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Audio: rbb24 Inforadio | 25.06.2023 | Angela Ulrich | Quelle: rbb

Fraktionsklausur der Berliner Grünen

(Sich) aufbauen in Nauen

Sie wollen eine starke Opposition sein. Aber erstmal müssen die Berliner Grünen lernen, vom "Verbots-Image" wegzukommen und mit Klimaschutz-Politik Menschen mitzunehmen, statt sie zu verschrecken. Von Angela Ulrich

Fast ganz am Schluss platzte Antje Kapek der Kragen: "Was für eine bekloppte Aktion der Chaos-Senatorin", schimpfte die grüne Verkehrspolitikerin, und meinte die angehaltene Radewege-Planung von Manja Schreiner. Die CDU-Verkehrssenatorin wolle die Stadt "rückabwickeln auf Basis von Angstmacherei", tobte Kapek. Sie bekam zustimmendes Nicken von der gesamten Runde der grünen Abgeordneten auf dem Landgut Stober bei Nauen. "Mir macht das Sorgen", erklärte auch Fraktionschefin Bettina Jarasch dem rbb, "weil das zeigt: es gibt keinen Plan, sondern es gibt nur den Wunsch, ideologische Zeichen zu setzen."

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Für das Treffen von Verkehrssenatorin Schreiner mit den Verkehrsstadträtinnen und -räten am Montag forderte Jarasch einen "Stopp des Radwegstopps": "Ich erwarte, dass die Senatorin und der Regierende Bürgermeister auf die Bezirke zugehen, denen das einfach so hingeknallt wurde, und mit ihnen gemeinsam bespricht, wie es weitergehen soll." Die schon verplanten Gelder müssten unverzüglich freigegeben werden, machte Jarasch deutlich: "Wir lassen richtig Millionen Fördermittel vom Bund verfallen, wenn wir jetzt die Kofinanzierung stoppen." Sie erwarte Planungssicherheit für alle schon bewilligten Vorhaben – danach über weitere Priorisierungen zu beraten, das sei der richtige Weg, so Jarasch.

Grüne auf der Suche nach dem richtigen Ton

Aber das waren fast schon die einzigen lauten Töne bei der Fraktionsklausur im Havelland. Jenseits des grünen Ärgers über die angehaltene Radwegeplanung ging es eher nachdenklich zu: Wie können wir wegkommen davon, mit Klimaschutz zu verschrecken, hin zu mehr Angeboten statt Verboten? Das stand im Mittelpunkt der Debatte und dazu hatten sich die Grünen auch Experten eingeladen.

Wie den niederländischen Stadtplaner Martin Aarts, der die Stadt Rotterdam beim klimagerechten Umbau berät. "In Rotterdam wird nichts rückwärts gemacht", piekste Aarts förmlich in die Berliner "Radweg-Wunde". Und warnte, dass Berlin sehr an Attraktivität verlieren könne, wenn weiter mehr über Verluste ("mein Auto geht weg") statt über Gewinne ("an Lebensqualität") gesprochen werde. Aarts verwies auf weiträumige Kiezblocks in Barcelona und die großflächigen Umbaupläne sogar der Champs Elysées in Paris: "Berlin droht abgehängt zu werden als anziehende Großstadt", warnte der Planer.

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"Veränderung kann auch Lust machen"

"Veränderung kann auch Spaß machen, kann auch Lust machen", ist danach das Fazit der grünen Rechtspolitikerin Petra Vandrey. Und genau das müssten die Grünen vorleben und "die Menschen damit im Herzen treffen". Viel zu lange habe man versucht, ein Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels zu schaffen, meint auch Fraktionschefin Bettina Jarasch: "Wir haben über den Weltuntergang geredet – das ist angekommen. Wir können aber dafür sorgen, dass es gerecht dabei zu geht, dass es sicher zugeht und dass niemand überfordert wird."

Heißt was konkret für die künftige Oppositionsarbeit der Grünen? Denn dass sie selbst nicht mehr so mitgestalten können, wie bis vor kurzem als Regierungspartei, das macht den meisten Abgeordneten in Klausur schon zu schaffen. "Klar bin ich lieber aktiv dabei, wenn es ums Gestalten und Regieren geht", sagt der Bau-Politiker Andreas Otto. Aber der grüne Innenexperte Vasili Franco sieht auch Chancen: Möglichst praktisch müssten die Grünen ihre Botschaften vermitteln, in kleinen Portionen, im Dialog mit den Menschen im Kiez: "Wenn wir zeigen, was das für Vorteile in den Kiezen hat, dass wir Platz schaffen für Kinder, und nicht nur Platz wegnehmen für Autos, dass wir weniger von Verlustängsten, sondern mehr von Gewinnen reden, dann kommen wir besser voran als zuvor", ist sich Franco sicher.

Bei höherem Wasser-Verbrauch auch höhere Preise

Möglichst praktische Politik also. Damit haben die Grünen auf ihrer Klausur zum Thema "Wasser" begonnen. Sie haben ein Strategiepapier für nachhaltige Wasserversorgung verabschiedet, worin sie fordern, mit dem knappen Gut Wasser deutlich nachhaltiger und überlegter umzugehen. Unter anderem solle Wasser künftig "sozial verteilt" werden mit abgestuften Preisen – für den Grundverbrauch soll es günstigere Preise geben, für hohen Verbrauch dagegen teurer werden. "Wir müssen diejenigen belohnen, die wenig verbrauchen", erklärte Fraktionsvorsitzende Jarasch, "und hoher Luxusverbrauch muss dann auch kosten". Gärten und Grünflächen sollten ausschließlich in den Abend- oder Morgenstunden bewässert werden. Außerdem sollten die Berliner Wasserbetriebe ihre Überschüsse künftig behalten dürfen, statt sie an den Landeshaushalt abführen zu müssen. Mehr Trinkwasserbrunnen, mehr Sickermöglichkeiten für Regenwasser, um das Grundwasser speisen zu können – es sind viele praktische Vorschläge, die die Grünen im siebenseitigen Papier zusammengefasst haben. Nicht zuletzt einige stillgelegte Wasserwerke wieder in Betrieb zu nehmen, wie beispielsweise in Johannisthal oder der Jungfernheide.

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Die Grünen fordern den schwarz-roten Senat außerdem auf, für einen nachhaltigen Wasserhaushalt enger mit Brandenburg zusammenarbeiten. Eine länderübergreifende Taskforce "Wasserversorgung" müsse eine gemeinsame "Wasserstrategie 2050" bis Ende 2024 entwickeln.

Da ist sie wieder, die ganz praktische Arbeit. Denn verweigern wollen sich die Grünen der schwarz-roten Landesregierung nicht. "In der Rolle der stärksten Oppositionsfraktion tragen wir große Verantwortung" ist im zweiten beschlossenen Antrag der Klausur zu lesen, überschrieben mit "Berlin verdient eine starke Opposition". Mitarbeiten also ja - nur Angstmachen, das wollen sich die Grünen abgewöhnen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.06.2023, 18:20 Uhr

Beitrag von Angela Ulrich

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