Ein Tag bei den Special Olympics in Berlin - Ehrliche Freude und ein erstrebenswerter Inklusionseffekt

Do 23.06.22 | 18:30 Uhr | Von Jakob Lobach
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Die Tenniswettbewerbe bei den nationalen Special Olympiscs (Bild: IMAGO/tennisphoto.de)
Bild: IMAGO/tennisphoto.de

Bei den nationalen Special Olympics kommen diese Woche 4.000 Sportler mit geistiger Behinderung und auch solche ohne zusammen. Das Ergebnis: viel ehrliche Freude, beeindruckende Fairness - und zahlreiche Paradebeispiele für sportliche Integration. Von Jakob Lobach

Es ist eine ansteckende Freude, die am Donnerstagvormittag durch die Rudolf-Harbig-Halle im Olympiapark schwebt. Während in der Hallenmitte auf mehreren grünen Bahnen fleißig weiter Boccia gespielt wird, ist Michelle Ehrenberg genau damit schon fertig. Vor einer der Hallenwände stehend, bekommt sie gerade ihre Goldmedaille umgehängt. Aus den Boxen in der Halle ertönen die ersten Passagen des Queen-Klassikers "We are the Champions". Und kaum, dass das Lied ein bisschen Fahrt aufgenommen hat, singen nicht nur die neben Ehrenberg stehenden Zweit- und Drittplatzierten, die Arme schwenkend, laut mit, sondern auch die umstehenden Zuschauer.

Beeindruckende Emotionen

Seit dem vergangenen Wochenende und noch bis Freitagabend versprühen die nationalen Special Olympics 2022 diese ansteckende Freude an verschiedenen Berliner Orten. 4.000 Menschen mit geistiger Behinderung, aber auch nicht-behinderte Athleten messen sich in unterschiedlichsten Sportarten über die Stadt verteilt miteinander. Das Ergebnis ist eine Sportveranstaltung mit viel ehrlicher Freude, beeindruckenden Emotionen und erstrebenswertem Inklusionseffekt.

Michelle Ehrenberg ist dabei bei weitem nicht die einzige glückliche Siegerin beim Boccia: Ihre Siegerehrung ist gerade erst vorbei, da springt ein Teenager im roten Shirt mit dem Namen Levin auf dem Rücken durch die Menschentrauben. Auf die Frage nach dem Grund für seine Freude, antwortet er immer noch hüpfend: "Ich habe Gold gewonnen".

Während beim Boccia bereits gejubelt wird, laufen die Entscheidungen in der zum Tischtenniszentrum umfunktionierten Eishalle nebenan noch. Es ist ein spannendes Finale, das sich Gaby Fischer und Bärbel Gratopp an Tisch 13 liefern. Eins zu eins steht es nach Sätzen und auch Durchgang drei ist eng. Am Ende ist es Gratopp, die sich durchsetzt und hierfür von den rund 150 Zuschauern auf der mit roten Sitzen bestuhlten Tribüne bejubelt wird. "Das war ein tolles Erlebnis", erklärt sie kurz darauf, während der Hallensprecher bereits das nächste Finale ankündigt. Gratopps Antwort auf die Frage nach dem Erlebten während ihrer Tage in Berlin macht dann klar, dass es für die Sportler bei den nationalen Special Olympics allerdings um mehr als Sport geht: "Ich habe viele neue Freunde gefunden", sagt die Sächsin mit Tränen in den Augen.

Fairness und Kameradschaft

Absolut freundlich geht es auch auf den gut ein Dutzend Fußballfeldern zu, die man für die Spiele auf dem Maifeld aufgebaut hat. In Sichtweite zur Heimspielstätte von Hertha BSC herrscht dort ein reges Treiben. Während über laute Boxen jemand eine Mannschaft darüber informiert, dass sich ihre Bremer Kontrahenten etwas verspäten, fordert der Trainer des Teams von der Nordberliner Werksgemeinschaft vor dem Anpfiff "volle Konzentration" von seinen Spielern. Das folgende Spiel gegen die Lebenshilfe Helmstedt ist geprägt von einer guten Mischung aus sportlichem Ehrgeiz, viel Spaß und einer Fairness, die man sich auch für andere sportliche Wettkämpfe wünschen würde.

"Es ist Wahnsinn, wie viel fairer und mit wie viel mehr Kameradschaft hier gespielt wird", sagt Karlheinz Lubjuhn. Von einem Zaun am Spielfeldrand aus beobachtet der Mann mittleren Alters in seiner Schiedsrichter-Uniform das Spiel. Er sieht dabei auch, wie ausnahmslos nach jedem Foul entschuldigend abgeklatscht und sich gegenseitig wieder auf die Beine geholfen wird. Während von den anderen Plätzen fußballtypische Sprüche a la "Jeder einen Mann", "Toll gemacht, Junge" oder "Spiel doch ab" hallen, schwärmt Lubjuhn von der Begeisterung, mit der gespielt wird: "Jeder freut sich für den anderen, wenn der ein Tor schießt – egal ob es dann 1:0 oder 1:5 steht." Und auch abseits vom Sportlichen wird die Begeisterung unter den Teilnehmern immer wieder spürbar. Etwa, wenn der Torwart auf Feld neun zum Sound der Musik, die eigentlich für die Cheerleader auf Platz sechs bestimmt ist, zu tanzen beginnt. Ein paar schwungvolle Bewegungen mit Armen und Hüfte, dann rauslaufen und den langen Ball des Gegners sicher einsammeln.

An insgesamt sieben Orten in Berlin und Umgebung werden die Wettkämpfe ausgetragen. Während die Wege vom Olympiapark zum Kanu nach Grünau und zu den Veranstaltungen im Velodrom etwas weiter sind, liegt das Messegelände quasi nebenan. In der Messehalle 1.2 wird hierbei beim Badminton sichtbar, wieso die Vorkämpfe vom Wochenanfang, bei denen die Sportler je nach Alter, Geschlecht und sportlichem Geschick klassifiziert wurden, sinnvoll sind. Zwischen Aufschlägen mit Drall und Bällen, die Schlag um Schlag ins Aus segeln, ist alles dabei.

Alles wird gefeiert

In Halle 3.2 bekommt man anschließend beim Basketball ein Paradebeispiel für Integration und damit auch den Kern der nationalen Special Olympics präsentiert. Neben Teams, die rein aus Sportlern mit Behinderung bestehen, spielen auch sogenannte "Unified Teams" auf dem glänzenden Holzparkett in der Messehalle. "Wir sind mit zehn Leuten hier angereist, von denen vier ohne Behinderung sind und sechs mit", erklärt Wiebke Kröger, was das bedeutet. Früher hat Kröger lange auch in regulären Frauenteams gespielt, mittlerweile spielt sie schon seit fünf Jahren in Unified Mannschaften und ist in Berlin für die Unified Baskets Essen vom DjK Franz Sales Haus am Start.

Menschen mit Behinderung bezeichnet Kröger als "das Normalste auf der Welt" und über das gemeinsame Basketballspielen mit ihnen sagt sie: "Es macht mir sogar ein bisschen mehr Spaß." Allen voran die stets große und vom Spielstand gänzlich unabhängige Begeisterungsfähigkeit gefällt Kröger: "Hier wird einfach alles gefeiert, jeder einzelne Korb." Auch deshalb sieht die Essenerin in Sachen Sport für Menschen mit geistiger Behinderung noch Nachholbedarf. Zwar gäbe es bereits ein sehr ordentliches Angebot an Sportveranstaltungen für ebendiese, so Kröger, "aber ich finde, es müsste noch viel mehr Unified Mannschaften geben. Damit es noch viel normaler und erlebbarer wird, dass Menschen mit geistiger Behinderung auch Sport machen."

Sendung: Die Finals, 23.06.2022, 16:15 Uhr

Beitrag von Jakob Lobach

1 Kommentar

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  1. 1.

    @rbb24 2. Absatz Sehr geehrter Herr Lobach,
    Das hat er nicht verdient: Er hiess Rudolf Harbìg nicht Habig
    In meiner Jugend kannte jeder Junge seine Zeiten : 46.0
    und 1: 46,6, über Jahrzehnte Weltrekorde.
    So heisst natürlich auch die Halle.

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