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Audio: rbb24 Inforadio | 27.04.2023 | Kirsten Buchmann | Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka

Schwarz-Rot wählt Regierenden Bürgermeister

Wegner kann warten

Wenn das Abgeordnetenhaus am Donnerstagmittag einen neuen Regierenden Bürgermeister wählt, endet ein langes Geduldsspiel. Aber nach dem hartnäckig errungenen Wahlsieg muss Kai Wegner nun aufs Tempo drücken. Von Christoph Reinhardt

Üblicherweise beginnt die Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses morgens um 10 Uhr. Aber ausgerechnet an dem Tag, den sich die neue Koalition für die Machtübergabe ausgeguckt hat, ist der Plenarsaal schon seit langem reserviert - für "Schülerinnen treffen Politik". Wenn das Parlament rund 100 Mädchen (wie immer am vierten Donnerstag im April) zum Girl’s Day begrüßt, dann muss der CDU-Chef eben warten. Kein Problem für Kai Wegner, der schon seit Jahren geduldig auf diesen Moment hingearbeitet hat. Die Mädchen gehen ja auch wieder.

Neues Regierungsbündnis

Berliner CDU votiert einstimmig für Koalition mit SPD

Der Weg für Schwarz-Rot in Berlin ist frei. Einen Tag nach der SPD stimmte am Montag auch die CDU für das geplante Bündnis - allerdings wesentlich eindeutiger als die Sozialdemokraten. Auch die Senatorenriege ist schon bekannt.

12 Uhr mittags

Ab 12 Uhr, kurz vor dem Abschluss ihres "Mädchen-Zukunftstags", können die Besucherinnen noch von den Fraktionsbüros aus per Übertragung miterleben, wie Wegner ausgerechnet Berlins erste Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wieder aus dem Amt verabschiedet - nach gerade mal 16 Monaten. Mit den Stimmen der CDU-Fraktion, deren Frauenanteil bei nicht einmal 25 Prozent liegt. Mit Hilfe der SPD, die lieber ihre Spitzenfrau zu Wegners Stellvertreterin degradiert, als gleichauf mit den Grünen und gemeinsam mit den Linken die rot-grün-rote Koalition fortzusetzen.

Andererseits will Wegner mit einem überwiegend weiblichen Senat regieren. Unmittelbar nach seiner Wahl am Donnerstag fährt er ins Rote Rathaus, um dort drei Senatoren und sieben Senatorinnen zu ernennen. Mit Frauen in Machtpositionen hat Wegner nie Probleme gezeigt, am Ende nämlich setzte er sich durch. Wie schon gegen seine Vorgängerin Monika Grütters. Statt der damaligen CDU-Kulturstaatsministerin und Landesvorsitzenden den Kampf zu erklären, zog sich Generalsekretär Wegner nach der verlorenen Wahl 2016 aus der Landespartei zurück. Er überließ Grütters das Trümmerfeld. Nur ein Jahr später war er zurück, 2019 überließ Grütters ihm kampflos die Parteiführung.

Erst lange warten …

Sicher geschlagen schien Wegner auch 2021, als seine Rivalin Giffey am Superwahltag doch noch einen SPD-Sieg herausholte - und er selbst als gescheiterter Spitzenkandidat mit seiner Partei am Boden lag. Aber während die CDU schon laut über einen Ersatzkandidaten für die Wiederholungswahl nachdachte, blieb Wegner geduldig. Und taktierte erfolgreich, als er auch nach dem größten CDU-Wahlsieg seit 22 Jahren das Tempo herausnahm. Während Grüne und Linke auf eine schnelle Fortsetzung von Rot-Grün-Rot setzten, gab Wegner der schockierten SPD genügend Zeit, um das Trauma des Wahldesasters zu verarbeiten. Je länger sich die Sondierungen zogen, umso mehr freundeten sich die SPD-Verhandler mit ihrer Rolle als Juniorpartner an. Und der Gegendruck des linken Parteiflügels verpuffte während des langen SPD-Mitgliedervotums. Kai Wegner und seine Partei mussten nur warten.

Steckbriefe der Regierungsmitglieder

Das ist das neue Team für den Berliner Senat

Die neuen Koalitionspartner in spe, SPD und CDU, haben ihre jeweilige Regierungsmannschaft offiziell vorgestellt. Einige Personen sind schon länger im Amt, andere wiederum sind ganz neu. Alle Senatoren und Senatorinnen im Überblick.

… dann voll durchstarten

Aber nach Wegners Wahl am Donnerstag beginnt ein neues politisches Spiel unter neuen Rahmenbedingungen. Die traditionellen hundert Tage Schonfrist kann sich der neue Senat diesmal nicht gönnen. Statt in den üblichen fünf Jahren muss die neue Koalition ihre Erfolgserlebnisse bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 sammeln. Wenn Wegner wiedergewählt werden will, muss er jetzt ein höheres Tempo anschlagen - und die meisten Aufgaben, die der Giffey-Senat ihm hinterlassen hat, sind vertrackt.

Bei der Verwaltungsreform will Schwarz-Rot da weitermachen, wo Rot-Grün-Rot aufgehört hat. Im ersten Schritt die Aufgaben der Bezirke und des Senats neu zu sortieren, kann zwar schnell gelingen. Aber für die wichtigeren größeren Reformen müsste erst die Verfassung geändert werden: Die Vereinheitlichung der Bezirke unter den Vorgaben des Senats. Und ausgerechnet bei Kernfragen wie einem möglichen politischen Bezirksamt oder der Direktwahl der Bezirksbürgermeister sind sich SPD und CDU bisher nur darin einig, dass sie sich nicht einig sind.

Programmtipp

Heute im Parlament

Digitalisierung als Chefsache

Dass der Regierende Bürgermeister auch die Digitalisierung der Verwaltung zur Chefsache machen will, könnte zwar neuen Schub bringen. Aber die auch die Verschiebung der Zuständigkeiten aus der Innenverwaltung in die Senatskanzlei und die Abberufung des eingearbeiteten "Chief Digital Officer", dem Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD), kosten erstmal wertvolle Zeit.

Auch beim Wohnungsbau sind ambitionierte Ziele schneller in einem Koalitionsvertrag vereinbart, als neue Wohnungen entstehen - oder gar die Mieten sinken. Selbst symbolische Aufbruchssignale wie das Mietenbündnis sind angesichts der Lage am Wohnungsmarkt kaum glaubwürdig. Der nach den Chaoswahlen angezählte Andreas Geisel konnte sich auch nach dem Jobwechsel als Bausenator nicht mehr rehabilitieren. Er wird nach 16 glücklosen Monaten geräuschlos durch seinen Staatssekretär Christian Gaebler ersetzt.

Die lange vorbereitete Änderung der Bauordnung könnte zwar jetzt so ein Signal sein. Aber selbst wenn Schwarz-Rot ohne den sozial-ökologischen Widerstand von Linken und Grünen auf diese Weise die eine oder andere Bremse lösen kann: Sichtbare Veränderungen brauchen mehr Zeit, als die Koalition hat. Das gilt auch für große Verkehrsprojekte. Ein öffentlicher Streit über den Autoverkehr in der Friedrichstraße ist schnell geführt - die A100 zu verlängern oder neue U-Bahn-Linien anzulegen, ist eine Frage von Jahrzehnten.

Mehr Härte

Ganz fix einen anderen Ton anschlagen kann der neue Senat aber bei der Inneren Sicherheit. Sei es im Umgang mit widerständigen Klimaaktivisten, bei der Forderung nach mehr Befugnissen der Sicherheitsbehörden und Ausrüstung wie Taser und Bodycam. Die SPD-Innensenatorin Iris Spranger zeigte sich in Ton und Sache schon vor dem Regierungswechsel öfter mit der CDU einig als mit Linken und Grünen. Dass die CDU Ressentiments in öffentliche Zustimmung für einen härteren Kurs umwandeln kann, haben Wegner und seine Leute nach den vergangenen Silvesterkrawallen bewiesen. Die Union dürfte der SPD-Senatorin wohl kaum das Sicherheitsthema überlassen.

Welche Rolle dabei die noch unbeschriebene parteilose Justizsenatorin Felor Badenberg für die CDU übernehmen wird, wird sich zeigen. Schon vor dem Amtsantritt hat sie sich für Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchung ausgesprochen. Um sich auf Änderungen des Polizeigesetzes zu einigen, hatte Rot-Rot-Grün zuletzt Jahre gebraucht - Schwarz-Rot könnte zeigen, das Verschärfungen auch kurzfristig möglich sind.

"Vernunftehe" statt "Liebesheirat"

Vor allem mit dem Versprechen für eine konstruktive Zusammenarbeit will die neue Koalition zeigen, dass Politik nicht nur im Streit vorankommt. Bei allen Unterschieden zwischen beiden Parteien sei es "immer das Ziel der Koalitionsverhandlungen gewesen, eine gemeinsame Lösung zu finden", so beschrieb Wegner den Anspruch einer verlässlichen Partnerschaft. Statt einer "Liebesheirat" sei die Koalition eine "Vernunftehe". Das allerdings hatten sich schon viele Bündnisse erst fest versprochen und dann gebrochen.

Wie stabil die schwarz-rote Verbindung bleibt, auch wenn die Interessen auseinandergehen, dürfte sich spätestens dann zeigen, wenn gegen Ende der Legislaturperiode wieder der Wahlkampf in den Vordergrund rückt. Zuletzt hatten SPD und CDU von 2011 bis 2016 gemeinsam regiert, aber sich im Wahlkampf hart angegangen. Beide verloren daraufhin massiv an Stimmen. Als Regierender kann Wegner nun zeigen, dass er seine Lektion gelernt hat.

Sendung: Heute im Parlament, 27.04.2023, 12 Uhr

Beitrag von Christoph Reinhardt

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