European Championships aus regionaler Sicht - Wenn ein Hauch von Olympia nach Deutschland kommt

Mo 22.08.22 | 11:14 Uhr | Von Jonas Schützeberg
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Gina Lückenkemper schwenkt deutsche Fahne (Imago/Beautiful Sports)
Video: rbb24 | 21.08.2022 | Jonas Schützeberg | Bild: Imago/Beautiful Sports

Es war das erhoffte Superevent, mit kurzen Wegen und extremer Nähe zum Zuschauer. Die European Championships zeigten das, was Olympische Spiele manchmal vermissen lassen. Jonas Schützeberg zieht für Berlin-Brandenburg ein Fazit.

Ein Meer aus Köpfen säumte die Wiesen, während sich die Triathleten einen Weg durch die Menge auf den engen Straßen zu bahnen schienen, angetrieben von den Livebands auf den Bühnen. Etwas Magisches war in den scheinbar verlassenen Münchner Olympiapark zurückgekehrt, 50 Jahre hat es gedauert, ein halbes Jahrhundert nach den Spielen in München 1972.

Die European Championships waren zu Gast in der bayerischen Landeshauptstadt, mit einem wahren Konzept der Nachhaltigkeit. Für die Europameisterschaften wurden sämtliche Anlagen von 1972 genutzt – keine Neubauten, so wie man es sich auch für die Zukunft Olympias wünschen würde.

Ein emotionales Sportfest erinnert an alte Glanztage

Beeindruckend war nicht nur die Kulisse am Königsplatz oder an der Regattastrecke, unvergessen bleibt das brodelnde Olympia-Stadion mit Erfolgen, die an die alten Glanztage deutscher Leichtathleten erinnern ließen. Es war ein Sportfest, bei dem in neun Sportarten und unzähligen Disziplinen Europameister gekürt wurden.

Die deutschen Athletinnen und Athleten setzten sich an die Spitze des Medaillenspiegels. Insgesamt gewannen sie 26 Gold-, 20 Silber- und 14 Bronzemedaillen. Die Sportlerinnen und Sportler aus Berlin und Brandenburg hatten an diesen Medaillen einen erheblichen Anteil. Doch nicht alle Träume wurden war, es gab Höhen und Tiefen.

Die Königin dieser EM

Sie war das Gesicht von München. Keine Andere drückte dieser EM ihren Stempel so auf wie Bahnradsprinterin Emma Hinze. Die 24-Jährige gewann drei Goldmedaillen (Sprint, Team-Sprint und 500 Meter Einzelzeitfahren). Auf dem ungewohnt kurzen 200 Meter Oval dominierte sie die europäische Radsportelite und verzauberte die Reihen der Zuschauer.

Beeindruckend verlief der dritte Titel im Sprint. Bereits nach dem Halbfinale war der Akku so gut wie leer. In den Finalläufen lag sie sogar zurück: "Ich dachte, das war‘s. Dann habe ich zwischendurch gebrochen und geweint. Mein ganzes Team hat mich aufgebaut. Ich kann nicht glauben, dass ich jetzt gewonnen habe." Gemeinsam mit Pauline Grabosch und Lea Sophie Friedrich gewann das reine Cottbusser Trio auch den Team-Sprint, Friedrich krönte mit ihrem Sieg im Keirin die phänomenale Bilanz.

Der Absturz einer Traditionssportart

Die letzten Meter wollten nicht zu Ende gehen. Verbissen wehrte sich der Deutschlandachter gegen die Angriffe der Italiener, doch es half nichts, knapp vier Zehntel fehlten zur Bronze, Platz Vier bleibt für das deutsche Paradeboot. Sinnbildich stand der Deutschlandachter mit den Berlinern Olaf Roggensack und Wolf Niklas Schröder für das desaströse Abschneiden des gesamten Verbandes bei der Heim-EM. Eine Bronzemedaille im Frauen-Einer aus 14 Olympischen Bootsklassen bleibt dem einst erfolgsverwöhnten Verband.

Groß war die vom Einer-Weltmeister Oliver Zeidler angestoßene Diskussion am Sportdirektor und der Bundestrainerin, die ebenso viel Platz einnahm wie der sportliche Wettkampf. In einem Monat finden die Weltmeisterschaften in Tschechien statt, dann kehrt auch der Potsdamer Mattes Schönherr zurück in den Achter und der am Boden liegende DRV kann den ersten Schritt in Richtung Wiederaufbau gehen.

Die schnellste Frau Europas ist Berlinerin

Am Ende eines unvergesslichen Abends blieben acht Stiche und eine Goldmedaille. "Ich habe es immer noch nicht realisiert, dass ich Europameisterin über die 100 Meter bin, das ist unfassbar, so richtig verstehe ich das wohl erst nach der Siegerehrung", sagte Gina Lückenkemper und begab sich mit dem notdürftig versorgten Knie mit Bandage auf die Ehrenrunde.

Die 25-Jährige vom SCC Berlin hatte sich beim Hechtsprung über die Ziellinie die eigenen Spikes ins Knie gerammt, Folge: Medaillenfeier mit Dopingkontrolle im Krankenhaus, aber Lückenkemper nahm es gelassen.

Es war einer dieser sagenhaften Abende, der die Spiele von München so einzigartig gemacht hat, denn die Fans schrien Lückenkemper zu diesem historischen Sieg. "Ich habe mich wie ein kleiner Rockstar gefühlt, ich bin ein emotionsgeladener Typ, das pusht mich mega."

Zum Abschluss der European Championships gewann Lückenkemper dann auch noch ihre zweite Goldmedaille mit der 4x100 Meter-Staffel.

Die Goldfabrik hat wieder produziert

Sie sind seit Jahrzehnten die deutschen Medaillengaranten und sie haben ihren Ruf auch dieses Mal mehr als verteidigt. Immer wieder spielte die deutsche Hymne an der Regattastrecke in Oberscheißheim. Allen voran glänzten Sebastian Brendel, der gern als König der Canadier bezeichnet wird, mit zwei Goldmedaillen (C2 1000m, C1 5000m) und einer Bronzemedaille (C2 500m), sowie der Potsdamer Shooting-Star Jacob Schopf mit zwei Titeln (K1 500m und K4 500m).

Lou Massenberg und Tina Punzel
Bild: IMAGO/Independent Photo Agency

Überraschungssieg in einem emotionalen Chaos

Gut 700 Kilometer weiter südlich, in Rom, kämpften die Schwimmer um ihre Medaillen, eine eigene EM, die in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch wie der kleine Bruder des Münchner Events wirkte. Überschattet wurden die Wettkämpfe der Wasserspringer von einem Missbrauch-Skandal im Verband aus den neunziger Jahren. Infolgedessen suspendierte der deutsche Schwimm-Verband Bundestrainer Lutz Buschkow am Donnerstag. Buschkow war seit 2002 Chefbundestrainer am Stützpunkt in Berlin.

Umso überraschender war die Goldmedaille des Berliners Lou Massenberg (Berliner TSC) im 3-Meter-Sychron-Wettbewerb mit der Dresdnerin Tina Punzel, die nach vier Jahren harter Arbeit erneut Europameister wurden. "Ich habe vor dem letzten Sprung gezittert. Aber als ich das Wasser berührt habe wusste ich, das war gut und reicht für eine Medaille", sagte der 21-Jährige. Ebenfalls Gold gewann Lena Hentschel vom Berliner TSC, gemeinsam mit ihrer Partnerin Punzel im 3-Meter-Synchron-Wettbewerb, hier wurde das deutsche Duo seiner Favoritenrolle gerecht.

Ole Braunschweig.(Quelle:imago/T.Hen)
Bild: imago/T.Hen

Mr. Undercover gewinnt erste Medaille

"Es ist unbeschreiblich, ich freue mich des Todes", sagte Ole Braunschweig nach einem sensationellen Rennen über 50 Meter Rücken, in dem der 24-Jährige der SG Neukölln soeben zu seiner ersten internationalen Medaille überhaupt geschwommen war. Braunschweig hatte sich im vergangenen Jahr seinen olympischen Lebenstraum erfüllt, gemeinsam mit seinem kleinen Bruder Malte. Beide waren in Tokio am Start, nur zeitlich getrennt: Ole bei Olympia und Malte bei den Paralympics. Dennoch war der deutsche Rekordhalter als Außenseiter in dieses EM-Finale gegangen, umso größer war der Jubel nach dem Anschlag am Beckenrand und EM-Bronze.

Mittelham muss unter Tränen aufgeben

Das wichtigste Spiel ihrer Karriere endete für Tischtennisspielerin Nina Mittelham mit bitteren Tränen. Die 25-Jährige vom TTC Berlin Eastside musste im Spiel um Gold bereits nach den ersten beiden Sätzen eine lange Verletzungspause wegen Schulterproblemen nehmen. Danach kehrte sie zwar nochmal an die Platte zurück und versuchte gegen die Österreicherin Sofia Polcanova weiterzuspielen, gab aber letztendlich auf. Das Publikum erhob sich, um sie für die Silbermedaille zu feiern.

Sendung: rbb24, 21.08.2022, 21:45 Uhr

Beitrag von Jonas Schützeberg

5 Kommentare

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  1. 5.

    Also ein Magersüchtiger/Magersüchtige dürfte die 5000 Meter in diesem Tempo wohl nicht schaffen. Jemand der 5000 Volt nur in den Oberarmen hat eher auch nicht. Die ausgeübte Sportart beeinflusst auch den Muskelaufbau. Deshalb sieht eine Langläuferin aus wie eine Gazelle und ein Pumper wie Rambo(ck). Klingt komisch, ist aber so.

  2. 4.

    Die ewig gleichen nationalistischen Töne, wenn Wettkämpfer*innen nicht für ihre Leistungen, sondern aufgrund der Nationalität in den Fokus rücken - alle ohne Flagge antreten zu lassen, wäre ein erster Schritt - sowie die ständige Ausblendung unterschiedlichster Bedingungen beim Training und der Förderung dahinter, "gekrönt" von einer ächzend distanzlosen Jubelberichterstattung, die sich auch noch nach den Umtrieben des organisierten Verbrechens, dem olympischen Komitee, sehnt - das war zelebrierte Unsportlichkeit. Das Anorexie-Schaulaufen bei den 5.000m war dafür geradezu symbolisch - ein krankhaftes Zerrbild von Sport, eingehüllt in das Wetteifern von Sponsoren- und Werbeverträgen statt sportlicher Leistungen.

    Statt zig Kulturradiosendern und anderer redundanter Strukturen könnte man sich im ÖRR der Idee eines eigenen Sportsenders widmen. Dann wäre man nicht so angewiesen auf die kläglichen Versuche des betreuten Sprechens ohne Expertise.

  3. 3.

    Ein Super Sport Ereignis EC2022, aber man hatte überhaupt nichts davon gehört.
    Der Kartenverkauf war anfangs wohl auch schleppend... etwas mehr Information oder Publikmachung im Vorfeld wäre gut gewesen

  4. 2.

    Ist doch letztendlich egal, wie sie bezeichnet wird. Steffi Graf startete auch viele Jahre für Berlin, war aber zweitrangig. Freuen wir uns doch einfach, dass der SCC die schnellste in Europa beherbergt. :-)

  5. 1.

    "Die schnellste Frau Europas ist Berlinerin", naja das kann man ja nur mit beiden Augen zugedrückt sagen. In Hamm geboren, wohnt in Bamberg; gut seit drei Jahren startet sie für den SCC, aber als Berlinerin wird sie sich auch selbst nicht bezeichnen. Mit "Die schnellste Frau Europas startet für Berlin" ist man da schon eher richtig, aber das klingt dann wieder nichts so aufreißerisch. So oder so, super Leistung von ihr.

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