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Video: rbb24 | 13.02.2024 | Nachrichten | Quelle: dpa/dts

Künftige Partei aus AKP-Umfeld

"Wir dürfen die Dava nicht größer machen als sie ist"

Die neue politische Vereinigung Dava gilt vielen als Ableger der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Erdoğan. Bei der Europawahl zählt Dava offenbar auf die Stimmen türkeistämmiger Deutscher. Kann das in Berlin funktionieren? Von Carl Winterhagen

Auch wenn die Verantwortlichen sich alle Mühe geben, die Verbindungen nach Ankara zu verneinen – zu leugnen sind sie nicht. Die im Januar gegründete politische Gruppierung Dava (kurz für: Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) möchte bei der Europawahl im Juni als Partei antreten und ins Europäische Parlament einziehen. Als Spitzenkandidat schickt die Gruppierung dabei Fatih Zingal ins Rennen, der für den Lobbyverband der türkischen Regierungspartei AKP fleißig Wahlwerbung für Erdoğan machte.

Von alledem will Teyfik Özcan aber nichts wissen. Der Gründer der Vereinigung war bis vor Kurzem noch SPD-Mitglied und betonte jüngst in einem Statement auf Facebook, "dass die Dava kein verlängerter Arm irgendeiner ausländischen Regierung ist".

Dava-Spitzenkandidat Fatih Zingal | Quelle: dpa/Schindler

Keine Protestpartei wie jede andere

Im künftigen Parteiprogramm taucht das Wort türkisch nur zweimal auf, als es um den Fremdsprachenunterricht an Schulen geht. Stattdessen ist dort zu lesen: Dava möchte Kinderarmut bekämpfen, die Digitalisierung vorantreiben und sich für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina einsetzen. Vor allem möchte die noch zu gründende Partei Rassismus und Islamfeindlichkeit bekämpfen sowie muslimische Verbände als Religionsgemeinschaften anerkennen. Von diesen Zielen angesprochen fühlen dürften sich vor allem muslimische und türkeistämmige Deutsche.

Das Wählerpotenzial ist also nicht gering: In Deutschland leben circa 5,5 Millionen Muslime, davon besitzen über 40 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2022 lebten laut Mikrozensus rund 2,8 Millionen Menschen mit einem türkischen Migrationshintergrund in Deutschland. Rund 1,5 Millionen besitzen einen deutschen Pass.

Von der Dava heißt es, sie wolle ein politisches Vakuum füllen und als Stimme für diejenigen eintreten, die sich von der Politik nicht mehr vertreten fühlen. Aber gibt es dieses Vakuum bei türkeistämmigen Deutschen wirklich, aus dem die Dava Kapital schlagen könnte?

Der Autor Fikri Anıl Altıntaş | Quelle: dpa/dts

Verunsicherung bei türkeistämmigen Deutschen

Einen gewissen Vertrauensverlust in die deutsche Politik habe er in seinem Umfeld tatsächlich beobachten können, sagt Fikri Anıl Altıntaş. Der Sohn türkischer Eltern hat in seinem Roman "Im Morgen wächst ein Birnbaum" über die Lebensrealität von türkeistämmigen Menschen in Deutschland geschrieben.

Diese ist aber gar nicht so einfach zu fassen. Denn bei 2,8 Millionen türkeistämmigen Menschen handelt es sich natürlich nicht um eine einheitliche Gruppe. "Mich stört diese Generalisierung, es wäre auch krass zu denken, dass diese Menschen alle ähnlich konservativ und ähnlich nationalistisch sind", sagt Altıntaş.

Er spricht von einem Gefühl der Verunsicherung, der Ohnmacht. Der Anschlag von Hanau und nicht zuletzt die bekannt gewordenen massenhaften Abschiebepläne von Rechtsextremen hätten dazu geführt, das merkt Fikri Anıl Altıntaş an sich selbst und seinem Umfeld. Dass dieses Gefühl zu einem Erfolg der Dava führt, hält er allerdings für unwahrscheinlich.

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Junge Muslime als Zielgruppe

Özgür Özvatan leitet an der Humboldt-Universität in Berlin das Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Er geht davon aus, dass die Dava wahrscheinlich auf muslimische Jugendliche zugehen wird. Nicht nur, weil bei der Europawahl in diesem Jahr zum ersten Mal ab 16 Jahren gewählt werden darf. Viele muslimische Jugendliche hätten seit dem Krieg zwischen Israel und Palästina ein Solidaritätsbedürfnis, sagt Özvatan und erklärt: "Diese Jugendlichen tummeln sich auf Social Media Plattformen und suchen gerade nach einem Angebot, nach einer Partei, die das Leid palästinensischer Menschen klar anerkennt."

An dieser Stelle gibt es dann also schon so etwas wie ein politisches Vakuum. "Hier wird die Dava wahrscheinlich versuchen anzudocken", schätzt Özvatan. Auch unabhängig von dem Hintergrund der Akteure in der Vereinigung müsse man nun weiter beobachten, wie sich die Partei strategisch aufstellt und welche Gruppen sie anspricht.

Die Dava ist nicht die erste Erdoğan-nahe Partei, die in Deutschland auf Stimmenfang geht. Vor der Bundestagswahl 2017 warb die Allianz Deutscher Demokraten (ADD) sogar mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten auf ihren Wahlplakaten. Genützt hat es allerdings wenig, bundesweit landete die ADD am Ende bei 0,1 Prozent. Der Berliner Autor Fikri Anıl Altıntaş sagt deswegen: "Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Dava größer zu machen, als sie ist."

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Türkeistämmige Deutsche wählen alle Parteien – auch die AfD

Bei der Europawahl im Juni gibt es allerdings keine Prozenthürde. Daher ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass die Dava ein erstes Ausrufezeichen setzen und einen oder zwei Sitze im Parlament erlangen kann, wenn sie viele muslimische und türkeistämmige Deutsche an die Urne lockt.

Im Jahr 2023 lebten in Berlin 188 Tausend Menschen mit einem türkischen Migrationshintergrund, davon 84 Tausend Deutsche. Genau um diese Gruppe geht es mit Blick auf die Europawahl. Denn nur, wer einen deutschen Pass hat, darf im Juni wählen.

"Die türkeistämmigen Deutschen sind in ihren politischen Einstellungen inzwischen ein Spiegelbild der Mehrheitsgesellschaft", sagt Ayşe Demir vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg. Während in den 70er-Jahren die meisten noch die SPD gewählt hätten, seien inzwischen alle Parteien vertreten – "leider auch die AfD". Die Konservativen würden vor allem die CDU wählen, bei den Jüngeren verfange zuletzt die FDP.

Ayşe Demir vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg | Quelle: dpa/Pilick

"Nicht vorschnell abschreiben"

Dieses diverse Bild zeigt auch eine Umfrage nach der Berliner Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus 2023. Die Forschungsgruppe Wahlen hatte darin unter anderem nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Und von den befragten Muslimen gaben 27,7 Prozent an, die CDU gewählt zu haben – ähnlich viele wie unter allen Berlinern. Die SPD wählten 24,9 Prozent der befragten Muslime, die Linke 15,2 Prozent. 8,3 Prozent machten ihr Kreuz bei den Grünen und 4,4 Prozent bei der AfD.

"Natürlich haben die Krisen der vergangenen Jahre auch bei türkeistämmigen Menschen für Frustration gesorgt", sagt Ayşe Demir von Türkischen Bund Berlin-Brandenburg. Dass dies der neuen Partei Dava die Wähler in die Hände treiben werde, glaubt sie allerdings nicht, vor allem nicht in Berlin. "Ich denke, dass sich das Ganze schnell wieder verläuft", sagt Ayşe Demir.

Ganz so sicher ist sich Özgür Özvatan da nicht. "Ich würde die Partei nicht vorschnell abschreiben", sagt der Sozialwissenschaftler. "2024 ist ein kritisches Jahr mit Kommunal- und Landtagswahlen und der Europawahl. Wenn da ein neuer Player dazukommt, der auf die migrantischen Stimmen setzt, ist das ein substanzieller Faktor."

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.02.2024, 07:06

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Beitrag von Carl Winterhagen

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