Union Berlin schafft Klassenerhalt - Glanz, Absturz, Urschrei

Sa 18.05.24 | 20:57 Uhr | Von Shea Westhoff
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Janik Haberer von Union Berlin jubelt am 18.05.2024 über sein 2:1 im Spiel 1. FC Union Berlin – SC Freiburg. (Quelle: Imago Images/Michael Taeger)
Audio: rbb24 Inforadio | 18.05.2024 | Lars Becker | Bild: Imago Images/Michael Taeger

Union Berlin hat den Totalschaden verhindert. Nach einer Saison, die phasenweise einer schwer verträglichen Achterbahnfahrt glich, setzte das Team einen furiosen Schlusspunkt. Die Frage ist, warum es so eng werden musste. Von Shea Westhoff

So weit musste es wirklich kommen. An einem Tag im Mai, an dem eine tiefe Wolkendecke über Köpenick hinweg zog, stemmten sich die Fußballer des 1. FC Union Berlin noch mal mit aller Macht gegen den drohenden Abstieg aus der ersten Bundesliga.

Und auch wenn die Talfahrt der Mannschaft schon länger zu bezeugen war, musste man sich doch noch mal die Augen reiben. Ja, dieser Klub spielte noch vor einem halben Jahr in der Champions League und verlor wenige Kilometer weiter im Olympiastadion nur unglücklich gegen das Welt-Ensemble von Real Madrid mit Bellingham, Kroos und Modric. Nun kämpften genau diese Unioner gegen Kübler, Keitel und Makengo vom SC Freiburg am letzten Spieltag einer völlig verunglückten Bundesliga-Saison um das Verhindern des Totalschadens. Am Ende mit der irrwitzigen Pointe eines Treffers in der Nachspielzeit, der allen im Verein von der Wuhle wie eine Erlösung vorgekommen sein muss.

Extreme Emotionen nach Abpfiff

Robin Gosens saß nach Abpfiff auf dem Rasen, weinte und lachte gleichzeitig, Manager Oliver Ruhnert verpasste dem Klubpräsidenten Dirk Zingler eine Umarmung der stürmischsten Sorte; Andras Schäfer schluchzte, als er vom Abwehrhünen Danilho Doekhi in den Arm geschlossen wurde.

Extreme Emotionen brachen sich Bahn nach dem Abpfiff. Es musste offensichtlich so weit kommen. Natürlich war die letzte Partie dieser denkwürdigen Unioner Saison daher auch von der Frage begleitet: Wie konnte es eigentlich so weit kommen?

"Ich wüsste nicht einen einzigen Grund, weshalb Union Berlin nicht dazu in der Lage sein sollte, gegen den SC Freiburg zu gewinnen", sagte der tapfere Interimstrainer Marco Grote zwei Tage zuvor im rbb-Interview. Reichlich Anlässe zum Zweifeln hatten die vergangenen Auftritte der Mannschaft allerdings schon geliefert. Von den zurückliegenden sieben Spielen konnte sie keines gewinnen.

Union verlor die typischen Stärken

Nach den vergangenen Partien war es tatsächlich sogar ziemlich überraschend, wie forsch und mutig sich das Team um Kapitän Christopher Trimmel gegen die Freiburger präsentierte, für die mit der Qualifikation für das internationale Geschäft und einem möglichst erfolgreichen Abschied von Trainerlegende Christian Streich ebenfalls einiges auf dem Spiel stand.

Eine Minute war nur vergangen, als sich Yorbe Vertessen und Robin Gosens bereits in intensiven Zweikämpfen mit den Südbadenern beharkten – in deren eigenem Sechzehner. Mit hohem Tempo auf den Außenbahnen gelangten die Hausherren immer wieder ins letzte Spielfelddrittel. Wille, Fokus, Selbstvertrauen.

Typisch eiserne Tugenden, eigentlich. Doch der Mannschaft waren sie irgendwo zwischen Königsklasse und Ligatristesse entglitten. Union brillierte plötzlich nicht mehr, wenn es darauf ankam. Ausgerechnet in den beiden entscheidenden Partien gegen direkten Kellerkonkurrenten Bochum (3:4) und Köln (2:3), zeigte die einst gefürchtete Unioner Defensive phasenweise Auflösungserscheinungen. Das Team ließ plötzlich Nervenstärke vermissen.

Bezeichnend, dass Union gegen den SC Freiburg zwei Elfmetergeschenke liegen ließ. Zuerst Josip Juranovic im ersten Durchgang, dann Kevin Volland in der Nachspielzeit, als der Klassenerhalt beim Stand von 1:1 auf dem Spiel stand. Der Geistesgegenwart des nachsetzenden Janik Haberer war es zu verdanken, dass von den verschossenen Elfmetern später niemand mehr reden wird.

Wagenburg bröckelte

Es war eine offensichtlich verunsicherte Mannschaft, die da in den letzten Spielen auf dem Platz stand. Wie sollte es auch anders sein? Viel war in dieser Saison ja nicht mehr übrig geblieben von der Wagenburg, die sie im Verein schützend um Köpenick herum errichtet hatten, um trotz großer allgemeiner Neugier möglichst viel Ruhe im Team zu gewährleisten. Oder um wenigstens den Eindruck zu vermitteln, der Klub befinde sich in ruhigem Fahrwasser.

Stattdessen vernahm man das Rumoren in der Mannschaft selbst noch südlich der Alpen. In Italien sorgten sich die Medien um ihren verehrten Europameister Leonardo Bonucci, der sich die Aufgabe in Köpenick so ganz anders vorgestellt hatte. Der Routinier beeilte sich zwar, entsprechende Berichte zu dementieren. Doch im Winter hatte er schon die Flucht ergriffen zu Fenerbahce Istanbul. Die vom FC Chelsea gekommene Edel-Leihgabe David Datro Fofana war nach der eigenen Auswechslung in einem Champions-League-Spiel derart aufgebracht, dass sie dem Trainer den Handschlag verweigerte. Der Ivorer spielt längst wieder in der Premier League.

Mehrere kleinere und größere Aufregungen begleiteten den Verein fortan. Zuletzt wollte die "Sport Bild" von einem klubinternen Vorgang gewusst haben, nach dem die beiden vereinstreuen Führungsspieler Christopher Trimmel und Rani Khedira gegenüber ihren Vorgesetzten eine "Söldnermentalität" in der Mannschaft zur Sprache brachten. Von Egoisten war die Rede. Und auch wenn Trimmel und Khedira dieser Meldung widersprachen, so passte das doch ins Gesamtbild der Saison – dass es da plötzlich ein äußerst kompliziertes Team-Gefüge zu befrieden gab.

Tiefstapelei nicht mehr zeitgemäß

Der sympathisch-renitente Berliner Klub verweigerte sich auch in dieser Spielzeit trotzig der Transformation vom ewigen Außenseiter hin zu einem ambitionierten Verein, der sich an den neuen Realitäten auch messen lässt. Stattdessen pflegten sie bei Union stoisch ihr berüchtigtes Understatement. Ziel sei allein der Klassenerhalt hieß es, als man schon in der Champions League spielte.

Doch diese Haltung wollte nicht mehr recht passen zu den Millionen, die durch neue Sponsoren und TV-Rechte die Kassen füllten, sie wollte nicht mehr recht passen zu einem namhaft aufgerüsteten Team, sie wollte auch nicht passen zu dem rundum sanierten und vergrößerten Stadion, in dem das Team schon in wenigen Jahren auflaufen soll. Stattdessen hielten die Bosse fest am verdienstvollen Urs Fischer, als der Klub bereits in den Abgrund blickte.

Einmaliger Urschrei

Nach der dann einsetzenden Trainer-Rochade (Grote, Bjelica, Grote) ruckelte sich Union Berlin durch die restliche Spielzeit, die sich gegen den SC Freiburg auf einen Moment am Elfmeterpunkt in der Nachspielzeit verdichten sollte.

Es musste wirklich so weit kommen.

Der Systemzusammenbruch ist nach einer verkorksten Saison abgewendet worden. Und den kollektiven Urschrei, den Haberers Treffer in der Nachspielzeit auslöste, den hätte es wohl nicht mal bei einem Sieg gegen die Galaktischen von Real Madrid gegeben.

Sendung: rbb24, 18.05.2024, 22 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

21 Kommentare

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  1. 21.

    Sie können das natürlich beurteilen, was Satire kann und nicht kann. Dass Satire eben eher selten "lustig" ist, könnten (Konjunktiv) Sie bei z.B. Tucholsky, Heine, Georg Schramm....oder auch Böhmermann erkennen.
    Bevor Sie mich belehren, arbeiten Sie an Ihrem Lateinisch und Verständnis für den Konjunktiv.
    "Quod erum demonstrantum!" (Keine Satire! Das ist O-Ton Sigurd)
    Dies ließe (Konjunktiv) sich nachweisen, wenn das Bedürfnis danach bestünde (dito).
    Verschwurbelte Grüße vom "Zahlenexperten" mit mehr als nur Verständnis für Zahlen!
    "Manche Menschen haben einen Gesichtskreis vom Radius Null und nennen ihn ihren Standpunkt."
    David Hilbert (1862 - 1943) war ein deutscher Mathematiker.
    Den kenne ich INHALTLICH ebenfalls.

  2. 18.

    Satire!!!
    Und der Anführer kommt aus Österreich!
    Chapeau!

  3. 17.

    Ich bin so froh das wir drin geblieben sind!!!
    Eine große Bitte habe ich versucht doch Urs Fischer zurück zu holen!!! Einen Versuch wäre es doch wert !!!!

  4. 16.

    Herzlichen Glückwunsch! Aber noch solch eine Saison bzw. noch so ein Spiel wie gestern und die Berliner Krankenhausplanungen sollten ernsthaft eine Filiale des Deutschen Herzzentrums an der Alten Försterei erwägen ;-)

  5. 15.

    Ufffff! Jeschafft, jerettet! Und auch ein trauriges Tschö nach Köln. Ihr werdet der 1. BL fehlen, alleine wegen des Liedguts. Das hat, bei allem Respekt für die Meisterschaft, Bayer 04 nicht. Die müssen sich im Hitregal umsehen. Eisernes Glück Auf!

  6. 14.

    Der letzte Elfer zeigte die ganze Saison kompakt. Nichts gegen die Qualität der Spieler, aber es versagten gerade bei den vermeintlichen Stars immer wieder die Nerven, und die Underdogs mussten kitten. Und dass diesmal auch Trimmel wieder Vertrauen geschenkt wurde, zahlte sich aus. Er ist der Kopf und vor allem das Herz des Teams.
    Aber was für ein Herzschlagfinale! Hoffe das der neue Phönix daraus entwächst.
    Auf in die neue Saison
    Eisernes HaHoHe

  7. 13.

    Mehr Glück als Verstand
    Jetzt müssen sich alle, aber vor Allem Ruhnert und Zingler hinterfragen und sich ehrlich machen wie diese Saison so in die Hose gehen konnte

  8. 12.

    Lass sie doch,haben sich einige eben anders vorgestellt. Ich bin noch voller Adrenalin. Was für eine Wucht im Stadion. EISERN

  9. 11.

    ...... Gratulation, auch wenn ihr Nerven gekostet habt. Schaut nach vorne und spielt dann eine bessere Saison. Grote sollte endlich eine echte Chance bekommen.

  10. 10.

    Na eine Glück, das es Fussball gibt ...

  11. 9.

    Einträchtige Glückwünsche an die Eisernen.

  12. 8.

    Nach dem Jahre langem Climax kam ein (hoffentlich nur) einjähriger Anticlimax.

  13. 5.

    Negativer kann man kein Klassenerhalt kommentieren.
    Sei es drum .
    U..N.VE.U

  14. 4.

    Saisonziel erreicht! Klassenerhalt!
    Hertha bitte nächste Saison wieder aufsteigen um dann Derbies in der 1.BL zu feiern!
    Eisernes HoHoHe!

  15. 3.

    Glückwunsch und blau/weisse Grüße nach Köpenick. Verschieben wir das Derby halt um ein Jahr, macht in der ersten Liga eh mehr Spaß.

  16. 2.

    Trimmi,heute ein wahrer Anführer.Danke.

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