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Schlange stehen wie vor Corona: Partygäste vor der dänischen Bar "The Drunken Flamingo". | Quelle: Miriam Arndts

Lockerungen trotz steigender Zahlen

Wie Dänemark auf das Ende der Corona-Maßnahmen reagiert

Dänemark hat am 1. Februar alle Corona-Maßnahmen aufgehoben. Zu einem Zeitpunkt, als sich jeden Tag so viele Dänen mit Covid-19 ansteckten wie nie zuvor. Ein Statusbericht zwei Wochen nach der "Wiedereröffnung" des Landes. Von Miriam Arndts

Samstag, kurz vor 22 Uhr. Der fast schon vergessene Geruchsmix aus verschüttetem Bier und Urin ist zurückgekehrt in den Teil der Kopenhagener Innenstadt, der passenderweise im Volksmund "Pisserenden" (dt. die Pissrinne) genannt wird. Noch vor zwei Wochen wären hier um diese Uhrzeit die letzten Drinks ausgeschenkt worden. Jetzt gibt es keinen Zapfenstreich mehr. Heute drängen sich die jungen Menschen vor der Bar "The Drunken Flamingo", ohne Maske und ohne Impfnachweis. Jetzt darf wieder eng getanzt werden, bis in den frühen Morgen.

Seit dem 1. Februar gelten in Dänemark keinerlei Corona-Maßnahmen mehr. Und das, obwohl die 7-Tages-Inzidenzen Ende Januar in manchen dänischen Kommunen bei über 12.000 lagen. Der Grund, weshalb Dänemark trotzdem schon jetzt wieder zur prä-pandemischen Normalität zurückgekehrt ist, ist, dass die Regierung Covid-19 nicht mehr als Bedrohung für die dänische Bevölkerung einstuft. Somit sind die Einschränkungen laut dänischem Gesetz nicht mehr haltbar.

Quelle: Miriam Arndts

Interview | Politikwissenschaftler über dänischen Sonderweg

"Die Dänen empfanden die Corona-Maßnahmen nicht als besonders ermüdend"

Am 1. Februar hat die dänische Regierung alle Corona-Maßnahmen für beendet erklärt, trotz sehr hoher Fallzahlen. Für den dänischen Politikwissenschaftler und Regierungsberater Michael Bang Petersen vor allem eine Frage des Vertrauens.

Krankenhäuser nicht überlastet

Politikwissenschaftler und Regierungsberater Michael Bang Petersen ärgert sich darüber, dass die dänische Corona-Politik im Ausland oft falsch verstanden wird: "Es geht nicht darum, dass Dänemark die Pandemie für beendet erklärt. Das wird in manchen internationalen Medien so dargestellt. Es ist vielmehr eine Einschätzung, dass die Krankenhäuser momentan nicht unter Druck stehen und deshalb wurden die Maßnahmen beendet."

Zwar steigen die Zahlen der Patienten im Krankenhaus, die mit Covid infiziert sind, seit Ende des vergangenen Jahres massiv an. Jedoch sind heute die wenigsten wegen Covid im Krankenhaus. Patienten kommen eher wegen anderer Krankheiten und sind zusätzlich mit Covid infiziert.

Das bestätigt auch Christian Worm, Krankenpfleger auf der Intensivstation des Hvidovre Hospital südwestlich von Kopenhagen. "Wir haben nicht annähernd so viele Patienten wie wir in den ersten beiden Wellen hatten. Mit Omikron werden die Leute gar nicht mehr so krank, dass sie auf die Intensivstation müssen. Und in der ersten und zweiten Welle waren wir auch noch nicht geimpft, das war was ganz anderes."

Kita-Leiterin Cecilie Kiwi Dalgaard fand das Ende der Corona-Maßnahmen "etwas brutal“ | Quelle: Miriam Arndts

Hilferuf aus der Kita

Aber nicht für alle Dänen kam die "Wiedereröffnung", wie das Ende der Corona-Maßnahmen hier genannt wird, zum richtigen Zeitpunkt. Cecilie Kiwi Dalgaard leitet die Kita "Det Blå Univers" im Norden Kopenhagens. Am 1. Februar blieb die Kita, die normalerweise 70 Kinder besuchen, geschlossen. Von 19 Mitarbeitern hätten an dem Tag nur drei zur Arbeit kommen können. Alle anderen waren krank oder in Quarantäne.

"Das war ein Hilferuf", sagt Cecilie Kiwi Dalgaard. "Drei Erwachsene für 70 Kinder, das ist weder pädagogisch noch sicherheitsmäßig verantwortbar. Und obwohl wir die Kommune um Hilfe gebeten haben, bekamen wir keine. Die wussten doch, wie viele krank waren. Da fand ich es etwas brutal, alle Maßnahmen zu beenden und zu sagen: Das ist Euer Problem." Dalgaards Hilferuf wurde erhört, am Tag darauf schickte die Kommune Aushilfen in die Kita.

Dänen vertrauen der Corona-Politik

Dänemark hat eine der höchsten Impfquoten in Europa und bislang nur halb so viele Covid-19-Todesfälle pro Millionen Einwohner wie Deutschland. Laut Michael Bang Petersen ist ein wichtiger Grund dafür, dass Dänemark die Pandemie so gut überstanden hat, das Vertrauen der Dänen in den Staat und zueinander. "Die Bürger:innen vertrauen den Lösungen, die die Gesundheitsbehörden ihnen vorlegen, und folgen ihnen. Wir haben das Gefühl, alle im selben Boot zu sitzen."

Auch die weit vorangeschrittene Digitalisierung der Gesellschaft und der Behörden ist laut Bang Petersen ein Vorteil. Vieles wird in Dänemark per SMS und digitalem Postfach geregelt. "Es war dadurch einfacher, das Impfprogramm umzusetzen, als zum Beispiel in Deutschland. Denn dank der digitalen Infrastruktur konnten die Behörden den jeweiligen Bürger:innen einfach eine Nachricht schicken: Jetzt bist Du dran"“

"Da müssen wir jetzt alle einmal durch"

Krankenpfleger Christian Worm findet, die dänische Regierung habe in der Pandemie die richtigen Entscheidungen getroffen. "Hätten sie in der ersten und zweiten Welle nicht so schnell reagiert, wäre das Krankenhauswesen zusammengebrochen. Dass sie die Maßnahmen jetzt aufheben, finde ich in Ordnung. Auch wenn viele Kollegen jetzt krank oder in Quarantäne sind. Da müssen wir jetzt alle einmal durch."

Cecilie Kiwi Dalsgaard ist vorsichtig optimistisch. Zwar sind drei ihrer Mitarbeiter wegen der Überlastung während der Pandemie mit Burnout krankgeschrieben. Aber alle anderen hätten jetzt wenigstens erst einmal Covid-19 überstanden. "Es aufwärts", sagt Dalgaard. "Wir hoffen, dass jetzt keine neue Welle kommt. Aber im Moment geht es uns gut."

Infobox

Corona in Dänemark

- Impfquote: 80,9%

- Tote pro Million Einwohner: 723 (im Vergleich dazu Deutschland: 1442)

- Tägliche Neuinfektionen: 42.948

- Intensivbettenbelegung Coronapatienten: 31 (im Vergleich dazu im Januar 2021: 138)

- Alle Corona-Maßnahmen sind aufgehoben. Mancherorts gibt es Empfehlungen, zum Beispiel in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Hier wird man gebeten, eine medizinische Maske zu tragen.

 

Zahlen vom 16.02.22

Quellen:

Statens Serum Institut https://covid19.ssi.dk/

John Hopkins University https://coronavirus.jhu.edu/data/mortality

Beitrag von Miriam Arndts

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