Hertha BSC und die Relegation - Eher ein Geschenk als eine Strafe

So 15.05.22 | 11:50 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Enttäuschung bei Hertha-Spieler Vladimir Darida (Bild: Imago/Osnapix)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.05.2022 | Guido Ringel | Bild: Imago/Osnapix

Nach der 1:2-Niederlage bei Borussia Dortmund und dem dritten vergebenen Matchball im Abstiegskampf muss Hertha in die Relegation. So bitter das angesichts der Endphase der Saison ist, so glücklich muss sich Hertha letztlich damit schätzen. Von Marc Schwitzky

Am finalen 34. Spieltag präsentierte die Bundesliga ein Theaterstück, das an Dramatik nicht zu überbieten war. In der Schlussphase ging es auf vielen Plätzen um nicht mehr viel, die Blicke wanderten zunehmend auf das Fernduell zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart im Kampf um den Klassenerhalt. Bis zur 68. Minute hatten die Berliner überraschend bei Borussia Dortmund geführt, ehe Erling Haaland ausglich. Auch der VfB musste gegen den 1. FC Köln den 1:1-Ausgleich hinnehmen.

Zu diesem Zeitpunkt war Hertha gerettet, ja selbst der 1:2-Rückstand – der gerade eingewechselte Youssoufa Moukoko traf in der 84. Minute – änderte daran noch nichts. Doch dann traf Stuttgart in der 92. Minute zum 2:1 und damit mitten ins Berliner Herz. Der punktgleiche VfB schickte Hertha dank einer deutlich besseren Tordifferenz in die Relegation. Auf dem Dortmunder Rasen standen nach Abpfiff konsternierte Berliner dem feierlichen Abschied der Dortmunder Vereinslegenden Michael Zorc und Marcel Schmelzer gegenüber. Eine fast schon groteske Diskrepanz an Gefühlswelten.

Hertha vergab Matchball um Matchball

Der Schmerz wird bei den Berlinern tief sitzen. Nicht nur, weil Hertha es am letzten Spieltag verpasst hat, den Klassenerhalt aus eigener Kraft zu packen. Dieses Vorhaben zog sich bereits über die letzten drei Spieltage. Bei Arminia Bielefeld führten die Berliner lange mit 1:0, vergaben gar die hundertprozentige Chance auf die Vorentscheidung in Slapstick-Manier. In der 91. Minute kassierte die "alte Dame" dann noch den Ausgleich und vergab somit zwei wichtige Punkte.

Eine Woche später hatte Hertha gegen Mainz die große Chance, den grandiosen Rahmen eines Heimspiels mit 71.000 Zuschauern für die Vorentscheidung im Abstiegskampf zu nutzen. Gegen einen Gegner, für den es um nichts mehr ging, präsentierten sich die Berliner aber, gemessen an der prekären Tabellensituation, irritierend zahnlos. Ein Kopfball von Stefan Bell entschied die Partie, mit 1:2 verlor Hertha – erneut vergab man einen Matchball in den letzten Minuten einer Partie. Auch hier hätte im Nachhinein ein Punkt gereicht.

Hertha hätte den Abstieg verdient

Nur auf jene drei letzten Partien geblickt, ließe sich von einem bitteren Endspurt sprechen. Die nervenaufreibende Relegation als Strafe für zu zaghaftes Zupacken. Für die Hertha ist die Relegation aber keine Strafe, sondern vielmehr ein Geschenk. Für diese Perspektive muss der Blick allerdings auf die gesamte Saison der Blau-Weißen ausgeweitet werden.

Nach 34 Spieltagen hat Hertha BSC 33 Punkte gesammelt – also weniger als einen Punkt pro Spiel. In den vergangen zehn Jahren hatten die Relegationsteilnehmer durchschnittlich 32,2 Punkte – Hertha reiht sich somit bestens ein. Hätte es nicht den gänzlich überforderten Auf- und nun wieder Absteiger aus Fürth gegeben, hätten die Berliner die schwächste Abwehr und den zweitschwächsten Angriff der gesamten Liga gestellt. Gemessen am Personaletat und den Möglichkeiten des Kaders ist das ein Armutszeugnis.

Ein schief zusammengestellter und damit recht dysfunktionaler Kader traf auf ein angespanntes Verhältnis zwischen Geschäftsführer Fredi Bobic und Ex-Trainer Pal Dardai, das ohne akute sportliche Not beendet wurde. Es folgte eine kurze Amtszeit von Tayfun Korkut, die im Nachhinein als großer Ausrutscher bewertet werden muss und Dardais Rauswurf noch fragwürdiger macht. Dazu der vorzeitige Abschied Arne Friedrichs; Eklats zwischen Mannschaft und Fanszene; eine öffentliche Fehde zwischen Präsident und Investor – Hertha hat sich den perfekten Abstiegscocktail gemischt.

Magath hatte eine Vorahnung

Doch eine Zutat will noch nicht so wirklich dazu passen: Felix Magath. Der Trainerroutinier übernahm im März eine völlig zerrüttete Mannschaft auf Rang 17. Das ungleiche Trio aus Magath, Co-Trainer Mark Fotheringham und Assistent Vedad Ibisevic hat aus Herthas Spielern eine Einheit geschmiedet. Plötzlich gelang es den Berlinern wieder, ein Spiel auf der Kampfebene vollends anzunehmen.

Die Mittel der Mannschaft sind seit zwei Monaten sehr einfache, aber sie geben ihr Halt. Zwar gab es auch unter Magath Rückschläge, etwa die klare Derby-Pleite gegen Union Berlin oder der eine Punkt aus den letzten drei Spielen. Dennoch ist seine Verpflichtung insgesamt bislang als eine gute Entscheidung einzuordnen. Der Sprung von Rang 17 auf 16 – ein verklausulierter Erfolg.

Magath zeichnet sein gutes Gespür aus, für Mannschaftsstrukturen, die Bedürfnisse einzelner Spieler oder auch mediale Strömungen. Bereits vor Wochen bewies er ein gutes Bauchgefühl: "Als ich diesen Job übernommen habe, war ich sicher, dass wir in der Relegation gegen den HSV spielen", so Magath. Darauf arbeite er nicht hin, "aber es würde mich auch nicht überraschen, wenn es zu dieser Konstellation käme."

Nun kommt es wirklich zu diesem Aufeinandertreffen mit Magaths ehemaligem Club. Abseits gewisser Visionen ist Magath aber auch ein trockener Realist. Seit Wochen bekräftigt Herthas Trainer, sich auf das "Minimalziel" Relegation gewissenhaft vorzubereiten. Führt er seine Gedanken zu diesen so entscheidenden zwei Spielen aus, wirkt er bemerkenswert ruhig. Magath weiß, dass er seiner Mannschaft diese Ruhe vorleben muss.

Genau zehn Jahre nach Herthas denkwürdigen Relegationsspielen gegen Fortuna Düsseldorf müssen die Berliner erneut in den Ausscheidungsspielen um einen vakanten Platz im Oberhaus antreten. Ob Hertha solch einer enormen Drucksituation standhalten kann, lässt sich nur bedingt prognostizieren – dafür haben die Blau-Weißen in dieser Saison zu viele verschiedene Gesichter gezeigt. Klar ist aber: Die zwei zusätzlichen Partien sind nach dieser verkorksten Spielzeit vielmehr Geschenk als Strafe.

Sendung: rbb UM6, 15.05.2022, 18 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

17 Kommentare

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  1. 17.

    Mimimi. Hat Dortmund dann gegen Hertha aber auch gemacht. Hertha war nur zu blöd, um das auszunutzen. Und die Schuld jetzt auf das Unentschieden der Bayern gegen Suttgart zu schieben, ist ähnlich peinlich wie die Einkaufspolitik der Hertha...

  2. 16.

    Erstens, so isses. Wer es mit 33 Punkten und 71 Gegentoren noch in die Relegation schafft kann sich glücklich schätzen. Zweitens tragen weder gelangweilte Bayern, glücklose Kölner oder der Mann im Mond daran irgendeine Verantwortung. Sondern Hertha, mal wieder, ganz allein und höchstselbst. Zwar ist es schade darum, dass es in den nächsten Jahren keine Derbys mehr geben wird, doch ein durchgreifender Runderneuerungsprozess in Liga 2 scheint notwendiger denn je. Und mit Blick darauf, was es für erfolgreichen Mannschaftssport braucht, dürfte es Gewissheit darüber bereits am kommenden Donnerstag geben.

  3. 15.

    Exakt. Und ich glaube nicht daran, dass Herthas Mannschaft Willen und Kraft dazu hat. Den haben nur die Fans, die sich das wieder antun werden. Als Anhänger des Vereins, aber nicht dieser Mannschaft, würde ich mir trotzdem den Klassenerhalt wünschen. Einen Neustart in der zweiten Liga halte ich unter den gegebenen Bedingungen nämlich für brandgefährlich. Ich habe zwei direkte Wiederaufstiege erlebt, aber das dürfte diesmal höchst unwahrscheinlich sein.

  4. 14.

    Ja, Oliver, der freiwillige Leistungsverzicht der Bayern nach ihrer Ibiza-Sause war zumindest zu erwarten. Nach der Meisterschaft haben die nichts mehr gerissen. So sind sie halt, die Bayern. Es stört die nicht die Bohne, was mit anderen Vereinen passiert, so lange sie die Schale auf dem Balkon des Münchner Rathauses stemmen können. Und dann ist da eben noch die, freundlich ausgedrückt, limitierte Leistungsfähigkeit dieser Hertha-Mannschaft. Für mich waren Punkte gegen Mainz und Dortmund schon im Vorfeld unwahrscheinlich, insbesondere nachdem die alte Dame schon nicht gegen Bielefeld gewinnen konnte. Da nützen nicht einmal 70.000 euphorisierte Heimfans was. Wenn der HSV seiner starken Rückrundenleistung zwei weitere ordentliche Spiele folgen lässt, hat diese Hertha in der Relegation keine Chance. Sie darf mich aber gerne eines Besseren belehren.

  5. 13.

    Wenn man den heutigen Spieltag in der 2. BL. in Betracht zieht, an dem der HSV unter enormem Druck stand (da man von einem Heimsieg des direkten Konkurrenten Darmstadt ausgehen konnte) und trotzdem das Auswärtsspiel beim Nord-Rivalen Rostock gewonnen hat, muss sich Hertha schon sehr lang machen, um gegen die enthusiastischen Hamburger in der Reli was reißen zu können . . .

  6. 12.

    Klar ist das ,was Bayern die letzten 3 Spiele gezeigt haben nicht in Ordnung
    Aber Hertha ist an der eigenen Situation schon selbst schuld
    Die stehen schon verdient dort, wo sie halt stehen
    Vor 2 sehr schweren Spielen gegen den HSV

  7. 11.

    Nein, für Bielefeld ist der Abstieg eben kein Geschenk. Für die Hertha ist das Geschenk, dass sie eben nicht direkt absteigen, sondern nach der verkorksten Saison noch die Chance der Relegation bekommen.

  8. 10.

    Aber konnte man denn ahnen, dass sich die Bayern nach ihrem gefühlt 137. Titelgewinn in Arbeitsverweigerung und Wettbewerbsverzerrung üben? Mit einem Sieg gegen den VfB, der eigentlich Pflicht gewesen wäre, sähe die Lage anders aus. Wenigstens in der Liga.

  9. 9.

    Bin seit 1990 dabei und hab kein Bock mehr auf eine Mannschaft bei der man sich freute wenn sie in der Buli blieb...und zwischendurch immer wieder Abstieg etc...irgendwann fragt man sich warum man sich das antut...Ich bin nicht mal mehr enttäuscht sondern vollkommen bedient.. Wie gesagt.. Es reicht... Gurkentruppe..

  10. 8.

    Ich befürchte, dass Magath mit seiner Analyse aus der PK nach Mainz, "Die Mannschaft braucht mehr Druck, um alles aus sich rauszuholen und zu gewinnen", falsch liegt. Das erklärt zwar, warum er schon so früh mit der Relegation gerechnet hat, das Problem ist nur: für sehr viele Mannschaften stimmt diese Annahme, für Hertha aber nicht. Mir fallen kaum Situationen aus den letzten 10 Jahren ein, wo Hertha unter Druck bestanden hätte. Relegation vermasselt, Pokalhalbfinale vermasselt, Europaleague vermasselt, immer wenn es darauf ankommt, klappen sie zusammen. Deshalb hätte ich wirklich gern auf die Relegation verzichtet, weil ich nicht glaube, dass sie das schaffen werden. Nun denn, die Hoffnung stirbt zuletzt. Hahohe
    p.s. Gruß an unsere ach so unverzichtbaren Ultras: die Stimmung in Stuttgart gestern war so, wie es eine Mannschaft braucht. Eure Show gegen Mainz war der letzte Müll, erst Mannschaftspräsentation und Hymne kaputtgeplärrt, dann ständig diese Einschlaflieder, mannmannmann...

  11. 7.

    "Eher ein Geschenk als eine Strafe" - nun, das Geschenk ist der HSV.
    Ich denke, dass ist die Strafe, die der BCC verdient.
    Und für den, der Hertha mit einem 130jährigen Baum vergleicht: nun, seit Jahren fault das Holz und das auch von der Krone her.
    Wird Zeit, dass der Baum radikal beschnitten wird und damit meine ich den Abstieg in die 2.Liga, um dem eine Chance zu geben, zu gesunden.

  12. 6.

    Genau so ging es mir auch...es war keine Einheit...kein Wille zu sehen. Überall mal wieder Chaos im Verein. :( Da habe ich mich mit der 2.Liga schob abgefunden.

    Und dann kam Magath...da ging wieder eine Mannschaft auf den Platz. Der Kampf und der Wille war da...Nun fehlten wenige Prozente und Glück...Hätten sie das 2. Tor gegen Bielefeld gemacht zum Bespiel. Im Spiel gegen Mainz...sie wollten keinen Fehler machen und Kompakt stehen. Das gelang teilweise. Aber in der zweiten Halbzeit fehlte der Mut nach vorne bzw. war kein Spieler da um den entscheidenden Ball nach vorne zu bringen.

    Jetzt heißt es nochmal alles geben! HSV hat jetzt einige Spiele gewonnen und eine breite Brust. Aber Hertha muss jetzt die Wut rauslassen für die letzten 3 nicht so glücklichen Spiele. Ein gutes Polster Zuhause für sich und die Fans! Die man in Dortmund sehr laut gehört hat.

    Ha Ho He wir packen es!

  13. 5.

    Es ist also der HSV. Ich denke, Hertha kann schon einmal für die 2. Liga planen. Das sage ich ohne Häme, und ohne den Wunsch nach einem Abstieg der alten Dame. Aber leider hatte ich mit meinen Annahmen für die letzten beiden Spieltage auch Recht.

  14. 4.

    Nachsitzen soll ja grundsätzlich neben der Strafe auch bewirken, dass man Zeit zum Nachdenken hat, wie man in diese Situation geraten ist. Meist ist man dann überrascht, dass man selbst Schuld ist. Auch „Versetzung gefährdet“ reicht oft nicht aus, um rechtzeitig das Verhalten zu ändern. Bin gespannt, wie die Spieler nun agieren. Das ist vor allem eine Kopfsache.

  15. 3.

    Naja... Mit der gleichen Herangehensweise könnte man auch sagen, dass der Abstieg für Arminia ebenfalls ein Geschenk ist, weil sie in der ersten Liga aktuell halt nicht mithalten können.

    Ein Geschenk ist ja eigentlich eher positiv konnotiert. Aber wer bei Hertha wird sich wohl ein solches Geschenk gewünscht haben?
    Noch dazu z.B. Kaderplanung und Urlaub dadurch zeitlich nach hinten rutschen, weil man erst noch abwarten muss, wie die Relegationsspiele ausgehen. Dadurch hat man gleich schon wieder einen kleinen Nachteil gegenüber dem Rest der Liga für die kommende Saison.
    Auch mag es für potenzielle Neuzugänge verlockender sein, bei einem gesicherten Erstligisten als bei einem lediglich über die Relegation in der Liga verbliebenen Club anzuheuern, dessen Hauptreiz - das viele Geld - schon längst wieder passé ist.

    Für mich klingt dieser Artikel daher eher nach Zweckoptimismus.

  16. 2.

    Guter Kommentar! Ich habe zwar überwiegend Hertha-Spiele gesehen, da fehlt der objektive Vergleich zu anderen Bundesligisten. Aber Hertha bot Inden ersten zehn Partien der Rückrunde wirklich ein jämmerlich es Bild. Nach dem verlorenen Frankfurt-Heimspiel hatte ich die Truppe als sicheren Absteiger ausgemacht. Daher ist die Relegation wirklich ein Geschenk.
    Hahohe, ihr packt das. WB4ever!!

  17. 1.

    Sehr guter Beitrag.
    Hertha ist ein 130 jähriger Baum mit einer Riesen Krone ohne Stamm. Jetzt hat der Wind wohl zu stark geweht. Vielleicht lernen Sie draus.

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