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Audio: Inforadio | 01.06.2022 | Sebastian Schöbel | Quelle: dpa/Fabian Sommer

Nach Ende der Kältehilfe

Berlin hat keine Quarantäne-Plätze für Obdachlose mehr

Mit Covid-19 auf der Straße: Diese Situation droht nun vielen Obdachlosen in Berlin. Denn ohne die vom Senat finanzierte Kältehilfe gibt es auch keine speziellen Quarantäne-Plätze mehr. Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Von Sebastian Schöbel

Die "häusliche Quarantäne", die laut der noch geltenden Corona-Regeln bei einem positiven Testergebnis vorgeschrieben ist, lässt sich nur schwer einhalten, wenn man kein Zuhause hat. Das weiß Samyr Bouallagui aus seiner täglichen Arbeit bei der Hilfsorganisation Straßenfeger. Was banal klingt, ist für obdachlose Menschen in Berlin gerade ein akutes Problem, berichtet Bouallagui dem rbb. Als im Mai in der Notübernachtung des Straßenfegers ein 40-jähriger Bewohner per PCR-Test positiv auf das Virus getestet wurde, kontaktierten die Helfer wie bisher üblich die vom Land mitfinanzierte Quarantäne-Station der Berliner Stadtmission. "Als wir dort anriefen, wurde uns mitgeteilt, dass die Station schon zum 30. April geschlossen worden ist."

Wenn Helfer Hilfsbedürftige abweisen müssen

Der 40-Jährige habe leichte Corona-Symptome gehabt und über Gliederschmerzen geklagt, sagt Bouallagui. Man habe ihm nur das Testzertifikat geben und ihn ins nächstgelegene Krankenhaus schicken können. Später seien bei zwei weiteren Bewohnern noch positive Schnelltests dazugekommen. Für die Obdachlosenhelfer sei das sehr belastend gewesen, so Bouallagui. "Denn der Umkehrschluss war leider, dass wir die Leute auf die Straße setzen mussten, weil wir die nicht in unserer Einrichtung aufnehmen konnten."

Obdachlosenhelfer Bouallagui ärgert, dass die Quarantäne-Station ohne Vorwarnung geschlossen worden sei. Bedarf gebe es nämlich auch weiterhin - zuletzt seien die Plätze nämlich "immer voll belegt" gewesen, sagt er. Der Krisenstab des Senats sei inzwischen vor allem mit der Flüchtlingshilfe beschäftigt und für die Obdachlosenhelfer nicht mehr erreichbar.

Die Stadtmission: Hier gab es bis Ende April noch Quarantäneplätze | Quelle: dpa/Christophe Gateau

Senat verweist auf Bezirke

Die Senatsverwaltung für Soziales bestätigt, dass die Quarantäne-Plätze der Kältehilfe turnusgemäß zum 30. April geschlossen wurden. Ein Sprecher sagt auf rbb-Nachfrage, da sei "keine besondere Information erforderlich" gewesen. Zuletzt seien etwas mehr als 100 Quarantäne-Plätze über die vom Senat finanzierte Kältehilfe verfügbar gewesen, aber "kaum noch ausgelastet", erläutert der Sprecher. Man unterstütze die "Obdachlosen Task-Force" des Trägers Karuna, betont der Sprecher der Verwaltung. Das Team berät und hält Kontakt zu Menschen, die auf der Straße leben.

Seit der Schließung der Quarantäne-Plätze der Kältehilfe seien zudem die Bezirke zuständig für die Versorgung der obdachlosen Menschen in Berlin - und deren Isolation, im Fall einer Covid-19-Erkrankung.

Quarantäne auf der Straße

Die aber halten in den meisten Fällen keine Quarantäne-Plätze für obdachlose Menschen bereit, wie eine Abfrage des rbb bei allen Bezirksämtern ergab. Man habe bereits darauf hingewiesen, "dass hier im Ernstfall eine Versorgungslücke entsteht", heißt es dazu aus dem Bezirksamt Mitte.

"Wenn Menschen mit positiven Testergebnissen in die Übernachtungsangebote kommen wollen, müssen sie abgewiesen werden und auf der Straße übernachten", räumt eine Sprecherin des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg ein. Neben der Quarantäne-Station in der Stadtmission habe der Bezirk im Januar und Februar auch noch ein ehemaliges Hostel dafür ertüchtigt. Beides gebe es nun nicht mehr - das Hostel werde inzwischen für Ukraine-Flüchtlinge gebraucht. Freie Träger der Obdachlosenhilfe hätten derweil "in der Regel gar keine Kapazitäten, entsprechendes Personal, auch ärztliches, für die Betreuung mehr oder weniger stark symptomatischer Corona-Erkrankter, mit oft einhergehender Drogenproblematik und Komorbidität, vorzuhalten, das über Tagessätze abgerechnet werden kann", so die Sprecherin.

Wenn Quarantäne zur Verdrängung führt

Dabei sei der Platzbedarf eigentlich gar nicht so groß, sagt Ina Zimmermann, Referentin für Armutsbekämpfung, Wohnungslosenhilfe und Soziale Dienste beim Diakonischen Werk. Es seien Einzelfälle, um die man sich kümmern müsse. Werden die Corona-Infektionen tagsüber entdeckt, würden sich die Bezirke auch um Lösungen bemühen, so Zimmermann. "Aber bei den Notübernachtungen haben wir die Problematik, dass die abends öffnen. Abends erreicht man dann schwer jemanden."

In Gemeinschaftsunterkünften mit Mehrbettzimmern für Infizierte Platz zu schaffen, sei kaum möglich. "Wenn man sagt, eine Person bekommt jetzt ein Zimmer, müssten andere draußen bleiben und auf der Straße schlafen", so Zimmermann. Medizinisches Personal zur Betreuung fehle meistens auch.

"Die sind mit dem Überlebenskampf beschäftigt"

Pauschale Kritik an der Politik wolle sie gar nicht üben, sagt Zimmermann. Während der Pandemie hätten Senat und Bezirke vieles richtig gemacht. "Und da kann ich jetzt nicht verstehen, warum man sich um die Quarantäne-Einrichtung dann gar nicht mehr kümmert." Es sei nicht genug, wenn der Senat nun auf die Zuständigkeit der einzelnen Bezirke verweist. Denn als die Quarantäne-Plätze noch existierten, seien diese schließlich auch berlinweit von allen Bezirken in Anspruch genommen worden.

Dabei brauchen besonders obdachlose Menschen mit Covid-19-Symptomen schnelle Hilfe und Isolation, mahnt Ina Zimmermann. Von ihnen zu verlangen, sich selbst um die vorgeschriebene Quarantäne zu kümmern, sei trotz der zahlreichen Beratungsangebote in Berlin zu viel verlangt. "Auf der Straße zu leben ist ein Ausnahmezustand: Die sind einfach mit dem Überlebenskampf beschäftigt."

Sendung: Inforadio, 01.06.2022, 7 Uhr

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