Freisprüche im Potsdamer Polizisten-Prozess - "Im Zweifel für die Angeklagten"

Di 29.11.22 | 21:26 Uhr | Von Lisa Steger
Potsdamer Polizisten-Prozess (Quelle: rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 29.11.2022 | Lisa Steger | Bild: rbb

Das Amtsgericht Potsdam hat zwei Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen. Klar sei: Eine Tat habe es gegeben. Jedoch sei unklar geblieben, wer der beiden Polizeibeamten sie begangen habe. Von Lisa Steger

Die Richterin sah es als erwiesen an, dass einer der beiden Beamten einem Mann, der am Boden lag, einen Tritt gegen den Kopf versetzt hatte. "Es ist aber unklar, wer die Handlung ausgeführt hat", betonte sie. Die Angeklagten haten im Prozess geschwiegen. Und die Augenzeugen hätten widersprüchliche Angaben gemacht, sagte die Richterin am Dienstag im Amtsgericht Potsdam.

Der Staatsanwalt hingegen hatte die Körperverletzung im Amt als bewiesen angesehen und für die Angeklagten eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen beantragt: 2.200 Euro für den 43-jährigen Angeklagten und 1.600 Euro für den 34-Jährigen, weil dieser weniger verdient. Der Anwalt des Opfers hatte eine Haftstrafe - mit oder ohne Bewährung - gefordert.

Tatort Potsdam-Babelsberg

Der Vorfall liegt bereits viereinhalb Jahre zurück: Bereits sechs Verhandlungstermine hatte es gegeben, ohne dass ein Urteil zustande gekommen war. Mal war ein Sachverständiger nicht geladen worden, dann ein Zeuge nicht erschienen. Ein früher Amtsrichter musste wegen Befangenheit abgelöst werden. Das Verfahren war geplatzt und musste von vorn beginnen.

Angeklagt ist eine Tat am Rande eines Fußballspiels in Potsdam-Babelsberg. Dort waren die beiden Polizisten im Mai 2018 im Einsatz. Ihr Auftrag: zu verhindern, dass gegnerische Fans aufeinandertreffen.

Sie hielten einen Autofahrer an. Doch der heute 45-Jährige wollte sich nicht ausweisen, nicht aussteigen und beschimpfte die Polizisten als, so wörtlich, "Kanacken" beziehungsweise "Kanackenschweine", wie die Anklage festhält.

Wer hat getreten?

Daraufhin - so am Dienstag die Richterin - "drohten die Angeklagten mit unmittelbarem Zwang". Sie sprühten Pfefferspray ins Auto, zerrten den Fahrer hinaus und brachten ihn zu Boden. "Die Maßnahme war zu diesem Zeitpunkt auch verhältnismäßig", so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Es sei nicht einfach gewesen, den 1,90 Meter großen und sehr schweren Mann aus dem Auto zu bekommen, "es ist kein Freundschaftsakt, man muss Kraft aufwenden."

Dann jedoch trat einer der Beamten dem bereits auf dem Asphalt liegenden Autofahrer gegen den Kopf, so die Richterin. Ein Tritt sei sicher; dass es mehrere gegeben habe, sei nicht bewiesen worden. Zweifellos war das eine Körperverletzung, so das Urteil. Doch die Beweisaufnahme habe nicht erwiesen, wer der beiden getreten habe. Daher gelte der Grundsatz: Im Zweifel für die Angeklagten.

Hans-Jörg Arlt, der Verteidiger des Polizisten aus Herzberg, sieht sich seinen Worten zufolge bestätigt. Er hatte auf Freispruch plädiert, seiner Ansicht nach sei nicht einmal der eine Tritt bewiesen, sagte er. Die Verletzungen des Opfers könnten auch vom Sturz des großen Mannes auf den Asphalt rühren, sagte der Anwalt.

Anwalt des Opfers denkt über Berufung nach

Der Autofahrer, der getreten wurde, erlitt Gesichtsverletzungen: einen Bruch der Augenhöhle und eine Fraktur des Jochbeins. Er musste im Krankenhaus ambulant behandelt werden. Auch gegen ihn wurde nach der Eskalation in Babelsberg zeitweise ermittelt, nämlich wegen der rassistischen Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, weil gegen den Mann bereits mehrere weitere Ermittlungsverfahren anhängig waren und eine Strafe wegen Beleidigung nicht mehr ins Gewicht gefallen wäre.

Der heute 45-Jährige wurde in den letzten zwanzig Jahren neunmal verurteilt, wie im Gericht bekannt wurde. Zumeist wegen Körperverletzung, aber auch wegen Bedrohung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs. Zurzeit sitzt er wieder im Gefängnis. Aus dem offenen Vollzug besuchte er den Prozess. Sein Anwalt Norman Lenz, der eine Haftstrafe für die Polizisten gefordert hatte, hält das Verhalten der Beamten seinen Worten zufolge dennoch für überzogen. Er spricht von einer "schikanösen polizeiliche Maßnahme, um sich an meinem Mandanten zu rächen". Dieser habe das Recht gehabt, im Auto sitzen zu bleiben. "Brüche im Gesicht, das war mit Sicherheit nicht nötig, um die Personalien festzustellen", sagt Norman Lenz.

Gegen das Urteil können beide Seiten vor dem Landgericht Potsdam in Berufung gehen. Der Anwalt des Opfers erwägt das, wie er sagt.

Sendung: Antenne Brandenburg, 29.11.2022, 17 Uhr

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