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Quelle: imago/Westend61

Interview | Bundestag billigt Triage-Gesetz

"Es ist möglich, dass Patienten mit guten Chancen nicht behandelt werden können"

Ein neues Triage-Gesetz soll die Benachteiligung alter oder behinderter Patienten auf Intensivstationen verhindern. Der Chefarzt der Cottbuser Intensivmedizin erklärt die Neuregelung - und warum sie aus seiner Sicht nicht gelungen ist.

Menschen mit Behinderung und alte Menschen sollen bei knappen Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen im Falle von Pandemien nicht benachteiligt werden. Der Bundestag hat am Donnerstag dazu ein Gesetz zur sogenannten Triage [tagesschau.de] beschlossen.

rbb|24: Herr Soukup, als Chefarzt der Intensivmedizin am Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum (CTK) und als Mitglied der Ethikkommission haben Sie unmittelbar mit dem Thema Triage zu tun. Welche Regelungen hat der Bundestag denn genau getroffen?

Jens Soukup: Prinzipiell geht es in dem Triage-Gesetz darum, dass in dem Fall, wenn das letzte Intensivbett vergeben werden muss, entschieden wird, welcher der potentiellen Patienten behandelt wird und welcher nicht. Mit diesem Gesetz soll es ein bisschen Rechtssicherheit geben: Alle Patienten sollen gleichwertig behandelt werden, sodass nun rechtssicher und fair das letzte Bett vergeben werden kann.

Der Gesetzgeber legt also nicht konkret fest, wer behandelt werden soll?

Der Gesetzgeber gibt nur den Rahmen vor. Wir Ärzte treffen ja auch jetzt schon Entscheidungen für oder gegen eine Therapie mit dem Patienten oder mit einem Angehörigen, aber das ist hier noch eine Besonderheit, weil man die Entscheidung in einer Akutsituation treffen muss, eben weil man begrenzte Kapazitäten zur Verfügung hat.

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Was halten Sie von dieser Entscheidung?

Das geht in die Kategorie: eigentlich gut gemeint, aber, aus meiner Sicht, recht schlecht gemacht. Die Gleichwertigkeit, die primär die Intention dieses Triage-Konzeptes war, ist nicht gegeben, weil man die sogenannte Ex-Post-Triage ausschließt.

Ex-Post-Triage heißt, ich darf nur unter den Patienten entscheiden, die aktuell für dieses Bett in Frage kommen. Ich kann also nicht die Patienten in die Entscheidung einbeziehen, die schon behandelt werden und eine schlechte Prognose im Verlauf entwickelt haben. Es ist ein bisschen wie: 'Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.' Der hat das Bett. Es muss dann unter den Patienten, die später kommen, ausgemacht werden.

Diese Regelung wird definitiv zu einer Belastungssituation bei uns Ärzten führen, weil wir wissen, dass es möglich ist, dass Patienten, die vielleicht eine Chance haben und über die entschieden werden muss, dann nicht behandelt werden können. Ein Patient, der vielleicht schon drei, vier Tage im Intensivbereich liegt und sich schlecht entwickelt hat, kann aber nicht in die Triage einbezogen werden.

Welche Regelung wäre denn aus Ihrer Sicht besser gewesen?

Es wäre besser gewesen, wenn man die Entscheidung unter allen Patienten auf der Intensivstation ausmacht. Es gab dazu auch Empfehlungen der Intensivgesellschaft Divi. Die haben sich bereits Gedanken gemacht, wie man das für die Patienten und die Angehörigen fair gestalten kann. Dazu gehört auch ein Mehraugenprinzip. Das haben wir jetzt auch.

Richtig ist, dass man die kurzfristige Erfolgswahrscheinlichkeit, also das kurzfristige Überleben betrachtet. Das ist in Ordnung. Aber es sollten alle Patienten betrachtet werden, nicht nur die, die zur Behandlung anstehen. Die Divi hatte ein wirklich gutes Konzept, darauf hatten wir uns am CTK auch eingestellt. Die Herausnahme der Ex-Post-Triage erfordert nun, dass wir uns im Klinikum mit der Ethikkommission wieder zusammensetzen und uns Gedanken machen müssen, wie wir das umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Daniel Friedrich für Antenne Brandenburg.

Sendung: Antenne Brandenburg, 11.11.2022, 11:30 Uhr

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