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Video: rbb|24 | 27.05.201 | Material: Abendschau | Quelle: dpa/Vladimir Menck

Interview | Verschwörungserzählungen

"Besser über Gefühle reden statt über Fakten"

Streit über Corona-Maßnahmen kann Freunde und Familienmitglieder entzweien – immer häufiger spielen dabei Verschwörungserzählungen eine Rolle. Eine Beratungsstelle gibt Hinweise, wie Betroffene wieder miteinander ins Gespräch kommen können.

Fernsteuerung mittels Impfung durch Bill Gates, ein "Great Reset" für eine neue Weltwirtschaftsordnung oder "Deep State" - also vermeintlich neue Macht-Netzwerke: Sogenannte Verschwörungserzählungen können im zwischenmenschlichen Streit um die Corona-Maßnahmen eine große Rolle spielen.

Das Projekt Veritas beim Verein "Cultures-interactive" [externer Link] bietet Menschen Beratung an, die nicht wissen, wie sie mit verschwörungsgläubigen Personen in ihrem Umfeld umgehen sollen. Gegründet Anfang 2021 ist es deutschlandweit das erste Projekt mit einem solchen Schwerpunkt, finanziert wird es aus Fördermitteln der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Tobias Meilicke leitet das Projekt.

rbb|24: Herr Meilicke, wer kommt zu Ihnen in die Beratung?

Tobias Meilicke: Bei uns melden sich vor allen Dingen Leute aus dem direkten Umfeld von Verschwörungsgläubigen. Das heißt Familienangehörige, Eltern, teilweise auch Kinder, deren Eltern an Verschwörungen glauben. Zum Teil geht es um den Freundeskreis, und ganz viel um den Partner, die Partnerin. Es sind dann die Ehefrau, der Ehemann, die sich bei uns melden, aber auch einige Fachkräfte aus dem Bereich der Jugendhilfe und Schule.

Was verstehen Sie eigentlich unter Verschwörungsmythen oder Verschwörungserzählungen?

Um Verschwörungserzählungen handelt es sich dann, wenn Menschen annehmen, dass eine vermeintliche kleine Gruppe eigene Interessen im Verborgenen versucht durchzusetzen und dabei anderen Menschen auch schadet beziehungsweise aktiv schaden möchte. Typische Feindbilder wie Juden, Linke und reiche Eliten wird dabei zugetraut, die Welt im Großen zu beeinflussen und zu steuern. Verschwörungsgläubige Personen zeichnen sich daher oft durch ein schwarz-weißes Weltbild aus, in den Graustufen nicht mehr gesehen werden. Sie vereinfachen damit das Weltbild, wobei gleichzeitig die Verschwörungen, die nachgezeichnet werden, an sich oft sehr kompliziert und für Außenstehende oft schwierig nachvollziehbar aufgebaut sind.

Zur Person

Welche Fragen haben die Betroffenen an Sie?

Zu uns kommen verzweifelte Partner, Partnerinnen, Freunde, die einfach keinen Zugang mehr zu ihren Verwandten oder Freunden finden. Die Verschwörungserzählungen bestimmen den Alltag, es kommt zu Streit, oft wird es verbal laut, man ist voneinander frustriert. Dann geht man sich aus dem Weg - bis hin zu Scheidungsfällen.

Was können Sie in solchen Fällen tun?

Wir versuchen, zuerst die Betroffenen, die sich bei uns melden, zu stabilisieren, also mit ihnen zu reflektieren: Wie können sie mit der Situation umgehen, um ein bisschen Entlastung zu schaffen in diesem Stress? Denn wenn dieser Stress sich weiter steigert, dann kommt es oft auch zu unbewusster Aggression in der Kommunikation, und das ist wenig hilfreich.

Im zweiten Schritt versuchen wir zu reflektieren, wie man weiter in Kontakt bleiben kann mit den Personen, die verschwörungsgläubig sind. Denn viele, die sich bei uns melden, stehen kurz davor, den Kontakt komplett abzubrechen, selbst wenn es das Elternteil ist, weil die Situation sie einfach so überfordert und belastet. Das wollen wir verhindern, denn das Schlimmste was passieren kann ist, dass Verschwörungsgläubige nur noch unter sich sind. Wenn sie also keinen Rückhalt mehr haben in anderen sozialen Systemen, weil dann möglicherweise in Momenten, wo sie darüber nachdenken, diesem Gedankengut nicht mehr anhängen zu wollen, der Ausstieg viel schwieriger wird, weil außerhalb der Szene der soziale Rückhalt fehlt.

Und der dritte Schritt ist, herauszuarbeiten, was denn die Verwandten oder Freunde in diesen Ideen von Verschwörungsgläubigkeit suchen. Was steckt dahinter? Was ist das tragende Motiv? Denn wenn wir das herausfinden, haben wir einen Ansatz, wie wir mit den Personen arbeiten können. Dann beratschlagen wir, wie die Bedürfnisse, die in Verschwörungserzählungen gefunden werden, anders befriedigt werden können.

Welche Motive stecken denn hinter dem Hang, Verschwörungserzählungen zu glauben?

Es gibt zwei Motive, die zentral sind für Verschwörungsgläubigkeit. Eins ist die Frage von Selbstwirksamkeit, die natürlich durch Corona eine ganz große Zahl von Menschen betrifft. Diese Pandemie hat ja dazu geführt, dass viele Menschen das Gefühl hatten, einen Teil der Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Das heißt, sie finden keine Möglichkeit, mit dieser Pandemie umzugehen, sie sich zu erklären oder dagegen zu wirken. Diese Möglichkeit sehen sie dann wieder, indem sie beispielsweise auf Querdenker-Demonstrationen gehen oder im Internet aktiv werden. Das spielt auch für Menschen eine Rolle, die im Rahmen der Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben. Also alles, was auch die Identität von uns betrifft.

Das zweite tragende Motiv ist Anerkennung und Aufmerksamkeit. Wenn ich Teil einer Gruppe bin, die über Verschwörungen Bescheid weiß, dann habe ich ein besonderes, ein geheimes Wissen und bin möglicherweise anderen Menschen überlegen. Auch das kann dazu führen, dass ich wieder Anerkennung als Person bekomme. Aber es können auch ganz individuelle Motive sein, die zu sogenannten kognitiven Öffnungen führen, zum Beispiel Todesfälle, die Menschen in Krisen bringen, die dann nach einer Aufgabe für sich suchen.

Corona und Beziehungen

Gemischte Gefühle

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Was geben Sie den Leuten an die Hand, also inwiefern können sie ihr Kommunikationsverhalten ändern?

Wir sagen: Es ist niemals praktisch, mit Verschwörungsgläubigen Menschen über vermeintliche Fakten zu diskutieren. Was dann passiert, ist Fakten-Pingpong. Jeder wirft dem anderen sein Argument an den Kopf, aber man kommt eigentlich nicht aufeinander zu. Das heißt, wenn man aufeinander zugehen will, muss man eigentlich über Emotionen und weniger über Fakten reden. Die Frage ist, was steckt denn eigentlich dahinter, dass Du an Verschwörungen glaubst? Was ist es, das dich daran anzieht? Das können Motive sein wie Angst, aber ein zentrales Motiv ist auch Liebe, wenn ich solche Verschwörungen mit meinem Freundeskreis oder mit meiner Familie teilen will. Das heißt, ich möchte, dass die Personen, die mir wichtig sind, das verstehen. Deswegen ist es wichtig, genau darüber ins Gespräch zu kommen: Was hält uns eigentlich zusammen in dieser Beziehung? Und warum ist dir das so wichtig, dass ich das verstehe? Das ist ein anderer Zugang, als immer nur über die Fakten zu diskutieren.

Haben Sie noch mehr konkrete Handreichungen?

Das Nächste ist, eher Fragen zu stellen. Präsentieren Sie nicht Ihre eigenen Argumente, sondern stellen Sie Fragen. Wo sind die Fakten denn her? Können wir uns zusammen mal diese Homepage angucken? Ich würde gerne verstehen, wo das herkommt. Fragen regen zum Nachdenken an. Das wird nicht dazu führen, dass eine Person, die tief in Verschwörungserzählungen drin ist, sofort sagt: 'Ja, du hast ja komplett recht, das ist mir noch nie bewusst gewesen' - weil wir alle erst einmal daran interessiert sind, unser Weltbild aufrechtzuerhalten. Unser Weltbild prägt unser Selbstbild, das heißt, das geben wir nicht einfach auf. Aber Fragen regen zum Nachdenken an und haben vielleicht mittelfristig Einfluss.

Das Dritte ist: Versuchen Sie, die Gespräche zu verlangsamen. Je mehr wir in Stress geraten und uns belastet fühlen, desto schneller werden Gespräche, was die Argumente betrifft, die Frequenz, in der wir darüber sprechen. Das ist aber nicht sinnvoll. Je schneller Gespräche passieren, desto weniger sind wir davon emotional berührt. Das heißt, sie passieren nur im Kopf und gehen nicht ins Gefühl. Ich bin ein großer Freund zum Beispiel von der Rückkehr zu Briefen. In einem Brief schreibt die Person mehr bedacht, was ihr wichtig ist, und die andere Person kann das dann mehrfach lesen. Das kann auch dazu führen, dass Argumente besser ankommen und Reflektionen eher stattfinden.

Der Begriff Verschwörungserzählung wird ja inzwischen oft auch als Kampfbegriff wahrgenommen, der die Trennung zwischen Menschen verstärken kann. Das Gegenüber fühlt sich dann - wahrscheinlich zu Recht - in einen Schublade gesteckt. Das ist keine gute Basis für eine Annäherung, oder?

Ja, da bin ich bei Ihnen. Verschwörungen oder Verschwörungserzählungen und -theorien, all diese Begriffe sind Kampfbegriff geworden, die es nicht einfacher machen, in Kontakt miteinander zu kommen. Ich finde, das darf man auch einfach zugestehen. Also ich gestehe der anderen Seite durchaus zu, dass die mir sagt, das ist ein Kampfbegriff. Das ändert aber nichts daran, dass ich verstehen möchte, warum diese Personen daran glaubt.

Das Zweite, was ich wichtig finde ist, ist, dass wir ja durchaus in unserer Geschichte, aber auch bis heute Verschwörungen haben. Verschwörungen gibt es wirklich. Das heißt Personen, die an Verschwörungserzählungen glauben, nehmen ja für sich in Anspruch, kritisches Denken zu haben und kritisch zu hinterfragen. Und das ist erstmal was Positives, was ich auch positiv konnotierten kann. Das sehen wir auch bei den Querdenker-Demonstrationen. Natürlich sind dort auch rechtsextreme Personen dabei. Aber da nehmen auch eine ganze Menge Personen teil, die unsere Demokratie schützen wollen. Das auch positiv zu konnotieren finde ich wichtig in der Auseinandersetzung mit solchen Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Susanne Bruha

Sendung: Inforadio, 27.05.2021, 07:05

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