Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts - Land weg, Haus weg, Geld weg - Familie steht vor dem Ruin

Do 04.08.22 | 18:36 Uhr | Von Lisa Steger
Symbolbild: Das Oberlandesgericht Brandenburg. (Quelle: dpa/B. Settnik)
Audio: rbb24 Inforadio | 04.08.2022 | Lisa Steger | Bild: dpa/B. Settnik

2010 hatte eine Familie ein Grundstück in Rangsdorf bei einer Zwangsversteigerung gekauft und ein Haus gebaut. Doch das Amtsgericht Luckenwalde hatte Fehler gemacht. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit steht das Ehepaar nun vor dem Ruin. Von Lisa Steger

Die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) ist bitter für Familie Walter aus Rangsdorf (Teltow-Fläming): Die Richter haben die Eheleute am Donnerstag dazu verurteilt, für das Haus, das sie selbst gebaut haben, dem früheren Grundstückseigentümer aufzuschreiben, welchen finanziellen Nutzen sie aus der Immobilie gezogen haben. Früher oder später, so das OLG weiter, müssen sie Haus und Grund wieder hergeben.

Denn der frühere Eigentümer ist nach dem Gesetz stets Eigentümer geblieben. Daran hätten die Richter, wie das OLG mitteilt, "keinen Zweifel", obwohl die Eheleute das Grundstück 2010 ersteigert hätten.

Nachlässigkeit im Amtsgericht Luckenwalde – mit schweren Folgen

Hintergrund: Vor einer Zwangsversteigerung muss das zuständige Amtsgericht alles tun, um herauszufinden, wem ein Grundstück, ein Haus oder eine Wohnung tatsächlich gehört. Wenn das nicht geschieht, kann der rechtmäßige Eigentümer das Areal zurückverlangen – auch Jahre später. Und zwar mitsamt einem Haus, das in der Zwischenzeit andere darauf gebaut haben.

Genau das ist in diesem Fall passiert. Im April 2010 ersteigerte Kristin Walter im Amtsgericht Luckenwalde das etwa 1.000 Quadratmeter große Rangsdorfer Grundstück. Es war in der Zwangsversteigerung gelandet, weil der Erbe Erik William S., ein deutschstämmiger Manager aus den USA, 7.000 Euro Schulden bei der Stadt Freiburg im Breisgau hatte. Die Freiburger hatten den Erben nicht erreicht und wollten deshalb sein Grundstück in Rangsdorf zu Geld machen. "Es war in keinster Weise für uns zu erkennen, dass es da einen Alteigentümer gab, der gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten kann - wir haben vom Staat ersteigert, in gutem Glauben", berichtet Familienvater Philipp Walter im Interview mit dem rbb.

Man hatte einen Plan, einen Wunsch. So ein Haus baut man ja auch für seine Familie.

Philipp Walter, Familienvater und Grundstücksbesitzer in Rangsdorf

Ehepaar nahm Kredit in Höhe von 280.000 Euro auf

Alte Fotos zeigen das Areal verwildert. Die Eheleute zahlten 51.000 Euro für das Land, rodeten, häckselten, rissen eine alte Laube ab und liehen sich 280.000 Euro bei der Bank. Im Jahr 2012 zogen sie mit zwei kleinen Kindern in das fertige Haus ein. Kurz darauf, im November 2012, erfuhr der Erbe Erik William S. von der Versteigerung – sein Anwalt war der Sache nachgegangen. Erik William S. beschwerte sich beim Amtsgericht Luckenwalde: Das Gericht hätte ihn laut Gesetz vorher über die drohende Zwangsversteigerung informieren müssen.

Erik William S. trägt einen gängigen Nachnamen und war in den Jahren zuvor sehr oft umgezogen. Das Amtsgericht Luckenwalde erklärte, man habe ihn nicht gefunden. Doch er zog vor das Landgericht Potsdam - mit Erfolg.

Alteigentümer wird Neueigentümer

Am 11. März 2014 gab das Landgericht Potsdam dem Erben recht. Ein Richter bescheinigte dem Amtsgericht Luckenwalde "schwere Verfahrensfehler" bei der Zwangsversteigerung. Zur Begründung hieß es: Es gab in den Akten eine Adresse in den USA, unter der man Erik William S. hätte erreichen können.

Das Amtsgericht, entschied das Landgericht Potsdam, hätte Erik William S. anschreiben müssen. So lautete das Fazit: Das Grundstück gehöre weiterhin Erik William S. – und zwar mit dem Haus, das die Walters darauf gebaut hatten. (Aktenzeichen 1 T 103/ 13)

Hiobsbotschaft im Briefkasten

Das Ehepaar Walter wusste nach eigenen Worten nichts von dem Termin. Als das Landgericht entschied, waren die beiden auf Hochzeitsreise. Nach der Heimkehr fanden sie den Brief im Postkasten. "Ein Schock", erinnert sich der Familienvater.

Die Walters gingen vor das Landgericht Potsdam und beklagten, dass man sie nicht einmal angehört hatte. Das Landgericht Potsdam ließ drei Jahre vergehen, um im Juli 2017 mitzuteilen: Die Eheleute hätten schon vorher genug Gelegenheit gehabt, sich zu äußern.

Das Paar wandte sich an das Bundesverfassungsgericht, sah unter anderem sein Grundrecht auf Eigentum verletzt. Im März 2018 beschlossen die Bundesrichter: "Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen." (Aktenzeichen 2 BvR 2126/ 17) Grund: Der Anwalt des Paares habe die Begründungen zu spät nach Karlsruhe geschickt.

Klageflut des Erben

Dem Erben Erik William S. reichte es nicht, Haus und Grund zu bekommen – er klagte erneut, wieder vor dem Landgericht Potsdam, denn er wollte zusätzlich noch 1.000 Euro für jeden Monat, in dem die Walters auf dem Grundstück gewohnt hatten. Zudem sollten die Eheleute ihren Baukredit zurückzahlen und die Grundschuld löschen - oder dem Erben 280.000 Euro plus Zinsen überweisen.

Dies immerhin lehnte das Landgericht Potsdam im Juni 2020 ab (Aktenzeichen 1 O 330/ 14). Inzwischen sind insgesamt zwölf Jahre vergangen. Kristin und Philipp Walter haben rund 80.000 Euro für Anwälte bezahlt. Doch aufgeben wollen sie nicht. "Das ist unser Lebenswerk mit viel Energie, viel Liebe, viel Freude", sagt Walter und ringt nach Luft. "Man hatte einen Plan, einen Wunsch. So ein Haus baut man ja auch für seine Familie."

Zukunft der Familie unsicher

Die Walters haben jetzt Zeit gewonnen. Denn sofort ausziehen müssen sie nicht, wie ihr Anwalt Stephan Schneider im rbb-Gespräch betont. Dazu werde es aber kommen. Zunächst müssen sie die geforderte Auskunft liefern, erklärt der Anwalt; tun sie es nicht, kann das Gericht ein Zwangsgeld verhängen. Wenn die Walters das nicht bezahlen, könnte sogar ein Gerichtsvollzieher zu ihnen kommen.

Einen Termin für das Urteil darüber, zu welchen Bedingungen die Walters Haus und Grund hergeben müssen, gibt es noch nicht. Sie wollen das Urteil vor dem Bundesgerichtshof anfechten.

Zudem will ihr Anwalt Stephan Schneider vom Land Brandenburg Schadensersatz – eine "Amtshaftung": "Die Schuld des Amtsgerichts war, dass es nicht genug unternahm, um Erik William S. zu ermitteln und ihn über die drohende Zwangsversteigerung zu informieren", so Anwalt Schneider im rbb-Interview.

In jedem Fall kommen neue Kosten auf Familie Walter zu. Sie müssen weiterhin den Kredit tilgen. 240.000 Euro sind noch offen. Ihnen droht der Ruin.

Was der aktuell in der Schweiz lebende Erik William S. mit dem Haus vorhat, ist offen. Sein Anwalt Thomas Petter möchte nach Rücksprache mit seinem Mandanten kein Interview geben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2022, 18:32 Uhr

Beitrag von Lisa Steger

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