Solidarische Landwirtschaft - Regionale Kiste – wenn sich Bauern und Verbraucher das Risiko teilen
Regionales Obst und Gemüse zu kaufen, ist vielen wichtig. Bei der Solidarischen Landwirtschaft erhalten Konsumenten gegen einen Festbetrag einen Teil der Ernte. Für die Höfe sinkt das Risiko, die Verbraucher wissen, woher ihr Essen kommt. Wie funktioniert das? Von Andreas Heins
Jährlich geben Tausende kleiner Landwirtschaftsbetriebe in Europa auf: Sie können nicht rentabel wirtschaften oder keine Nachfolger finden. Etwa die Hälfte der Höfe in Deutschland arbeiten im Nebenerwerb, denn der Erlös aus der Landwirtschaft reicht nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kleine Betriebe können die vom Großhandel geforderten Mengen in gleichbleibender Form und Größe nicht liefern und mit den Großhandelspreisen kostendeckend arbeiten.
Besonders die ökologische Landwirtschaft setzt daher oft auf den Direktvertrieb, also auf den Warenverkauf auf Wochenmärkten oder per Abo-Kisten. Relativ neu ist die Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi): In diesem Modell bilden Landwirtschaftshöfe und Verbraucher eine Art Wirtschaftsgemeinschaft.
"Gemeinschaftlich finanzieren und die Ernte teilen"
Ognyan Tzotchev ist einer der Gründer der SoLaWi Ackerwesen, einem Netzwerk von Verbrauchern in Berlin und Erkner sowie vier Bio-Betrieben in der märkischen Schweiz und an der Oder. "Wir haben um die 400 Haushalte in Berlin, die die Produkte abnehmen. Diese zahlen einen aufs Jahr festgelegten monatlichen Betrag, eine Art Kredit auf die Ernte. Dafür erhalten sie einen entsprechenden Anteil des Ertrags, je nachdem, was die Saison hergibt, und ob es ein schlechtes oder ein gutes Jahr ist. Das Prinzip lässt sich so formulieren: Gemeinschaftlich finanzieren und die Ernte teilen", sagt er. Zum Ackerwesen-Netzwerk gehört auch ein Obsthof, sodass sich das Angebot nicht nur auf Gemüse beschränkt.
Obst und Gemüse werden wöchentlich an 48, in der Stadt verteilte, Gruppen geliefert. "Die Gruppen organisieren die Weiterverteilung selbstständig, oft gibt es feste Abholtermine. Hat jemand Allergien oder Aversionen gegen bestimmte Lebensmittel, kann auch innerhalb der Gruppe getauscht werden, und am Schluss wird in den Gruppen gemeinsam geputzt und aufgeräumt“ sagt Ognyan Tzotchev.
Bundesweit arbeiten 500 Höfe mit der Solidarischen Landwirtschaft
Noch besetzt das Modell der SoLaWi nur eine kleine Nische in der Landwirtschaft. Obwohl sich die Zahl der Höfe in der letzten zehn Jahren verzehnfacht hat, arbeiten bundesweit nur etwa 500 Höfe und Gartenbaubetriebe mit diesem Vertriebsmodell. Davon drei in Berlin und 28 in Brandenburg (Stand 2023). Oft scheitert es an mangelndem Wissen und fehlenden Beratungsmöglichkeiten
Viele der SoLaWi-Projekte haben einen Umweltbildungsanspruch und wollen die Herkunft der Nahrungsmittel persönlich erlebbar machen. Sie organisieren Treffen und Hofbesuche. Auch die Mithilfe in den Betrieben ist möglich. Ognyan Tzotchev ergänzt: “Daneben setzen wir auf größtmögliche Transparenz, wohin das Geld geht, und was angebaut wird. Wir versenden einen wöchentlichen Newsletter, um die Mitglieder auf dem aktuellen Stand zu halten. Wünsche können, in Absprache mit den Höfen, berücksichtigt werden. Natürlich geht nur, was auch sinnvoll anbaubar ist, das letzte Wort haben die Landwirt:innen, die sind die Fachleute.“
Eine offizielle Rechtsform für solche Projekte gibt es in Deutschland nicht. "Es gibt viele Möglichkeiten, etwa Genossenschaften, GbR, OHG oder GmbH", sagt Ognyan Tzotchev. Eine vorherige Rechts- und Steuerberatung sei deswegen wichtig. "Wir haben uns, nach langem Überlegen, für eine GmbH entschieden. Diese GmbH übernimmt die Organisation, den Transport des Gemüses, die Abrechnungen, organisiert Treffen und informiert die Mitglieder. Das entlastet die Landwirt:innen zusätzlich. Beratung und Hilfe für Neugründungen bietet auch das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V..
Gewinnbringend und ökologisch
Letztendlich geht es darum, dass die Höfe wirtschaftlich arbeiten können, ohne die Natur oder sich selbst auszubeuten. "Wir wollen preislich gar nicht mit den Bio-Supermärkten in Konkurrenz treten, und auch krummes Gemüse kommt bei uns in die Kiste" sagt Ognyan Tzotchev. Die Betriebe sollen gewinnbringend arbeiten können, Landwirte und Landwirtinnen finanziell und sozial abgesichert werden, das Risiko von Ernteausfällen wird geteilt.
Damit sich auch sozial schwächere Haushalte die Lebensmittel der SoLaWi leisten können, setzt Ackerwesen, wie viele andere Projekte, auf das sogenannte Bietverfahren. Gemeinsam mit den Betrieben wird ein kostendeckender Richtwert vorgegeben. Die Mitglieder können, je nach ihren eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen, darüber oder darunter bieten. Dieses Prinzip ist bei den meisten SoLaWis gleich. Kommt die erforderliche Summe nicht zustande, werden die Gebote angepasst oder es gibt neue Bietrunden.
Im Mai wird Ackerwesen ein Jahr alt. 2023 hat das Netzwerk insgesamt über 60 Obst- und Gemüsesorten nach Saison und Ertrag ausgeliefert: Äpfel, Erdbeeren, Sauerkirschen, Möhren, Kohl, Tomaten, Gurken, Salat, aber auch Auberginen und eher exotisches wie Edamame. Im Herbst gab es mehr Vielfalt, im Frühling weniger, sagt Ognyan Tzotchev, sagt Ognyan Tzotchev.
Landwirtschaft hängt vom Wetter ab. Deswegen stehe noch nicht hundertprozentig fest, wieviel und was in diesem Jahr in den Kisten sein werde, sagt Ackerwesen-Gründer Tzotchev. Mit einer Ausnahme: "Kartoffeln gibt es eigentlich immer!"
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