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Keine Versicherung, kein Ausweis

"Impfungen sollten unabhängig vom Aufenthaltsstatus sein"

Auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus haben ein Recht auf eine Corona-Impfung. Es fehlt jedoch das Vertrauen in die Behörden. Hilfsorganisationen wollen vermitteln - in Berlin gibt es Bemühungen, Brandenburg hinkt hinterher. Von Oliver Noffke

Wer sich im Impfzentrum eine Corona-Schutzimpfung geben lassen möchte, muss sich ausweisen. In der Arztpraxis muss die Versichertenkarte eingelesen werden. Aber was, wenn beides nicht vorhanden ist, wenn Menschen keine Versicherung haben oder sich nicht ausweisen können?

Auch sie haben ein Recht auf eine Corona-Schutzimpfung. "Die Versorgung mit amtlich empfohlenen Impfungen ist formal allen Personen unabhängig von deren Aufenthaltsstatus zu gewähren", heißt es etwa auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts (RKI) mit Blick auf Impfungen generell [rki.de]. Für die Bürgerinnen und Bürger ist die Corona-Impfung kostenlos - unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [impfen-info.de].

Eine unbekannte Zahl mit sechs Stellen

"Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sind in Deutschland Teil der gesellschaftlichen Realität", schreibt die Bundesärztekammer. Allerdings ist nicht klar, wie viele es sind. Eine seriöse Schätzung könne für Berlin nicht gegeben werden, so ein Sprecher der Sozialverwaltung auf rbb|24-Anfrage. Auch aus dem zuständigen Brandenburger Ministerium für Gesundheit heißt es, dass keine Zahlen zu Impfungen und Menschen ohne Aufenthaltsstatus vorliegen.

"Es liegt in der Natur der Sache, dass das sehr schwer festzustellen ist", sagt Stephanie Kirchner von der Hilfsorganisation Ärzte der Welt. "Aber es wird sich in ganz Deutschland um mehrere Hunderttausend handeln." Kirchner verweist auf eine Schätzung der Universität Bremen, nach der 2014 bundesweit mindestens 180.000, möglicherweise aber bis zu 520.000 Menschen gelebt haben, die keinen gültigen Aufenthaltsstatus hatten.

Pflicht zur Datenweitergabe wirkt abschreckend

Ärzte der Welt hat in mehreren deutschen Städten - unter anderem in Berlin - Anlaufstellen, wo Menschen medizinisch versorgt werden, die sonst durchs Raster fallen. "Für diese Leute gibt es schon sehr hohe Barrieren", sagt Kirchner. "Das liegt vor allem an der bundesweiten Übermittlungspflicht."

Wenn Menschen ohne Aufenthaltsstatus oder Krankenversicherung zum Arzt müssen, übernehmen die Sozialämter die Kosten. Allerdings sind sie dazu verpflichtet, die Daten der Personen an die Ausländerbehörden weiterzugeben. "Das führt natürlich zu einer großen Angst bei den Betroffenen, weil das zu einer Abschiebung führen kann", so Kirchner. Behandlungen in Notfällen sind von dieser Regelung ausgenommen. "Und eigentlich sollten die Impfungen auch unabhängig vom Aufenthaltsstatus sein", sagt sie.

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Das bestätigt auch ein Sprecher des Brandenburger Gesundheitsministeriums: "Im Übrigen haben behandelnde Ärztinnen und Ärzte grundsätzlich keine Pflicht zur Meldung nach §87 AufenthG." Weil die Betroffenen aber wüssten, dass in anderen Fällen eine Pflicht zur Datenweitergabe bestehe, so Stephanie Kircher von Ärzte der Welt, blieben eigentlich nur Impf-Aktionen, bei denen Anonymität gewährleistet werde.

Kooperative Aktionen in Berlin

Dass es ein Akzeptanzproblem gegenüber staatlichen Einrichtungen gibt, weiß auch die Berliner Senatsverwaltung. Deshalb gebe es eine Reihe von Ansätzen, um Menschen ohne Aufenthaltsstatus ein Angebot zu machen, teilt Stefan Strauß mit, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Soziales. In Kooperation mit sozialen Trägern und der Straßensozialarbeit seien bereits Aktionen in den Bezirken und bei der Wohnungslosenhilfe durchgeführt worden.

Zusätzlich hätten sich drei Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und drei weitere medizinische Einrichtungen für Wohnungslose oder Menschen ohne Krankenversicherung bereit erklärt, "wöchentlich an ein bis zwei Tagen Impfungen anzubieten", so Strauß. "Die Gesundheitsverwaltung wird dafür wöchentlich bis zu 250 Impfdosen bereitstellen." Etwa 4.000 Impfdosen seien bis Ende Mai in Impfaktionen für Betroffene verabreicht worden. Derzeit werde beraten, wie einzelne Programme ausgeweitet werden könnten.

Das Brandenburger Ministerium ging auf konkrete Fragen zu Impfaktionen nicht ein und teilte mit: "Zahlen zu geimpften Menschen ohne Aufenthaltsstatus liegen nicht vor."

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Ärzte der Welt will ab dem 2. Juli Corona-Schutzimpfungen anonym anbieten. "Wir haben jetzt endlich in unserer Anlaufstelle in Berlin-Zehlendorf Impfstoffe erhalten und können bald loslegen", sagt Stephanie Kirchner. Sie ist vom Erfolg überzeugt, da zu den Betroffenen oftmals bereits ein Vertrauensverhältnis bestehe. "Aber das können wir natürlich nur im kleinen Rahmen machen", sagt sie.

Für den Anfang stünde Impfstoff von Moderna und Johnson & Johnson für 30 Personen zur Verfügung. Letzterer Impfstoff hat den Vorteil, dass er seine Wirkung bereits nach der ersten Dosis entfaltet und kein zweiter Termin notwendig ist. Diese wenigen Impfstoffdosen zu organisieren, sei nicht einfach gewesen, sagt Kirchner. Sie hofft aber, dass Ärzte der Welt bald ein größeres Angebot machen kann. "Wir fangen also erstmal klein an, können aber noch Impfstoff nachbestellen."

Weitere Informationen und Hilfsorganisationen

- Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung, malteser-berlin.de

- Ärzte der Welt Berlin, aerztederwelt.org

- Caritas Berlin, medizinische Hilfe für Obdachlose, caritas-berlin.de

- Medibüro Berlin - Netzwerk für die Gesundheitsversorgung aller Migrant*innen, medibuero.de

Beitrag von Oliver Noffke

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