rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Audio: rbb24 Radioeins | 14.04.2024 | Interview | Quelle: dpa/Gladkov

Nachhaltiger Dünger

Wie Weltraumtechnik Urindünger zum Durchbruch verhelfen könnte

Die Herstellung von Kunstdünger ist energieintensiv und aufwendig. Gleichzeitig bleibt ein potenzieller Rohstoff weitestgehend ungenutzt: menschlicher Urin. Forschende aus Brandenburg wollen das ändern und greifen dafür auf Weltraumtechnik zurück. Von Andreas Heins

Manches, was das Leben und Überleben im Weltraum verbessert, findet irgendwann den Weg in unseren Alltag. Nun wollen Forschende aus Teltow-Fläming ein Düngeverfahren in die irdischen Gärten bringen, dass für zukünftige Mond- und Marsmissionen entwickelt wurde und auf recyceltem Urin von Menschen setzt.

Bevor Kunstdünger erfunden wurde, haben Landwirte vor allem mit Urin und Kot von Tieren - und Menschen - gedüngt. Nun ist es nicht jedermanns Sache Urin im Garten zu versprühen. Richtig gemacht, ist es allerdings geruchs- und problemlos, sagt Florian Schühle vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren.

Der typische Geruch entsteht erst, wenn Urin konzentriert ausgebracht wird. Stark verdünnt ist er besser für die Nase und auch für Pflanzen. "Solange es sich um den eigenen Urin handelt und man die Pflanzen auch nur selbst nutzt, die damit gedüngt sind, ist das erlaubt", sagt Schühle. Wenn allerdings der Urin von einer Person an Pflanzen ausgebracht werden, die von einer anderen genutzt werden, sei allerdings eine Grenze erreicht, sagt er. Vor allem in der kommerziellen Landwirtschaft wäre das ein Problem. "Aber für den eigenen Gebrauch im Kleingarten empfehlen wir Urin auf jeden Fall und das ist auch unproblematisch", so der Experte.

Festival-Klos aus Eberswalde

Wie menschlicher Kot zum Klimaschutz beitragen kann

In Eberswalde steht die deutschlandweit erste Pilotanlage, die aus den Inhalten von Trockentoiletten Humusdünger herstellt. 100 solcher Öko-Klos kommen auch beim Tempelhof Sounds Festival zum Einsatz. Von Felicitas Montag

Erfolgreich in Berliner Gemeinschaftsgärten getestet

Wissenschaftler Schühle ist auch für das Citizen-Science Projekt U-Cycle tätig, das sich mit aus Urin hergestelltem Flüssigdünger beschäftigt. Ein Produkt, dass sich in Aussehen und Geruch sowie in der Anwendung nicht wesentlich von konventionellem Dünger unterscheidet.

Ein Vorläuferprojekt in Berliner Gemeinschaftsgärten war bereits erfolgreich, jetzt können auch Gemeinschafts- und Schulgärten sowie einzelne Kleingärtnerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet mitmachen. Untersucht wird, wie sich der Dünger in privaten Gärten anwenden lässt, wie erfolgreich er ist und wie schnell er von Verbrauchern akzeptiert wird. Außerdem soll über verschiedene Düngemethoden aufgeklärt werden.

Für die Teilnahme braucht es nur zwei Flächen von je mindestens einem Quadratmeter. Auf beiden sollen dieselben Gewächse gepflanzt werden. Welche Arten das sein sollen, ist nicht vorgegeben. Die eine Fläche soll gedüngt werden wie bislang, die andere mit dem Konzentrat aus recyceltem Urin. Alle zwei Wochen soll das Wachstum der Pflanzen dokumentiert werden, abschließend wird die Ernte gewogen. [Mehr Informationen: urban-cycles.de]

Barnim

Eröffnung der ersten Recyclingdünger-Forschungsanlage in Eberswalde

Forscher überlegen Workshops für Eigenbau anzubieten

Wer an der Studie teilnimmt, bekommt den Flüssigdünger gestellt. Hergestellt wird dieser nach einer Methode, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für Langzeitmissionen zum Mond oder Mars entwickelt hat. Bei Reisen ins Weltall muss bedacht mit Ressourcen umgegangen werden. Wenn sich Astronaut:innen etwa mit selbstgezogenen Pflanzen ernähren sollen, müssen diese gedüngt werden. Platz und Energie sind begrenzt und um Versorgungsflüge zu sparen sind geschlossene Kreisläufe sinnvoll.

Da menschlicher Urin jede Menge Stickstoff enthält, wäre dies ein idealer Rohstoff für Dünger. Es liegt also nahe, die flüssigen Hinterlassenschaften der Besatzung zu nutzen. Das Verfahren des DLR nutzt leicht verfügbare Technik und kommt mit einem Minimum an Energie aus. Nur Strom für eine kleine Pumpe ist nötig.

Der Urin läuft durch einen mit Lavasplit gefüllten Bioreaktor in dem Bakterien den Harnstoff in Nitrat umwandeln, das für Pflanzen verwertbar ist. Dies löst gleichzeitig das Geruchsproblem. Das Verfahren ist so einfach, dass Florian Schühle und seine Kolleg:innen überlegen, einen Selbstbau-Workshop für einen solchen Bioreaktor anzubieten. Um Medikamentenrückstände zu entfernen kann der Dünger noch durch Aktivkohle gefiltert und anschließend durch Erhitzen eingedickt und sterilisiert.

Solidarische Landwirtschaft

Regionale Kiste – wenn sich Bauern und Verbraucher das Risiko teilen

Regionales Obst und Gemüse zu kaufen, ist vielen wichtig. Bei der Solidarischen Landwirtschaft erhalten Konsumenten gegen einen Festbetrag einen Teil der Ernte. Für die Höfe sinkt das Risiko, die Verbraucher wissen, woher ihr Essen kommt. Wie funktioniert das? Von Andreas Heins

Der Opa hat das auch schon gemacht

"In Berliner Gemeinschaftsgärten gibt es überhaupt keine Probleme mit der Akzeptanz von Urindünger", sagt Schühle. Viele Leute seien für die Methode offen. "Der Opa hat das schon gemacht", sei etwa zurückgemeldet worden. Einige Kleingärtner:innen würden bereits selbst mit Urin düngen, so Schühle. Bedenken gäbe es wegen der Rückstände von Medikamenten. "Aber wenn man dann das Verfahren erklärt und aufklärt, wie der Dünger produziert wird, ist die Akzeptanz und das Interesse groß."

Einen Haken gibt es allerdings noch: Urin ist in Deutschland nicht als Grundstoff für das Recycling vorgesehen. Der Vertrieb von Produkten aus Urin ist deshalb nicht erlaubt. Das Citizen-Science Projekt verwendet deshalb künstlichem Urin für die Herstellung. In Österreich, Lichtenstein und der Schweiz ist ein ähnlicher Dünger aus recyceltem Urin bereits im Handel erhältlich. In Eberswalde kann sogar eine Pilotanlage besichtigt werden, die diesen Dünger herstellt. Verkauft werden darf er aber hierzulande nicht.

Überzeugungsarbeit für die Ungefährlichkeit und Akzeptanz von Urindünger soll das Projekt U-Cycle auch in der Politik leisten. Zurzeit wird der Harnstoff im Urin in der biologischen Stufe von Kläranlagen durch Bakterien abgebaut und als Stickstoff in die Luft entlassen. Um Kunstdünger herzustellen, wird wiederum Stickstoff mit hohem Energieaufwand aus der Luft geholt. Dieser Umweg könnte vermieden werden, meinen Forscher weltweit. Untersuchungen schätzen, dass zwischen sieben und 19 Prozent des globalen Düngebedarfs mit Urin gedeckt werden könnten. Stoffkreisläufe zu schließen und Energie zu sparen ist nicht nur im Weltall sinnvoll.

Sendung: Radioeins, 14.04.2024, 8:40 Uhr

Beitrag von Andreas Heins

Artikel im mobilen Angebot lesen