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Audio: Inforadio | 14.10.2021 | Michael Ernst | Quelle: dpa/Christoph Soeder

Pannen in 207 Wahlkreisen

Landeswahlleitung will Einspruch gegen Berlin-Wahl einlegen

Falsche oder zu wenige Wahlzettel, Stimmabgaben weit nach 18 Uhr: Der Landeswahlausschuss räumt Fehler bei der Wahl am 26.September ein. In mehr als 200 Wahllokalen kam es zu Pannen. Landeswahlleiterin Michaelis will nun selbst Einspruch einlegen.

Die Landeswahlleitung will beim Berliner Verfassungsgerichtshof Einspruch gegen Ergebnisse der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September einlegen. In zwei Wahlkreisen habe es Wahlrechtsverstöße gegeben, die Auswirkungen auf die Mandatsverteilung haben könnten, sagte Landeswahlleiterin Petra Michaelis am Donnerstag bei einer Sitzung des Wahlausschusses.

Möglich ist nun eine Wiederholung der Wahl in den beiden Wahlkreisen. Darüber muss der Verfassungsgerichtshof nach Prüfung der Vorgänge entscheiden.

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Wahlkreise 1 und 6 im Visier

Der Einspruch bezieht sich zum einen auf den Wahlkreis 6 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, wo zunächst die SPD-Politikerin Franziska Becker als Siegerin gekürt wurde und nach einer Nachzählung dann der Grüne Alexander Kaas-Elias. Betroffen ist zudem der Wahlkreis 1 im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in dem der AfD-Politiker Gunnar Lindemann das Direktmandat holte. In beiden Wahlkreisen ist bei den Erststimmen der Abstand zwischen Erst- und Zweitplatziertem sehr gering.

"In diesen Fällen könnten sich Unregelmäßigkeiten mandatsrelevant ausgewirkt haben", sagte Michaelis. Als Beispiele nannte sie falsch ausgegebene Stimmzettel oder die zeitweise Schließung von Wahllokalen wegen fehlender Stimmzettel. "Da ich ab Freitag nach meinem Rücktritt nicht mehr im Amt der Landeswahlleiterin bin, wird dies meine Stellvertretung übernehmen. Das ist so abgesprochen", unterstrich Michaelis. Auch die Berliner AfD kündigte bereits Einspruch gegen die Berlin-Wahl an, zudem die Satire-Partei Die Partei. Möglich ist das erst nach Veröffentlichung des Endergebnisses im Amtsblatt. Das kann laut Wahlleitung bis zu drei Wochen dauern.

Sollte in den fraglichen Wahlkreisen tatsächlich neu gewählt werden, kann das je nach Ergebnis mehr oder weniger Auswirkungen auf die Zusammensetzung des 147 Abgeordnete umfassenden Landesparlamentes haben. Neu zu vergeben wären zwei Direktmandate, betroffen wäre auch das Zweitstimmenergebnis. In beiden Wahlkreisen zusammen könnten gut 62.000 Menschen abstimmen, also etwa 2,5 Prozent aller Berliner Wahlberechtigten.

Pannen in insgesamt 207 Wahllokalen

Insgesamt hat es laut Michaelis in 207 der 2.257 Berliner Wahllokalen Wahlpannen gegeben. "Wir haben unser Bestes gegeben, uns an alle Bestimmungen zu halten", betonte sie. Die Zahl 207 sei erschreckend. Aber in "weit mehr als 2.000 Wahllokalen" sei "alles in Ordnung" gewesen, fügte sie hinzu.

Sondierungen vor Abschluss

In Berlin stehen die Zeichen auf Rot-Grün-Rot

Bei den Sondierungen um eine Regierungsbildung in Berlin ist eine Entscheidung gefallen: SPD und Grüne wollen am Freitag die Gespräche mit der Linken abschließen und danach über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden.

In den betroffenen Wahllokalen lagen unter anderem falsche Stimmzettel aus. Erste Unstimmigkeiten seien bereits am 23. August festgestellt worden, sagte Michaelis. Kartons mit falsch einsortierten Stimmzetteln seien aufgefallen. Daraufhin hätten Michaelis und ihr Stab zwei Tage später Wahlvorstände darüber informiert.

Bis zum Wahltag seien mehrere Warnungen herausgegeben worden, dass es in der Druckerei zu Falscheinsortierungen gekommen sei, so Michaelis weiter. Insgesamt sei es durch die schiere Menge der Wahlunterlagen leider nicht allerorts reagiert werden. Zudem kam laut Michaelis noch fehlende Achtsamkeit in den Wahllokalen hinzu.

84.000 Personen von temporären Schließungen der Wahllokale betroffen

Michaelis erklärte außerdem, dass lange Schlangen vor Wahllokalen "kein Wahlfehler" seien. In Berlin sei man es bei Wahlen nur nicht gewohnt, lange auf die Stimmabgabe zu warten, betonte sie. Im Schnitt seien rund drei Minuten für Wählende in der Wahlkabine geplant gewesen. Wahllokale seien für maximal 750 Wählende konditioniert gewesen. Zudem sei es die Entscheidung des Senats gewesen, die Bundestagswahl und die Abstimmungen zum Abgeordnetenhaus, zu den Bezirksversammlungen und den Volksentscheid an einem Tag, am 26. September durchzuführen.

Fehlende oder falsche Stimmzettel, der Berlin Marathon, fehlende Fahrer hätten zu einer Verkettung von Pannen geführt. Insgesamt waren 84.000 Berlinerinnen und Berliner von temporären Schließungen der Wahllokale betroffen. Es habe aber jeder, der sich bis 18 Uhr an seinem Wahllokal angestellt habe, seine Stimmen auch noch nach 18 Uhr abgeben können. Das stelle laut Michaelis damit keinen Wahlfehler da. 1.773 Wahllokale hatten länger geöffnet als üblich, so dass Wähler, die bis 18 Uhr vor Ort waren, noch ihre Stimmen abgeben konnten - in Einzelfällen bis kurz vor 21 Uhr.

Zudem hätten in Marzahn-Hellersdorf 14 Nur-BVV-Wahlberechtigte, also die Gruppe der 16- und 17-Jährigen sowie EU-Ausländer, Stimmen zum Abgeordnetenhaus abgegeben. Zusätzlich sei es in drei Briefwahllokalen in Treptow-Köpenick vorgekommen, dass in sechs blauen Stimmzettelumschlägen von Nur-BVV-Wahlberechtigten mehr Stimmzettel enthalten waren, als die Wahlberechtigung hergab. Diese sechs blauen Umschläge seien dann nicht zur Auszählung zugelassen worden, so die Landeswahlleiterin.

Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages zweifelt Berlin-Wahl an

Unterdessen hat der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages, Patrick Sensburg (CDU), deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Berliner Abgeordnetenhauswahl in Berlin geäußert. "Bei der Berlin-Wahl zum Abgeordnetenhaus sehe ich objektive Wahlrechtsverstöße", sagte Sensburg der "Heilbronner Stimme". Er glaube nicht "an Einzelfälle, die keine Auswirkungen hatten."

Offen sei, ob sich nicht noch Wähler nach 18 Uhr in die Schlange gestellt hätten, was nicht zulässig wäre. Sensburg hofft hier auch auf aussagekräftige Angaben der OSZE-Wahlbeobachter, deren Abschlussbericht noch aussteht. "Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Berlin muss die Wahl wiederholen, und zwar rechtmäßig", sagte der CDU-Politiker.

Endergebnis der AGH-Wahl nur mit marginalen Abweichungen

Gleichwohl stellte der Wahlausschuss am Donnerstag das endgültige Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl fest. Im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis, das am 27. September verkündet worden war, ergaben sich nur marginale Veränderungen ohne Auswirkung auf die Mandatsverteilung. Allerdings änderten sich bei CDU, Linken und FDP die Prozentwerte bei den Zweitstimmen hinter dem Komma um je 0,1 Punkte.

Laut Endergebnis kam die SPD als stärkste Kraft auf 21,4 Prozent der Zweitstimmen. Es folgen die Grünen mit 18,9 Prozent und die CDU mit 18,0 Prozent. Die Linke erreichte 14,1 Prozent, die AfD 8,0 Prozent und die FDP 7,1 Prozent. Die 147 Sitze im Abgeordnetenhaus verteilen sich wie folgt: SPD 36, Grüne 32, CDU 30, Linke 24, AfD 13 und FDP 12. Die Wahlbeteiligung betrug 75,4 Prozent.

Sondersitzung des Innenausschusses am Freitag

Am Freitag beschäftigt sich auch der Innenausschuss in einer Sondersitzung mit den Folgen und Konsequenzen aus dieser Wahl. Mittlerweile liegen aus allen zwölf Bezirken Berichte zu den Vorgängen am Wahlsonntag vor. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) erklärten in einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag, sie gingen nicht davon aus, dass die Wahl durch die Fehler und Pannen verfälscht wurde. Allerdings schloss Geisel Nachwahlen in einzelnen Wahlkreisen nicht aus.

Die Bezirke Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg, wo es bei der Wahl besonders viele Auffälligkeiten gegeben hatte, hatten am Montag erklärt, keine der Pannen sei relevant für das Ergebnis gewesen.

Sendung: Inforadio, 14.19.2021, 15 Uhr

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