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Audio: Antenne Brandenburg | 20.02.20 | Josefine Jahn | Quelle: rbb/Jahn

Umstrittenes Medikament

Cottbuser Klinik verteidigt Cytotec-Einsatz bei Geburten

Das Medikament Cytotec wird in der Geburtshilfe zur Einleitung von Wehen verwendet, obwohl es eigentlich ein Magenschutzmittel ist. Am CTK Cottbus passiert das jährlich bei Dutzenden Frauen. Das Krankenhaus verteidigt den Einsatz dennoch. Von Josefine Jahn

Das Carl-Thiem-Klinikum Cottbus verteidigt den Einsatz des in die Diskussion gekommenen Medikaments Cytotec. Es ist als Magenmedikament zugelassen, wird aber auch bei Geburten zur Einleitung von Wehen benutzt.

Nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" und des Bayerischen Rundfunks könne es bei Cytotec in Einzelfällen zu heftigen Nebenwirkungen für Mutter und Kind kommen - vom Hirnschaden bis zum Wehensturm oder gar dem Tod der Mutter oder des Fötus.

Chefarzt: "Eigentlich ein Anwendungsproblem"

Seit mehr als zehn Jahren wird Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol angewandt, auch am Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus. Jährlich bekommen am CTK etwa 150 Frauen das Medikament zur Geburtshilfe.

Der Chefarzt der Frauenklinik des CTK, Jörg Schreier | Quelle: rbb/Jahn

Bei rund 1.200 Geburten im Jahr 2019 ist das etwa jede achte Frau. "Unsere Einleitungsquote liegt bei circa 25 bis 30 Prozent aller Geburten", schreibt das Klinikum in einer Mitteilung an rbb|24. "Davon werden 50 Prozent mit Cytotec eingeleitet."

Das passiere nach "ausführlicher Nutzen-Risikoaufklärung im Einverständnis der Patientin", heißt es weiter. Das Klinikum habe keine schlechten Erfahrungen mit Cytotec gemacht, sagt der Chefarzt der Frauenklinik, Jörg Schreier, rbb|24. "Einen Wehensturm kann man mit jedem Medikament auslösen - selbst mit Medikamenten, die ursprünglich dafür gedacht waren, wenn man sie nicht in der richtigen Dosierung und der richtigen Überwachung einsetzt." Bei einem Wehensturm setzen die Wehen zu stark oder zu häufig ein; es besteht die Gefahr, dass die Gebärmutter einreißt.

In den Fällen, die dem Chefarzt aus anderen Häusern bekannt sind, sei das Medikament falsch angewendet, falsch dosiert und falsch überwacht worden, so Schreier weiter. Dazu käme die falsche Indikation, sprich: in welcher Situation das Medikament gegeben werden könne. Dann sei es "gar nicht so sehr das Medikament, sondern eigentlich ein Anwendungsproblem", sagt der Chefarzt der Cottbuser Frauenklinik.

"Fast einzige Möglichkeit vor dem Kaiserschnitt"

Schwangere Frauen müssten sich nach Aussage von Jörg Schreier jetzt keine Sorgen machen. "Wir klären auf, welche Methoden und welche Vor- und Nachteile es gibt." Keine Geburt sei wie die andere.

Ist die Fruchtblase allerdings schon geplatzt, gebe es nicht mehr so viele Möglichkeiten für eine Geburtshilfe. Für die vaginale Einnahme von Medikamenten sei in diesem Fall das Entzündungsrisiko zu hoch. "Eigentlich haben wir nur das Cytotec. Und wenn der Befund noch nicht so reif ist, dass wir Wehen stimulieren, dann ist es fast unsere einzige Möglichkeit vor dem Kaiserschnitt."

Geburtshilfe-Gesellschaft: Cytotec von Weltgesundheitsorganisation empfohlen

Obwohl Cytotec in Deutschland als Magenmedikament zugelassen ist, können Ärzte im Rahmen ihrer Therapiefreiheit die Pille auch als Wehenauslöser einsetzen, wenn es ihrer Ansicht nach angemessen ist - und wenn die betroffene Schwangere vorher zugestimmt hat. Medienberichten zufolge verwendet laut einer bisher unveröffentlichten Umfrage der Universität Lübeck rund die Hälfte der deutschen Kliniken Cytotec.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) bestätigte, dass Risiken bekannt seien, wenn das Medikament Cytotec außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs verordnet werde. Die Anwendung werde aber unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiter empfohlen. 

Warnungen gibt es seit Jahren

Neu sind die Zweifel an Cytotec nicht. Laut "Süddeutscher Zeitung" und dem Bayerischen Rundfunk warnt die US-Arzneimittelbehörde FDA seit Jahren vor der Verwendung der Tabletten zur Einleitung der Wehen, weil es zu Todesfällen kam. Auf europäischer Ebene wurde unter Beteiligung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Aktualisierung der Fachinformationen empfohlen.

Dem BfArM lagen nach eigenen Angaben bis Ende Oktober 2019 insgesamt 74 Verdachtsmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen in Zusammenhang mit Cytotec bei der Geburtseinleitung vor. Darunter sei ein Todesfall: Ein Neugeborenes sei vier Tage nach der Geburt durch eine Lungenblutung gestorben. Die Mutter hatte Cytotec und ein weiteres Präparat (Misodel) zur Geburtseinleitung erhalten.

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