100 Jahre "Nosferatu" - Als der erste Vampir der Filmgeschichte nach Berlin kam

So 11.12.22 | 11:47 Uhr | Von Anne Kohlick
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Filmstill aus "Nosferatu": Der Vampir attackiert den Kapitän eines Schiffes (Quelle: akg-images)
Bild: akg-images

1922 feiert ein Horrorfilm Weltpremiere in Berlin. Vampir "Nosferatu" bringt die Pest - kurz zuvor tötete die Spanische Grippe in der Hauptstadt Zehntausende. Der Film floppt zunächst, heute ist es eines der bedeutendsten Werke der Filmgeschichte. Von Anne Kohlick

"Eine Symphonie des Grauens wollen Sie sehen? Sie dürfen mehr erwarten": Mit diesen geheimnisvollen Worten wurde vor 100 Jahren ein Film beworben, der unser Bild von Vampiren bis heute prägt. Ein hagerer Schatten huscht eine Treppe hinauf. Die Umrisse langer, krallenartiger Finger zeichnen sich an der Wand ab. Gleich wird der Untote Nosferatu - der Name lehnt sich an das transsilvanische Wort für Teufel Nesuferitu an - seine Eckzähne in den Hals einer schlafenden Frau rammen.

Der Vampir geistert auf Plakaten und Anzeigen schon lange vor der rauschenden Premierenfeier im Marmorsaal des Zoologischen Gartens am 4. März 1922 durch Berlin. Die Werbekosten übersteigen sogar die Produktionskosten des Stummfilms "Nosferatu". In den Kinos floppt der Vampir-Horror aber - trotz lobender Kritiken in den Zeitungen: für die einzigartige Bildsprache, das Spiel mit dem Hell-Dunkel von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau und Kameramann Fritz Arno Wagner.

"Nosferatu": Im Film von 1922 reist der Vampir auf einem Schiff in die fiktive deutsche Stadt Wysborg (Quelle: akg-images)
Max Schreck spielt Nosferatu so überzeugend, dass über ihn gemunkelt wird, er sei wirklich ein Vampir.Bild: akg-images

1925 sollten alle Filmrollen von "Nosferatu" vernichtet werden

Wäre es nach einem Berliner Gerichtsurteil von 1925 gegangen, würde "Nosferatu" heute überhaupt nicht mehr existieren: Alle Filmrollen sollten vernichtet werden. Ein Copyright-Streit mit der Witwe von "Dracula"-Romanautor Bram Stoker hätte fast eines der wichtigsten Werke des deutschen Expressionismus ausgelöscht.

Wie der Vampir-Klassiker doch überdauern konnte und warum "Nosferatu" bis heute einer der meistgezeigten Stummfilme weltweit ist - stilprägend für Bücher, Kino, Popkultur - davon erzählt ab Freitag, den 16.12., die neue Ausstellung "Phantome der Nacht - 100 Jahre Nosferatu" [nosferatuinberlin.de] in der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Berlin. Zeit für einen Rückblick.

100 Jahre Grusel

Geklaut bei "Dracula": die Handlung des Films

Das Drehbuch zu "Nosferatu" lehnt sich an Bram Stokers berühmten Vampirroman "Dracula" von 1897 an. Die gerade erst gegründete Berliner Produktionsfirma Prana Film GmbH versäumt allerdings, im Vorfeld der Dreharbeiten 1921 die Rechte am Stoff mit Stokers Witwe zu klären. Stattdessen sollen neue Namen für die Figuren und andere Schauplätze von den - trotzdem offensichtlichen - Ähnlichkeiten zum "Dracula"-Roman ablenken.

Aus der fiktiven deutschen Kleinstadt Wisborg (gedreht wird vor allem in Wismar) bricht in der Zeit des Biedermeier der junge Thomas Hutter (Gustav von Wangenheim) zu einer Dienstreise nach Transsilvanien auf. Im Auftrag seines Chefs soll er dort den Grafen Orlok (Max Schreck) treffen. Der zeigt sich bei der Begegnung fasziniert von einem Bild, das Hutter von seiner schönen Ehefrau Ellen (Greta Schröder) bei sich trägt. In der Nacht entpuppt sich der Graf als Vampir, der sich unverzüglich auf den Weg zum auserkorenen Opfer Ellen macht.

Mit Nosferatu kommt die Seuche

Mit dem Schiff reist Orlok alias Nosferatu nach Wisborg - begleitet von Ratten, die entlang seiner Route die Pest verbreiten. Das Wort Nosferatu, das Bram Stoker zweimal in seinem "Dracula"-Roman im Sinne von "Untoter" verwendet, könnte sich auch vom Dämon Nosophoros, dem "Pestbringer", aus der griechischen Volksmythologie ableiten.

Denn mit dem Vampir kommt die Seuche nach Wisborg. Viele Menschen sterben an der Pest, bis Ellen sich opfert und Nosferatu bei sich behält - bis die Strahlen der Morgensonne ihn treffen. Als Thomas Hutter zurückkehrt, ist seine Frau tot - ausgesaugt vom Vampir, der sich in Rauch und Asche aufgelöst hat.

Der historische Hintergrund

Berlin ist 1922 eine Stadt, in der das Grauen nicht nur auf der Leinwand präsent ist: Verstümmelte Veteranen des Ersten Weltkriegs prägen das Straßenbild. Es ist erst wenige Jahre her, dass die Spanische Grippe in der Hauptstadt mehr als 50.000 Menschen getötet hat, als der Seuchenbringer "Nosferatu" ins Kino kommt.

Kunsthistoriker Jürgen Müller, Kurator der Ausstellung zu "100 Jahre Nosferatu", interpretiert den Film-Vampir als Wiedergänger der unheilbringenden antisemitischen Figur des "Ewigen Juden": Er stehe für Wanderschaft, Unreinheit, Verborgenheit. "Mit dem Antisemitismus der Weimarer Zeit geht eine Metaphorik des Vampirismus einher", schreibt Müller, "in der vom deutschen Volkskörper die Rede ist, der durch ausländische Parasiten ausgesaugt werde". Der Kunsthistoriker sieht "Nosferatu" damit nicht nur als Horrorfilm, sondern als politisches Statement - gegen die Einwanderung jüdischer Menschen aus Osteuropa in die Weimarer Republik.

Infos im Netz

Die Dreharbeiten

Gedreht wird der Film unter der Regie von Friedrich Wilhelm Murnau 1921 unter anderem in Wismar, Lübeck und den rumänischen Karpaten. Anders als "Das Cabinet des Dr. Caligari", das 1919 komplett im Studio entsteht und die Künstlichkeit seiner expressionistischen Kulissen betont, setzt "Nosferatu" auf reale Schauplätze für die Außenszenen. Die aufwändigen Drehreisen machen den Film allerdings teuer.

Die Innenaufnahmen entstehen preisgünstiger in der Johannisthaler Filmanstalt: In den Werkshallen im Südosten Berlins wurden noch während des Ersten Weltkriegs Flugzeuge gebaut, doch der Versailler Vertrag schränkt diesen Industriezweig in Deutschland stark ein. Seit 1920 haben die ehemaligen "Albatros"-Werke deshalb umgerüstet - und bieten jetzt Filmteams Raum.

Der Hauptdarsteller - ein echter Vampir?

Im Zentrum der Dreharbeiten von "Nosferatu" steht der titelgebende Vampir, gespielt von Max Schreck (1879-1936) - so überzeugend, dass bald Gerüchte zirkulieren, der Berliner sei wirklich ein Untoter. Diese Idee greift der Film "Shadow of the Vampire" von 2000 auf: Er spielt während der Dreharbeiten zu "Nosferatu" 1921 und erzählt, wie Max Schreck (Willem Dafoe) am Set das Blut so manches Crewmitglieds aussaugt.

Fakt ist: Alle am Film Beteiligten haben die Dreharbeiten überlebt - aber für die junge Produktionsfirma bedeutet der kommerzielle Misserfolg von "Nosferatu" das Ende. Im August 1922 meldet die Prana Film GmbH des künstlerischen Direktors Albin Grau in Berlin Konkurs an - drei Jahre bevor Bram Stokers Witwe gegen die unautorisierte Verfilmung des "Dracula"-Stoffes klagt. Als ein Berliner Gericht ihr 1925 Recht gibt, ist von den "Nosferatu"-Machern längst kein Geld mehr zu holen.

Im Film "Shadow of the Vampire" spielt Willem Dafoe den Nosferatu-Darsteller Max Schreck (Quelle: KPA)Im Film "Shadow of the Vampire" von 2000 spielt Willem Dafoe den Nosferatu-Darsteller Max Schreck

Alle Filmrollen sollten zerstört werden

Wegen der Urheberrechtsverletzungen hat das Gericht angeordnet, alle Kopien des Films zu zerstören. Doch das Urteil wird nicht vollständig umgesetzt - längst zirkulieren international zu viele "Nosferatu"-Filmrollen, unter anderem in den USA. Ein Stück Filmgeschichte bleibt durch diesen Glücksfall erhalten.

Anders ergeht es dem 1920 veröffentlichten ungarischen Vampirfilm "Drakula halála" ("Draculas Tod"), gegen den Stokers Witwe ebenfalls klagt. In diesem Fall hat sich keine einzige Filmrolle erhalten - heute ist dessen Existenz nur noch durch Werbematerial und Zeitungsberichte bezeugt. Eine erste offizielle "Dracula"-Verfilmung entsteht übrigens erst 1931 in den Universal Studios in Kalifornien - mit Bela Lugosi in der Titelrolle.

Bela Lugosi in der Titelrolle der ersten autorisierten "Dracula"-Verfilmung von 1931 (Quelle: United Archives/IFTN)Bela Lugosi in der Titelrolle der ersten autorisierten "Dracula"-Verfilmung von 1931

Stilprägender Blutsauger: Nosferatus Vermächtnis

Doch zu diesem Zeitpunkt hat "Nosferatu" das Bild des Vampirs für die Nachwelt schon entscheidend geprägt - und viele Elemente des modernen Vampirfilms etabliert: Schlafen in Särgen, zwei runde Einstichstellen der Eckzähne in den Hals der Opfer. Die Szene, in der Nosferatus Schatten die Treppe hinaufschleicht, wurde wieder und wieder in Filmen zitiert und variiert - ebenso wie sich Nosferatu auf magische Weise kerzengerade aus seinem Sarg erhebt: ein früher Special Effect durch Stop-Motion-Animation.

Nosferatu hat im kollektiven Gedächtnis seit der Filmpremiere in Berlin 100 Jahre überdauert und seine Spinnenfinger in Comics, bildende Kunst und Popkultur ausgestreckt. Sogar in die Zeichentrickserie "Spongebob Schwammkopf" hat sich der Vampir eingeschlichen: Standesgemäß kündigt er sich dort mit dramatischen Hell-Dunkel-Effekten an.

Ob diese Kultfigur sich eines Tages nicht in der Morgensonne, sondern im Vergessen auflöst? Eine Werbeanzeige von 1921 für "Nosferatu" könnte die Antwort auf diese Frage sein: "Seien Sie vorsichtig", heißt es da, "Nosferatu ist kein Scherz, über den man banale Bemerkungen macht." Denn: "Nosferatu stirbt nicht."

Trailer zur Ausstellung "Phantome der Nacht - 100 Jahre Nosferatu"

Beitrag von Anne Kohlick

14 Kommentare

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  1. 14.

    Wirklich eine Glanzleistung unter Friedrich Wilhel Murnaus Regie und der schauspielerischen Leistung des Hauptdarstellers Max Schreck. Zum Glück konnten die, weltweit schon vorhandenen Kopien des Films gefunden und der Nachwelt erhalten bleiben. Schlimmer erging es den ungarischen Film Drakula halála aus dem Jahre 1921, wo sämtliche Kopien vernichtet wurden. Hervorgegangen war der Urheberrechtsstreit mit der Witwe des Schriftstellers und Draculaerfinders Bram Stoker, Florence Stoker.

  2. 13.

    Ich denke, bei Nosferatu ist kulturhistorisch alles dabei an Motiven, ohne dass ein Motiv davon das wesentliche wäre; filmtechnisch ist er eine Ikone.

  3. 12.

    Was Viele nicht wissen: Die Spanische Grippe heißt nicht deshalb so, weil sie maßgeblich in Spanien gewütet und von dort eingebracht worden wäre, sie heißt so, weil Spanien am 1. Weltkrieg nicht beteiligt war und im Gegensatz zu den anderen Staaten keine Geheimniskrämerei über die Krankheit herrschte. Wer keinen fulminanten Sieg über die anderen erringen will, empfindet eine Negativmeldung auch nicht als Schwächung und als Steilvorlage für die Gegenseite.

  4. 11.

    Nur so am Rande bemerkt. Der berühmte Dr. Mark Benecke ist der“ Präsident der Society of Drakula“.
    Und wie schon hier erwähnt, lesen Sie die großartige Necroscope Serie von Brian Lumley. Dann wissen Sie, dass es noch heute unter uns Vampire gibt ;-))

  5. 9.

    Danke für die sehr wichtige Erwähnung des Kunsthistorikers Müller, dass Nosferatu jede Menge antisemitische Bezüge aufweist und dies auch in der Ausstellung thematisiert wird. Bisher wurde ein Mantel des Schweigens darüber gelegt, nur sehr wenige wissenschaftliche Untersuchungen haben überhaupt mal drauf hingewiesen.

  6. 8.

    Klaus Kinski war privat ein absolutes A***ch. Aber er konnte herausragend Schauspielern. Nicht nur seine Rolle im herausragenden Film von Werner Herzog ist uns allen Cineasten in guter Erinnerung geblieben. An der Seite von Isabelle Adjani und nicht zu vergessen Bruno Ganz.

  7. 7.

    Nosferatu gab es in echt-in Form von Klaus Kinski.

  8. 6.

    Falls Sie überhaupt an dieses Thema interessiert sind, es gibt einige sehr plausible Dokumentationen über sogenannte Vampire. Hierzu reicht schon ein Blick in Richtung der Karpaten. Dort befindet sich sogar eine sehr alte Burg, genannt nach Drakula. Von irgendwoher muß auch der Buchautor Bram Stoker ja seine Informationen hergeleitet haben um solch ein bedeutendes Werk zu veröffentlichen. Nicht wahr?

  9. 5.

    Sehr nette und gelungene Retrospektive!!!
    Vielen Dank!!!

  10. 4.

    „ Ein Copyright-Streit mit der Witwe von "Dracula"-Romanautor Bram Stoker hätte fast eines der wichtigsten Werke des deutschen Expressionismus ausgelöscht.“
    Natürlich, ein seeeehhhhhrrrrr wichtiges Werk …

  11. 3.

    Also ich glaub nicht an Vampire. Ich mein klar, man kanns nicht 100hunderprozentich ausschließen, aber ich glaub halt nicht dran. Weil ichs auch für sehr unwahrscheinlich halte.

  12. 2.

    Bitte nicht Spanische Grippe nennen.

  13. 1.

    Ach welch schön gruseliger Artikel. Obwohl die damalige Zeit weniger lustig war, wie so manche immer behaupten. Heute noch schmunzel ich, wenn ich an diesen tollen Stummfilm denke. Vampir Geschichten waren eine lange Zeit recht beliebt. Mein größter Favorit dieses Genres ist und bleibt für mich neben Bram Stokers Drakula der Buchautor Brain Lumley mit seiner Necroscope Serie.

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