauchten wir in den Unterführungen zusammen Haschisch. Als ich letzten Sommer in Kiew drehte, war Bohdan mein Fahrer, ruhig, aufmerksam, er kennt sich in der Stadt super gut aus. Jetzt ruft Bohdan für dieses Interview an, über Telegram.

Bohdan, kannst Du dich kurz vorstellen.

Mein Name ist Bohdan, ich bin 41 Jahre alt und arbeite als Soldat.

Was hast du vor dem Krieg getan?

Ich war Lagerverwalter in einem staatlichen Verlag. Als der Krieg begann, wurde mir klar, dass man was machen muss. Im Office interessierte sich am 25. Februar niemand für mich, weil alles drunter und drüber ging. Ich saß dort drei Stunden rum, dann rief ich meinen Bruder an.

(die Verbindung unterbricht)

Ja, wir haben hier Starlink, die Verbindung ist nicht so gut.

Mein Bruder sagte mir damals, er sei am Checkpoint im Kiewer Bezirk Obolon eingesetzt. Er sagte mir, geh zu diesem einen Mädchen, sie gibt dir eine Waffe, und komm her.

Mit dem Gewehr bin ich ins Auto gestiegen und durchs nächtliche Kiew gefahren. Die Stadt war war sehr ruhig, keine Menschen und keine Autos, weil alle Angst hatten und sich versteckt hielten. Ich fuhr nach Obolon, das war unser erster Checkpoint am Stadtausgang Richtung Ushgorod. Dort waren wir dann knapp zwei Wochen. Wir erwarteten einen Angriff von dort, aber es blieb ruhig. Es gab viele Checkpoints, von der Armee und solche wie unseren - von der freiwilligen Territorialverteidigung …

(Die Verbindung ist weg, ich rufe Bohdan nochmal an, keine Verbindung, ich rufe wieder an)

Bohdan du warst weg…wieder.

Wir haben gerade das Netz abgeschaltet. Über uns flog ein Vogel.

Ein Vogel?

Ja, ein Vogel, eine Hexe (lacht), also eine Drohne. Das sind Orlan-10-Auskundschafter. Die Russen gucken, wo wir sind und bombardieren uns.

Und dann schaltet ihr die Internetverbindung ab?

Wir haben die Anweisung, sobald ein Vogel in der Luft ist, Starlink abzuschalten, weil sie im Umkreis von 3,5 km das WIFI entdecken. Das ist alles ernst. Eine Rakete ist hier schon eingeschlagen. Sie haben sie direkt auf uns abgeworfen, auf unser Stabsquartier (er nennt ein unklares Wort) Ich rede schon mit dir mit solchen Armeebegriffen (lacht), dass du nichts verstehst…

Was ist bei dem Angriff passiert?

Sie haben ein Gebäude getroffen, nicht weit weg von uns. Die Türen hat es herausgeschlagen. Einer von uns hat das bewacht. Wenn er näher an der Tür gesessen hätte, wäre er mitsamt der Tür herausgeflogen. Sie fliegen mit den Drohnen, gucken, wo die ukrainische Armee ist und dann gibts sofort den Befehl, dorthin mit harten Geschossen zu schießen. Da sie weit weg von uns sind, erreichen uns ihre Granatwerfer nicht, aber die Haubitzen, Kanonen und Hubschrauber können uns beschießen.

Bohdan | Bild: privat | Quelle: privat

Wie fühlst Du dich?

Wunderbar (lacht), alles in Ordnung. Natascha, ich kann das nicht mit Worten beschreiben. Ich bin genauso ein friedlicher Mensch wie du. Aber was ich hier alles gesehen habe, ist schlimm. Ich kann nur sagen, hier gab es einen Einschlag. Die Emotionen lassen sich nicht übermitteln. Was du in diesem Moment fühlst, dass es dich gleich umhaut oder sonst was, das sind furchtbare Sachen. Kann ich weitererzählen?

Ja, klar.

Irgendwann kamen wir in ein kleines Dorf an einem Flüsschen. Dieser Fluss war die Frontlinie, weil wir sämtliche Brücken gesprengt hatten, damit sie mit der schweren Technik nicht rüberkommen.

Da es in dem Dorf keine großen Gebäude gibt, quartierte man uns in der Schule ein. Von dort aus haben wir Gänge unternommen, um die Technik des Gegners in den Nachbardörfern und vor allem auf der Straße von Kiew nach Sumy zu zerstören.

Ich bin ja kein Armeemensch, aber das sind interessante Operationen. Mal fährst du mit dem Auto durch den Wald, mal läufst du, immer in den Fußstapfen des Vordermanns, damit man nicht auf Mienen tritt. Dann liegen wir neben der Straße versteckt. Wenn ein Militärkonvoi vorbeifährt, zerstören wir ihn und laufen schnell weg. So läuft der Krieg in dieser Gegend.

Ich war der persönliche Fahrer unseres Befehlshabers und die ganze Zeit bei ihm. Einmal fuhr er allein mit seinem Auto nach Kiew, weil er dort was erledigen musste. Wir sind dann mit dem anderen Auto hinterhergeheizt, um ihn einzuholen, damit um Gotteswillen nichts mit ihm passiert. Unser gesamtes Bataillon wäre sonst kopflos.

Bohdan | Quelle: privat

Wir haben Teile von Irpen, Butscha und Hostomel befreit. Ich war als erster überhaupt auf der Brücke nach Irpen - da muss ich jetzt mal angeben. Sofort nach der Befreiung kamen dann die ganzen Oberhäupter, um für sich selbst Werbung mit dieser Geschichte zu machen.

Nach Irpen hatten wir knapp zwei Wochen frei und der Oberbefehlshaber überlegte, wie es weiter geht, denn die Gegend war ja frei und wir hatten nichts mehr zu tun. Als Territorialverteidigung konnten wir ja nur die Kiewer Gegend verteidigen.

In der Territorialverteidigung waren wir ursprünglich 650 Leute. Aber die einen sind weggefallen, weil sie nicht mehr kämpfen wollten, andere wollten die Dienstverpflichtung für die Nationalgarde nicht unterschreiben - da verpflichtest du dich ja, bis zum Ende des Krieges zu kämpfen. Letztlich waren wir 250 Leute, die zur Nationalgarde gegangen sind.

Warum hast du unterschrieben?

Wie soll ich dir das erklären. In den ersten Tagen hatte ich noch den Wunsch, ein patriotischer Held zu sein. Aber der Oberbefehlshaber hat kluge Sachen gesagt wie "Sucht nicht den Krieg, er wird euch von selbst finden". Es braucht keinen Heroismus, man muss sehr vorsichtig sein.

Ich erzähle das deswegen, weil ich nicht vorhatte, nur Kiew zu befreien und das wars. Ich will, dass dieses Satanswesen aus unserem Land verschwindet, vollständig, Krim und Donbass eingeschlossen.

Jetzt bin ich in der Nationalgarde. Wir sind ein Freiwilligenbataillon aus Ärzten, Schauspielern, Anwälten oder Unternehmern, also Kraut und Rüben - ich übertreibe, aber alles durcheinander. Ein tolles Kollektiv!

Sie schickten uns in die hart umkämpfte Gegend um die Stadt Rubeshnoje. Das ist bei Luhansk, hinter dem Fluss Sjewjerodonezk. Ich war ehrlich gesagt geschockt, als uns die Berufssoldaten aus dieser Einheit sagten, dass sie schon seit dem 22. Februar, also vor Ausbruch des Krieges dort stationiert sind. Du verstehst, was das heißt. Die Jungs wurden nach Rubeshnoje geschickt, weil sich in der Kleinstadt die große Fabrik Sorja befindet. Eine Fabrik, die Sprengstoff herstellt.

Wir wurden dort hingeschickt, um die Jungs auszuwechseln, die schon zwei Monate lang Rubeshnoje gehalten haben. Die Stellung lag auf dem riesigen Fabrikgelände, 157 Hektar groß. Ein ganzes Bataillon war hier komplett zerstört worden und von diesen Jungs gab es auch nicht mehr so viele. Dort waren Nationalgarde, Berufssoldaten, Wehrpflichtige, 20-jährige Jungs, die schon mehr gesehen haben als 50-jährige Männer.

Als ich sie sah, Natascha, war ich geschockt, sie waren alle schwarz, sie hatten keine saubere Uniform oder so was. Ein Soldat, der kämpft, dem sieht man das an. Er ist vollkommen schmutzig, schwarz, die Augen sind erloschen. Alle Alltagssachen, wie sich waschen oder rasieren, gibt es hier nicht. Wenn du kämpfst, hast du dafür keine Zeit.

Wie geht so ein Kampf auf dem Fabrikgelände?

Erst wirst du beschossen, dann kommen die Bodentruppen. Wenn du anfängst zurückzuschießen, offenbarst du deine Position, dann beschießen dich die Panzer und dann geht es von Neuem los.

Wir waren etwa drei Wochen da. Bis eine der Brigaden, die unsere rechte Flanke geschützt hat, die Position aufgeben musste. Vor unserem Stabsquartier begann der Feind aufzufahren, das war am 10. Mai. Die Russen haben wahrscheinlich viele Drogen genommen. Sie verhielten sich so, ohne jegliche Angst, sie standen offensichtlich unter irgendwas.

Wir wurden so hart bombardiert, sowas habe ich nicht mal in Irpen gesehen. Auf uns wurde aus allem geschossen - Haubitzen, aus Flugzeugen, von Granatwerfern.

Wir haben an dem Tag 1000 verschiedene Explosionen gehört, oder mehrere Tausend und das auf einer relativ kleinen Fläche. Sie haben die Stadt Rubeshnoje dem Erdboden gleichgemacht und auch das Fabrikgelände. Von unserem vierstöckigem Stabsquartier sind 1,5 Stockwerke übriggeblieben und der Bunker in dem wir saßen.

Man hat uns versucht einzukesseln, bis die Oberbefehlshaber entschieden uns rauszuholen. Bis 4 Uhr morgens haben wir alle evakuiert. Die letzten Jungs fuhren oben auf den Schützenpanzerwagen, was sehr gruselig war, denn sie haben permanent auf uns geschossen.

Rubeshnoje überließen wir den Russen. Wir wurden zurückgedrängt bis zur jetzigen Bezirkshauptstadt Sjewjerodonezk – 4 bis 5 km Luftlinie entfernt. Hier befindet sich Azot, die weltgrößte Fabrik für mineralischen Dünger. Azot hat ein ähnlich gewaltiges Gelände wie Azovstal in Mariupol mit tausenden verschiedenen Gebäuden, überall Rohren, ein verrücktes Industriegelände.

Ungefähr eine Woche war es relativ ruhig. Dann begann der harte Kampf um Sjewjerodonezk, der jetzt schon seit Wochen andauert. Dass wir die Stadt halten, das ist auch eine politische Entscheidung, weil es die Bezirkshauptstadt ist - strategisch brauchen wir es überhaupt nicht.

Tagebuch (5): Ukraine im Krieg

"Sie schossen durch die Küchentür, mit einem Abstand von vier Metern"

Andreis kleines Hotel in der Nähe von Kiew wird beschossen. Kurz darauf dringen russische Soldaten ein: Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit Menschen in der Ukraine - und berichtet darüber in diesem Tagebuch.

Obwohl es schlimme Verluste gibt, was heißt schlimm, für mich ist jeder Gefallene ein schlimmer Verlust. Im Vergleich zu den ersten Monaten des Krieges haben wir geringe Verluste, aber sie sind fühlbar, weil wir nur ungefähr 200 Menschen sind und wenn am Tag ein, zwei Menschen davon weg sind, sinkt die Moral. Vor ein paar Tagen wurde einer der besten Kommandeure getötet, ein anderer wurde verletzt, aber es gibt andere Jungs, die an ihre Stelle treten, die genau so erfahren sind… wir müssen ja arbeiten…

Die Situation hier ist überwiegend so, wie ihr das in euren Medien seht. In der Presse ging die Info um, dass sie 80 Prozent der Stadt eingenommen haben, ja, der Wohngebiete, aber, damit du es verstehst, diese Fabrik ist praktisch die halbe Stadt. Und das Fabrikgelände kontrollieren wir komplett und dazu noch ein paar Häuserreihen.

Die Orks ziehen sich gerade zurück. Sie haben große Verluste, wir hören ihre Gespräche über unsere Funkgeräte ab. Ihre Moral ist im Keller. Wir hoffen, dass wir Sjewjerodonezk halten können und sie von hier verjagen. Aber weißt du, heute ist es so und morgen sieht es schon ganz anders aus. Denn sie haben einen grundlegenden Vorteil in allem, angefangen von der Zahl der Menschen bis hin zur schweren Artillerie, was das Wichtigste ist. Sie bedecken uns einfach mit tausenden Tonnen Metall.

Die Taktik der verbrannten Erde: Die Stadt existiert praktisch nicht mehr. Sie bombardieren einfach willkürlich drauf los, wir verstehen das nicht, sie haben Milliarden von diesen Geschossen.

Was sagt deine Familie dazu? Waren sie dagegen, dass du gegangen bist?

Sie können nicht dagegen sein, ich bin ein erwachsener Mann. Klar, alle Mamas und Papas wollen ihre Kinder beschützen und wenn die Kinder in den Krieg gehen, ist das Risiko sehr groß, dass sie im Sack zurückkehren.

Ja, sie machen sich Sorgen, aber sie verstehen auch gut, dass wir das machen müssen. Wer wenn nicht wir? Von meinen Freunden und Bekannten, außer meinem Bruder, kämpft keiner. Alle sind in Kiew geblieben oder haben sich in den Dörfern versteckt. Obwohl ich einen weißen Schein habe und gar nicht in die Armee musste. Ein weißer Schein bedeutet, dass ich wegen meiner Gesundheit ausgemustert wurde. Also hat niemand mich einberufen, es ist absolut freiwillig.

Hast du nicht manchmal Angst, nicht zurückzukehren?

Natascha, natürlich habe ich Angst. Wer sagt, er habe keine Angst, der lügt. Aber Angst haben ist richtig. Wenn du keine Angst hast, stirbst du. Das habe ich verstanden. Jungs, die ihre Schutzwesten ausziehen, weil sie ihnen zu schwer beim Laufen sind, geraten unter Beschuss und das wars. Irgendwo hast du nicht genug nachgedacht, dich etwas entspannt und schon wars das - du bist verletzt oder tot.

Tagebuch (8): Ukraine im Krieg

"Es war sehr gefährlich, Wanja herauszubringen"

Natalija Yefimkina hält von Berlin aus Kontakt mit den Menschen in der Ukraine. Für diesen Tagebucheintrag hat sie mit Tatjana gesprochen. Die hat ihren Sohn Wanja aus Donezk herausgebracht, damit er nicht gegen die Ukraine kämpfen muss.

Die Schusswaffen sind nicht das Problem, dagegen haben wir Schutzwesten. Aber vor den Splittern kann dich keine Schutzweste retten. Ich habe Videoclips von dem, was hier eingeschlagen ist: ein Stück Metall, 1,5 cm dick, es wiegt 5 kg und passt in meine Handfläche. Selbst einen Panzerwagen kann solch ein Splitter durchbohren. Das ist Krieg. Alle haben Angst (lacht).

Aber macht nichts, wir haben eine hohe Motivation. Klar, wenn die Jungs sterben, sind alle niedergeschlagen. Aber wir versuchen es, man kann nicht sagen zu vergessen, denn jeder wird in unserer Erinnerung bleiben. Aber wenn du an dem Negativen festhältst, wirst du keine Kraft, keine Lust und keine Motivation haben.

Welche Momente sind besonders schwierig für dich?

Ein schwerer Moment ist, wenn ich erfahre, dass jemand umgebracht wurde. Schwere Momente waren auch, als ich die ersten Male fast selbst ums Leben kam. Ich kann schon drei neue Geburtstage dazuzählen. Verstehst Du? Ich stehe zum Beispiel an einem Ort und jemand fragt mich, warum stehst du da, komm her, und ich gehe weg und in dem Moment schlägt dort ein Artilleriegeschoss ein und alles brennt. Das sind so Sachen, die du, so lange du sie nicht durchlebst, nicht verstehen kannst. Wenn dich die Explosionswelle einige Meter zurückschleudert und du in deinen Ohren so ein Pieeeeep hörst.

Es ist der Krieg der Artillerie. Die Russen haben mehr davon, deswegen warten wir auf Hilfe aus dem Westen, auf starke Waffen. Wenn wir nur 60 Prozent dessen hätten, was die Russen haben, würde das alles ganz anders laufen. Wir warten auf die Chimäre Schützenpanzer, aber wann sie kommen, in welcher Zahl und ob auch zu unserem Stückchen Front, ist alles unklar.

Du hast doch bestimmt von der Straße Bahmut-Sechansk gehört. Die wollen die Russen kappen, aber das ist eine von zwei Straßen, über die die Versorgung läuft, auch unmittelbar hier zu uns. Die Kämpfe nähern sich bereits der Straße, unsere Armee wirft sie zurück, aber wenn sie abgeschnitten wird, sind wir umzingelt.

Das klingt sehr bedrohlich…

Wir haben nur noch Internet, Starlink, danke an Elon Musk! Das ist alles. Und Strom gibt es, weil wir Generatoren haben. Irgendwo lag eine Mikrowelle rum, die noch funktioniert, und einе Gasflasche, wir können also irgendwas kochen. Wir gehen in die Lager und nehmen uns Lebensmittel. So ist es halt, ich will das nicht verheimlichen. Warum soll die Armee sie nicht essen, die Armee, die das Land verteidigt. Das ist ok. Niemand marodiert oder klaut etwas. Aber es gibt auch unehrliche Menschen, auch in der ukrainischen Armee.

Und wie wascht ihr euch?

Das ist eine schwierige Frage (Lacht). Wir haben ein Problem mit Wasser, es wird uns gebracht, aber ich will ehrlich mit dir sein, wir waschen uns praktisch nicht, wir benutzen Feuchttücher.

Es gibt wenig Wasser und wenig Zeit. Ich habe mich in Rubeshnoje zwei Wochen lang überhaupt nicht gewaschen. Das hört sich furchtbar an, aber das ist die Wirklichkeit. Wenn du auf den Stellungen bist, dann hast du keinen Nerv für sowas.

Gibts einen Psychologen?

Nein. Mein Bruder ist zwar Doktor der Psychologie, aber im Prinzip brauchen wir ihn hier nicht, ich wüsste nicht wofür. Wir haben hier Ärzte und wir reden untereinander. Es sind alles intelligente Menschen zwischen 19 und 60 Jahren, interessante Menschen und alle unterstützen einander. Ich habe noch keinen mit psychischen Problemen gesehen. Nach dem Krieg wird das wohl anders aussehen.

Ich sehe sogar Vorteile für mich. Ich habe neue Dinge gesehen, tue das Richtige, ich kämpfe für mein Land gegen den Aggressor. Ich habe tolle Menschen kennengelernt und sehe neue Perspektiven für mein zukünftiges Leben. Obwohl der Krieg sehr schlecht ist, hat sich in meinem Leben alles verbessert.

Na, weil du gebraucht wirst. Einen Sinn siehst.

Du hast den Punkt getroffen. Irgendwie war vorher alles kaputt, die finanzielle Situation und auch mein Privatleben. Ich bin 41 Jahre alt und habe keine Familie, keine Kinder. Wofür lebe ich dann? Hier sehe ich einen Sinn, das Land muss verteidigt und entfaltet werden. Ich will eine Familie gründen, Kinder haben, ich habe so viele Pläne! Und ich will sie, wenn Frieden ist, alle realisieren.

*Name von der Redaktion geändert

Beitrag von Natalija Yefimkina

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