ÖPNV-Experiment - Templin zeigt mit 44-Euro-Jahreskarte, wie günstiger Stadtverkehr geht

Fr 12.08.22 | 07:52 Uhr
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Ein VBB-Bus Richtung Templin fährt eine Allee entlang.(Quelle:dpa/P.Pleul)
Audio: Antenne Brandenburg | 11.08.2022 | Detlef Tabbert | Bild: dpa/P.Pleul

Von wegen 365-Euro-Ticket: Vor 25 Jahren wurden in Templin die Busfahrten kostenlos, inzwischen kostet eine Jahreskarte nur 44 Euro. Ein Beispiel für andere Städte, sagt der Templiner Bürgermeister. Doch umsonst ist das nicht.

Während deutschlandweit über ein Nachfolgeangebot für das 9-Euro-Ticket diskutiert wird, zeigt eine brandenburgische Stadt, wie es anders geht. Schon vor 25 Jahren wurde in Templin (Uckermark) der öffentliche Personennahverkehr für einige Jahre umsonst, aktuell kann man dort für 44 Euro im Jahr Bus fahren. Die Zahl der Fahrgäste hat sich seit 1997 nach Angaben der Stadt mehr als verfünffacht.

"Ein Erfolgsmodell hat sich durchgesetzt", sagte der Bürgermeister von Templin, Detlef Tabbert (Die Linke) dem rbb. Der PKW-Verkehr sei weniger geworden, dadurch habe sich die Lärmbelastung für die Anwohner auch reduziert. Die Verkehrssicherheit sei jetzt höher, so der Bürgermeister. Es gehe aber auch darum, dass ältere Menschen das System benutzen und an der Gesellschaft teilhaben.

Mehr als 200.000 Fahrgäste pro Jahr

"Für 44 Euro kann ich 365 Tage im Jahr fahren, umgerechnet ca. ein '4-Euro-Ticket' im Monat", so der Bürgermeister. Das ist der Preis einer Kurkarte, mit der Bewohner der Stadt und der 15 Ortsteile fahrscheinfrei Bus fahren können. Seit 2020 muss man für die Ortsteile keinen Aufpreis mehr zahlen. "Dieses System ist sehr bürokratiearm und einfach zu handhaben", sagte Tabbert. Die Haltezeiten an den Haltestellen seien dadurch geringer, da die Fahrer nicht ständig Kleingeld ausgeben müssten.

In der uckermärkischen Stadt wurden im Jahr 1997 ca. 41.000 Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr gezählt. Ein Jahr danach, nachdem das System gratis wurde, waren es nach Angaben der Stadt etwa 350.000 Passagiere – achtmal so viele. Die Zahlen stiegen weiter rasant, bis 2003 die Stadt die Busfahrten wieder kostenpflichtig machte – wenn auch sehr günstig. Seitdem zählt man in der 16.000-Einwohner-Stadt mehr als 200.000 Passagiere pro Jahr.

130.000 Euro jährliche Kosten für die Stadt

Das günstige ÖPNV-System hat jedoch einen Preis: Zur Finanzierung des Projektes stellt die Stadt Templin derzeit jährlich 130.000 Euro aus dem kommunalen Haushalt zur Verfügung. Das Templiner Experiment sei laut Tabbert ein "bewährtes Konzept" und diene als Beispiel für andere Städte in Deutschland. Am besten sei jedoch ein bundesweites System als Nachfolger des 9-Euro-Tickets. "Preiswerte Fahrscheine für alle, um den ÖPNV attraktiver zu machen", fasste er zusammen.

Und das Templiner Experiment soll weitergehen: In den kommenden Jahren wolle man den Busverkehr weiterentwickeln, so der Bürgermeister der Stadt. "Erste Aufgabe wäre es, die Busse auf umweltfreundliche Technik umzurüsten, entweder Wasserstoff oder batteriegetrieben“, sagte Tabbert. Dazu wolle man das Streckennetz optimieren und in den Abendstunden weiterfahren. Es gehe auch darum, die Ortsteile weiterhin "erfolgreich" einzubeziehen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 11.08.2022, 9:30 Uhr

Mit Material von Sabinne Kramm

48 Kommentare

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  1. 48.

    Wieder etwas gelernt: 2019 gab es anders als 2022 keine Ferien.
    Ich habe wg methodischer Schwäche den Straßenverkehr übrigens anders als Sie nicht erwähnt.

  2. 47.

    "Die Benutzer sollen das bezahlen, was sie verursachen." - na denn wäre für 90% der Bevölkurng das Autofahren endlich wieder unbezahlbar.

  3. 46.

    Wenn Sie schon das Statistischen Bundesamtes für ihren "Tex"t bemühen, dann sollten Sie wenigsten richtig zitieren.

    "Pressemitteilung Nr. 339 vom 11. August 2022:

    # Seit Einführung des 9-Euro-Tickets weiterhin deutlich mehr Reisen im Eisenbahnverkehr ab 30 Kilometern im Vergleich zu 2019
    # Zunahme der Reisen im Eisenbahnverkehr besonders in ländlichen Gebieten mit hohem Tourismusaufkommen
    # Reisen im Straßenverkehr ab 30 Kilometern im Juni und Juli bundesweit auf dem Vorkrisenniveau von 2019 "

    Der Tagespiegel und offenbar Sie auch vergassen zu erwähnen das Pendler seit jeher in den Ferienzeiten öfters mit Ausflüglern im selben Zug (egal ob in der Regionalbahn oder im ICE) sitzen oder je nachdem stehen.

  4. 45.

    Während sich hier einem linker Bürgermeister vom RBB für 1.000 verkaufte Jahreskarten kräftig auf die Schulter geklopft wird, ist es beim 9€-Euro-Ticket doch etwas komplizierter. Die Infrastruktur wurde damit in der Tat durch Spaßfahrten wie damals in Templin auch der kostenlose Busverkehr überlastet. Der RBB hat zum Start des 9€-Ticket breit über die Situation in den Zügen der DB gen Ostsee berichtet. Es waren jedoch die kleinen Verkehrsverbünde, die für den Webfehler mit der bundesweiten Gültigkeit gedrängt hatten. Nicht jeder hat das Glück, in Gebiet des größten deutschen Verkehrsverbundes zu leben und zu arbeiten, der in etwas so groß wie Belgien ist.

  5. 44.

    Busse und Bahnen haben nen festen Fahrplan, egal wie viele drin sitzen. Zu Hochzeiten wird da ggf. aufgestockt (Ferien o.ä.), aber so oder so fahren sie!
    Also ist es doch super, wenn viele das Angebot nutzen, egal ob das unter anderen Umständen auch so gewesen wäre.
    Man, du bist wohl lange nicht mehr ÖPNV gefahren....

  6. 43.

    1000 verkaufte Kurkarten, ca. 10 % bis 20 % Umsteiger vom PKW, als das Angebot noch nichts gekostet hatte und über 500.000 Fahrgäste gezählt worden sind.
    Quelle: Manager Magazin vom 14.02.2018 unter dem Titel
    "Aufschlussreiches Experiment in Brandenburg
    Das passiert, wenn Busfahren plötzlich kostenlos ist"

  7. 42.

    Lustig, Oma Merkel , die Autokanzlerin, wohnt dann im Alter gern in einer linksregierten Stadt mit kostenlosen ÖPNV.

  8. 41.

    Studien haben ergeben, dass daran gar nichts Umweltbewusstes ist. Im Gegenteil, die Verschwendungskultur generiert zusätzliche Fahrten, die so nie gemacht worden wären (das kann ich sogar bei mir selbst und aus meinem Umfeld bestätigen) zu vorher, während der Individualverkehr praktisch nicht weniger wird. Das 9 Euro Tiket ist grüne und linke Ideologie zu Lasten der Umwelt, weil es schlicht nicht so funktioniert wie angedacht. So ergeht es auch so gut wie allen anderen roten und grünen Themen. Ganz Deutschland gurkt für 9 Euro sinnlos durch die Republik.
    Und wie oft der rbb hier mit Beiträgen das Thema am kochen hält ist schon auffällig.
    Die Benutzer sollen das bezahlen, was sie verursachen.

  9. 40.

    >"...eine Verkehrswende im eigentlichen Sinne..."
    wäre, wenn niemand mehr fahren müsste nur wegen Arbeit z.B. Möglichst dicht bei den Arbeitsstellen leben, Einkaufs- und Kultureinrichtungen in einem Center auf einem Platz, Ärzte kompakt in einem Haus... hatten wir alles schon mal, bevor die Zersiedelung einsetzte und jeder für sich mindestens 100qm Wohnfläche beanspruchte. Seit dem sich alles soweit auseinandergezogen hat, sind alle nur noch in Bewegung. Diesen Verkehr heute bekommen wir nicht mehr in den Griff. Wir können nur noch bissl dran rumdoktorn.

  10. 39.

    "Dafür wendet sie zusätzliches Steuergeld auf, statt es die Fahrgäste zahlen zu lassen"

    200.000 Fahrgäste x 44,- Euro macht schlappe 8,8 Millionen. Und die 130.000 "Steuergeld" kommen woher?
    Richtig! Fahrgäste und Steuerzahler sind identisch!

  11. 38.

    Ein bundesweiter unentgeltlicher ÖPNV wird 1. unterm Strich die effizienteste Verkehrswende sein und 2. immer die maximalste Nachfrage bewirken, dem das Angeot dient sowie 3. eine Infrastruktur erzeugen auf dem der SPFV gedeihen kann.

  12. 37.

    Sagen wir mal so: Templin hatte "im Jahr 1997 ca. 41.000 Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr" - das wären dann drei Fahrten pro Jahr pro Einwohner gewesen. Insofern hat sich da doch schon einiges getan. Und wenn Opa jetzt nicht mehr nach Gehör Oma zum Friseur fährt, ist doch auch schon einiges gewonnen. ;-)

  13. 36.

    Und wenn man das Weniger Autoverkehr nicht quantifiziert, dann besteht der Verdacht das es frei erfunden ist. Es ist auch kein Geheimnis, dass in Städten ÖPNV nicht für jedes „weiße Kleidchen“ zu jeder Tageszeit gemacht ist...
    Guter Nahverkehr muss was wert sein, sonst ist es so, dass das was nichts kostet auch nicht geachtet wird.

  14. 34.

    Die Realität der Zahlen dürfte ungefähr so sein: Die Oma, die einmal im Monat zum Friseur nach Templin reinfährt, nutzt jetzt den Bus und lässt sich nicht mehr von Opa mit dem Auto rein fahren. Alleine die geringe Anzahl deutet klar darauf hin, dass die Umstiege reine Gelegenheitsfahrten sind. Wenn den Templinern diese Verbesserung den Zuschuss wert ist, dann ist das super. Aber eine Verkehrswende im eigentlichen Sinne ist das nicht.

  15. 33.

    "Fahrrad relativiert gefühlsmäßig die Nutzung des Autos" das heißt, Ihr Fahrrad beseitigt die Schäden, die Sie der Umwelt mit dem Auto zufügen??? Besserwisser -Logik????

  16. 32.

    "Nun stellt Euch mal vor, alle Städte würden das kopieren" das stelle ich mir in Berlin lieber nicht vor, ÖPNV nur mit Bussen!!

  17. 31.

    Ich finde es generell schwierig, solche Einzelbeispiele zu verallgemeinern. Was die Stadt Templin sehr erfolgreich praktiziert, ist es, die Innenstadt von individuellem Gelegenheitsverkehr zu entlasten. Dafür wendet sie zusätzliches Steuergeld auf, statt es die Fahrgäste zahlen zu lassen, um die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern. Fakt ist aber auch, dass dies nicht den gesamten Individualverkehr reduziert. Die meisten Angestellten in den diversen Firmen am Stadtrand fahren auch weiterhin mit dem Auto da hin, insbesondere wenn sie von außerhalb kommen. Da die Betriebe nicht in der Innenstadt liegen, ist der Effekt in Templin durch die Entlastung des Gelegenheitsverkehrs natürlich besonders hoch. In Berlin, mit seinem hohen Büroanteil innerhalb des Rings sieht das schon anders aus. Da ist nicht der Preis entscheidend sondern die Wegezeit, die Verfügbarkeit und die Flexibilität. Der ÖPNV ist jetzt schon deutlich billiger, als das eigene Auto.

  18. 30.

    Fairerweise muss ich noch abgrenzend klarstellen, dass ich innerhalb des S-Bahnrings wohne und sich meine Aussagen überwiegend auf diesen Bereich des ÖPNV beziehen.

  19. 29.

    Sie fahren hier nicht mit dem ÖPNV - und das ist auch gut. Voll genug ist der eh schon zumindest im Berufsverkehr.

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