Konzertkritik | Ghost Woman im Urban Spree - "Überkandidelter Hipster-Kram"

Di 15.08.23 | 10:00 Uhr | Von Hendrik Schröder
  2
Symbolbild: Die Band Ghost Woman (Quelle: privat)
Audio: rbb24 Inforadio | 15.08.2023 | Hendrik Schröder | Bild: privat

Ghost Woman haben in sieben Monaten zwei gefeierte Platten veröffentlicht. Ihr Sound klingt dabei wie ein analoger LSD-Trip im Amerika der 1960er. Live in Berlin trotzte die Band technischen Pannen mit größtmöglicher Coolness. Von Hendrik Schröder

Es ist schon kurz nach 22 Uhr, als Schlagzeugerin Ille van Dessel auf die Bühne kommt und loshämmert. Ganz schön spät für einen Montagabend, aber vielleicht muss das so sein, bei diesem Sound, in diesem Laden. Van Dessels Drumkit steht seitlich zum Publikum auf der Bühne und ganz vorne, das ist ungewöhnlich und interessant. So kann die Schlagzeugerin dem Sänger, Texter und Mastermind hinter Ghost Woman, Evan Uschenko, beim Spielen ins Gesicht schauen und er ihr. Denn die Band besteht an diesem Abend und auf dieser Tour nur aus den beiden. Der Bass kommt von irgendwo aus dem Computer.

Beatgetriebener Ritt

Uschenko greift sich seine 12-saitige Gitarre, schraubt die Effekte voll rein, auch die auf dem Gesang - und los geht ein psychedelischer, derber, beatgetriebener Ritt, der einen sofort auf einen LSD-Trip zurück in die 1960er feuert. Man will sich gerade so richtig reinfallen lassen, da stoppt die Band plötzlich. Irgendwas stimmt nicht. Technik kaputt.

Die Visuals, die sich Ghost Woman gerade erst ausgedacht haben, funktionieren nicht. "Wir fangen noch mal ganz von vorne an", scherzt Sänger Evan, dieser verschwitzte Hüne, nachdem alles repariert scheint, "also ihr kommt noch mal rein und wir haben noch gar nicht gespielt". Gelächter. Beat. Gitarre. Es geht wirklich noch mal von vorne los, sie spielen noch mal den Introsong, dieses Mal noch ein bisschen derber.

Feedbackorgien und Boxschläge in die Luft

Das Urban Spree auf dem RAW-Gelände sieht im Innern aus, wie Touristen oder Drehbuchschreiber sich einen Berliner Indie-Underground-Club vorstellen: Eng, niedrige Decken, unverputzte Wände, dreckige alte Fliesen auf dem Boden, eine kleine Bar irgendwo in die Ecke gezimmert und an diesem Abend zudem sehr, sehr dunkel. Es ist bis auf ein paar flimmernde, flackernde Lichtschnipsel auf der Leinwand hinter der Bühne jetzt wirklich stockfinster.

Feedbackorgien drücken aus den Boxen, Evan spielt die Gitarre auf dem Rücken, Schlagzeugerin Illes Gesicht ist kaum zu sehen, ihre Haare hängen tief im Gesicht, der Kopf bangt im Takt, ein paar Mal boxt sie schreiend die Sticks gen Decke, bevor der hypnotische Beat wieder los geht. Das Publikum im ausverkauften Laden kommt jetzt auch in Fahrt, die Ohren fiepen, das Thermometer zeigt mindestens 100 Grad, trotz der Ventilatoren an der Decke.

"Fuck it"

Da reißt die Musik wieder abrupt ab. "Fuck, Fuck, Fuck" brüllt der Sänger, mittlerweile echt sauer. Schon wieder was kaputt am Licht. Pfeif auf die Visuals, auf die Lightshow. "Das ist eh überkandidelter Hipster-Kram", brüllt er, "mach ein bisschen Strobolicht und fertig", ruft er dem Lichtmann zu. Der macht. Und weiter gehts. Die Leute johlen und jubeln. Yeah. Einfach weiter, das hat Stil, Klasse, Punkattitüde. Auch wenn danach in den Liveversionen quasi jeder Song gleich klingt: Dieser ungezügelte, komplett ungeschminkte 60s-Retrosound von Ghost Woman nimmt einen sehr schön mit auf die Reise. Sogar oder gerade im Dunkeln.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.08.2023, 6:44 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    Stimmt - Hipsterkram.

  2. 1.

    Was soll das sein: "60er-Jahre-Retrosound"?
    Die Bands und Musiker der 60er Jahre hatten ein sehr breit gefächertes Spektrum an Stilen, Sounds...

Nächster Artikel