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Audio: Radioeins | 06.01.2021 | Interview mit Thomas Mertens | Quelle: dpa/Bernd Wüstneck

Interview | Vorsitzender der Ständigen Impfkommission

"Es musste buchstäblich die Katze im Sack gekauft werden"

An der deutschen Impfstrategie gibt es zurzeit viel Kritik: Es gehe zu langsam voran, Impfstoff fehle. Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Mertens, kann dies nachvollziehen - betont aber im Interview, dass die Realität komplizierter sei.

rbb: In Deutschland sind - Stand Mittwoch - 316.000 Menschen geimpft worden, das sind 0,38 Prozent der Gesamtbevölkerung. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Durchimpfung schneller hinzukriegen?

Thomas Mertens: Wir brauchen mehr Impfstoff, das ist eine kurze, aber wirksame Antwort.

Zur Person

Prof. Dr. Thomas Mertens ist der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, die in Deutschland Empfehlungen für Impfstrategien ausspricht.

Die EU setzt auf die Vielfalt der Impfstoffe. Das war von vornherein geplant, heißt es. Deswegen gibt es zunächst nur wenige Impfstoffe. Trotzdem wird jetzt mit Biontech über eine Verdopplung der Impfrationen verhandelt. Hat sich die EU verkalkuliert? Oder war das nicht besser zu machen?

Meinem Eindruck nach war das nicht besser zu machen. Sie müssen bedenken: Die Bestellungen oder die Vorverträge für jede Impfstoff-Lieferung erfolgten zu einem Zeitpunkt, wo niemand wusste, wie gut welcher Impfstoff wirken würde. Es war buchstäblich die Katze im Sack, die gekauft werden musste. Und es war sicherlich eine vernünftige Strategie, auf mehrere Hersteller mit unterschiedlichen Impfstoffkonzepten zu setzen, auch, um eine gewisse Risikostreuung zu erreichen. Da wir jetzt verstanden haben, dass der mRNA-Impfstoff von beiden Firmen, sei es Biontech oder Moderna, ganz ausgezeichnet wirkt in Hinblick auf die Schutzwirkung, macht es natürlich jetzt unbedingt Sinn zu versuchen, von diesem guten Impfstoff mehr zu bekommen.

Braucht es von anderen Impfstoffen eigentlich auch immer zwei Impfungen? Ist das generell so bei allen Covid-19-Impfstoffen?

Nein. Eine Firma hat einen Impfstoff angekündigt, der möglicherweise mit einer Impfung auskommt. Aber das Ganze kann man nur beurteilen, wenn man die Daten aus den jeweiligen großen Zulassungsstudien gesehen hat.

Eine Überlegung von Bundesgesundheitsminister Spahn ist, man solle systematisch versuchen, sechs Portionen statt fünf aus einer Ampulle zu bekommen. Was sagen Sie dazu?

Das finde ich eine sehr gute Idee. Ich habe mit Kollegen gesprochen, die an der Impffront tätig waren und mir versichert haben, dass man sogar sieben vollwertige Impfdosen aus einer Ampulle herausbekommen kann, wenn man sich einigermaßen geschickt anstellt. Und das macht natürlich einen enormen Unterschied, ob man fünf, sechs oder sogar sieben Millionen Impfdosen aus dem gleichen Material bekommt. Das Einzige, was zu beachten ist, ist, dass in jeder Impfdosis, die man aus der Flasche zieht, auch wirklich die geforderte Menge an Impfstoff ist. Aber ich höre von Leuten, die das gemacht haben, dass das technisch möglich ist. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen.

Die Kassenärztliche Vereinigung hat angeboten, dass die Hausärzte mitimpfen sollen, sobald ein gut zu lagernder Impfstoff zur Verfügung steht. Wäre es nicht die Lösung, dann möglichst schnell alles zu verimpfen und es nicht auf die Impfzentren und mobilen Impfteams zu beschränken?

Es wäre nicht die Lösung, aber es wäre sicher zu begrüßen, wenn die Hausärzte in das Impfgeschäft mit einbezogen würden - vor allen Dingen dann, wenn genug Impfstoff verfügbar ist, und wenn dieser Impfstoff von der Lagerung her nicht so anspruchsvoll ist wie der jetzige. Und natürlich auch, wenn man diesen Impfstoff normal über die Apotheken beziehen kann. Dann ergäbe sich unter Umständen auch eine bessere Möglichkeit, einzelne Gruppen mit individuellen Impfstoffen zu versorgen. Ich bin überhaupt nicht dagegen, dass die Hausärzte die Impfung mit übernehmen sollten - im Gegenteil, das wäre sinnvoll. Aber man muss andererseits sagen: In der aktuellen Situation wäre das nicht möglich gewesen. Und insofern ist dieser Anfang mit den Impfzentren und den mobilen Impfteams in Altenheimen sicher das, was sinnvoll ist.

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