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Quelle: IMAGO / Hanno Bode

Interview | Neujahrsvorsätze

"Ein Scheitern ist das auf keinen Fall"

Immer wieder nehmen wir uns große sportliche Ziele für das kommende Jahr vor - und setzen sie dann doch nicht um. Sportpsychologe Sascha Leisterer erklärt, wieso. Ein Gespräch über Fitnessstudio-Anmeldungen, falsche Ziele und Alltagsbewegung.

rbb|24: Herr Leisterer, haben Sie sich sportliche Ziele für 2024 gesteckt?

Sascha Leisterer: Das ist tatsächlich eine gute Frage. Ich würde schonmal sagen, dass ich grundsätzlich sportlich affin bin und viele sportliche Ziele habe, die ich weiterverfolgen will. Aber eins habe ich mir 2024 vorgenommen: die Alltagsbewegung ein bisschen stärker in den Vordergrund zu rücken. Mal vom Schreibtisch aufstehen, auch mal die Treppe statt des Aufzugs nehmen – solche Sachen als kleine Bewegungsaufgaben im Alltag.

Zur Person

Warum ist der Jahreswechsel der Zeitraum, in dem sich so viele Menschen beispielsweise sportliche Vorsätze überlegen?

Ich denke, es hängt damit zusammen, dass man den Abschluss des einen Jahres hat und dann ein neues Kapitel öffnet. Das ist ein guter Punkt, um einen Wechsel zu begehen, sich neue Ziele zu setzen und zu überlegen, wie ich einen bestimmten zeitlichen Abschnitt meines Lebens gestalten möchte. Hierfür ist der Jahreswechsel eine Art Symbol geworden. Wenn wir motivationspsychologisch sprechen, ist es ein ganz guter Punkt, zu überlegen: Wann beginne ich denn beispielsweise mit einem Vorsatz oder einer Verhaltensveränderung? Es ist ein allgemeines Datum, an das man sich halten kann und bei dem man sich integriert fühlt, da es auch andere so machen.

Eine Umfrage von 2022 ergab, dass nur jeder fünfte Deutsche sich nach nur drei Wochen im damals neuen Jahr noch an seine Neujahresvorsätze gehalten hatte. Überrascht Sie diese Quote? Und wieso, glauben Sie, ist das so?

Mich überrascht diese Quote überhaupt nicht. Wir wissen aus Studien zu Verhaltenssteuerung und -veränderung, dass drei Wochen eine Art "magische" Grenze ist. Wir brauchen in der Regel drei Wochen, um Routinen aufzubauen. Wenn das nicht geglückt ist, kommt dieses Phänomen, dass man gar nicht mehr weiß, was man sich vor drei Wochen eigentlich vorgenommen hatte. Wenn man das nach drei Wochen allerdings noch weiß, hat man gute Chancen, Routinen in Gewohnheiten umzuwandeln - dass man gar nicht mehr darüber nachdenken muss, die Routine durchzuführen, sondern sehr unbewusst seinem Vorsatz folgen kann. Das braucht allerdings ungefähr weitere vier Wochen - nach sieben bis neun Wochen kann man davon sprechen, eine Gewohnheit entwickelt zu haben.

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Mehr als zwei Drittel der Deutschen hatten hingegen von vornherein keine Vorsätze (69 Prozent), besonders die Befragten über 55 Jahren nicht (80 Prozent). Wird man im Alter träger oder schlicht realistischer?

Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Selbstverständlich kann man sich vorstellen, dass man im Alter träger wird. Ganz viele berichten davon, sich nichts mehr beweisen und Ziele setzen zu müssen. Wenn man das als Trägheit verstehen will, kann man das so benennen. Ich würde eher sagen, es ist ein eher realistischer Blick auf die Dinge. Man muss sich nicht auf einen Marathon vorbereiten, nur weil alle anderen es tun, sondern geht entspannter an die Sache heran.

Sehen Sie in unerfüllten oder abgebrochenen Neujahresvorsätzen zwangsläufig ein Scheitern oder kann man dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen?

Nein, ein Scheitern ist das auf keinen Fall. Ich denke, etwas Positives kann man daraus auf jeden Fall ziehen, wenn man sich die Zeit zum Reflektieren nimmt: Was habe ich mir eigentlich vorgenommen? Hat mir das eigentlich irgendeine Freude bereitet? Hatte ich ein explizites Ziel, also konnte ich auf etwas konkretes hinarbeiten? Oder lag es womöglich an äußeren Umständen. In der Sportpsychologie sprechen wir hier von Handlungs- oder Umweltkontrolle: Ich nehme mir beispielsweise vor, mehr joggen zu gehen, dann ist das Wetter allerdings kalt und regnerisch und ich möchte doch nicht vor die Tür. Wie gehe ich damit eigentlich um? Wie löse ich das Problem? Kaufe ich mir neue Regenklamotten oder nutzte ich eher ein Laufband, wenn es mir zur Verfügung steht? Das sind alles Dinge, die ich reflektieren kann, woran es denn gescheitert ist.

Statistiken zeigen, dass die deutschen Fitnessstudios im Januar und Februar einen Anstieg der Neuanmeldungen um ca. 30 Prozent verzeichnen, im Vergleich zu den restlichen Monaten des Jahres. Diese locken zu Jahresbeginn oft mit besonderen Angeboten. Inwiefern spielt auch externer Druck eine Rolle bei Neujahresvorsätzen?

Ob das wirklich schon Druck ist, ist nochmal eine andere Frage. Ich glaube allerdings, dass das eine gute Möglichkeit ist, anzufangen. Die Fitnessstudios oder kommerzielle Sportanbieter folgen damit der Gesellschaft. Wir hatten es ja eingangs, dass Neujahrsvorsätze aufgrund des Datums immer auf eine große Masse an Personen treffen, die etwas an ihrem Bewegungsverhalten verändern wollen. Ich denke, das ist dann nur eine Reaktion auf Angebot und Nutzen.

Dass ich nach drei oder sechs Wochen gar nicht mehr wirklich aktiv im Fitnessstudio bin, liegt eher daran, dass ich mir selbst als Person gar kein konkretes Ziel gesetzt habe. Warum soll ich denn in dieses Fitnessstudio gehen? Dinge wie die "Weihnachtspfunde" loszuwerden, ist vielleicht nicht konkret genug für individuelle Personen. Man müsste sich eher überlegen: Was soll den eigentlich "weg"? Fühle ich mich unwohl? Möchte ich mich besser fühlen? Woran mache ich das fest? Und mit welchen Bewegungen im Fitnessstudio kann ich da entgegenwirken?

Ich glaube, die Nutzung einer Fitnessstudio-Mitgliedschaft bringt für eine Person nichts, die sich nicht gerne in Fitnesskursen bewegt oder Geräte benutzt, aber viel lieber mit Freunden Fußballspielen geht oder eine Wanderung unternimmt.

Steckt hinter sportlichen Neujahresvorsätzen womöglich eine grundsätzlich falsche Auffassung von Sport? Wie sollten wir Bewegung in unseren Alltag integrieren und sind dahingehend auch Schulen und weitere Institutionen gefragt?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich denke, dass wir hier ein Umdenken in der Gesellschaft brauchen und uns von klein auf überlegen sollten: Ganz entscheidend ist die Freude an der Bewegung. Natürlich ist es im Alltag viel leichter, den Aufzug anstatt der Treppen zu nehmen. Genauso ist es einfacher, sich vor ein Computerspiel zu setzen und ein bisschen zu zocken, dafür aber nicht auf den Bolzplatz zu gehen. Die Frage ist, wie wir mehr Freude und eine intrinsische Motivation, also eine, die aus uns herauskommt, entwickeln. Da können Schulen einen großen Beitrag leisten, uns zu einer sportlichen Teilhabe zu berechtigen und uns dazu zu bringen, zu überlegen, welcher Sport einem gut tut und wie man sportliche Aktivität so ändern kann, dass sie zu einem passt – dass ich Ziele für mich entdecke und kontrollieren kann, den Sport zu machen, der zur Witterung passt und bei dem ich Zeit mit Freunden verbringe.

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Was würden Sie empfehlen, um sportliche Neujahresvorsätze tatsächlich einzuhalten? Was kann helfen?

Ich würde dafür drei Punkte empfehlen. Das Erste ist, sich selbst zu fragen: Was macht mir eigentlich Spaß? Was finde ich gut? Da kann ich den Anfang des Jahres nutzen, verschiedene Sportarten auszuprobieren. Die zweite Sache wäre, zu überlegen: Was könnte in dieser Bewegung oder diesem Sport ein Ziel sein? Vielleicht kann ich mir ein konkretes Ziel setzen. Dafür kann man auch die "SMART-Methode" verwenden – ein Ziel spezifisch, messbar, attraktiv, regelmäßig gestalten und auch das Timing gut zu wählen, also beispielsweise den Berlin-Marathon für meinen ersten Marathon zu wählen. Dann habe ich ein konkretes Datum, an dem ich mich orientieren kann. Diese SMART-Technik hat sich in der Praxis erprobt und kann dahinführen, das Ziel zu erreichen, das mir Spaß macht.

Die dritte Phase wäre dann, sich bestimmte Kontrollstrategien dafür zu überlegen, diese Ziele auch wirklich zu erreichen. Das geht sehr mit "Wenn dann"-Sätzen. Beispielsweise kann ich davon ausgehen, bei regnerischem Wetter nicht allzu viel Lust habe, draußen joggen zu gehen. Wenn ich also keinen Spaß daran habe, dann wechsle ich aufs Laufbahn oder dann mache ich eine Schwimmeinheit. Das hilft uns, Ziele langfristig zu verfolgen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Marc Schwitzky, rbb Sport.

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