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Video: rbb24 Abendschau | 13.10.2022 | Boris Hermel | Quelle: dpa/P. Pleul

Berliner Stadtwerke trotzen der Krise

Gegen den Strom

Die Preissteigerungen bei Gas und Strom bringen viele Energieversorger in Existenznot. Anders die Berliner Stadtwerke: Sie machen in diesem Jahr erstmals Gewinn. Wohin aber geht dieses Plus? Und lässt sich vielleicht damit der Strompreis deckeln? Von Jan Menzel

Schwarz glänzen die Solar-Panele in langen Reihen in der Herbstsonne. Die neue Anlage auf dem Dach des Finanzamts Tempelhof besteht aus 162 Modulen. Im Frühjahr wurden sie auf dem Dach verlegt und hätten längst zum Einsatz kommen sollen, wenn da nicht die Lieferschwierigkeiten wären. "Wir erwarten das notwendige Schutz-Relais noch diesen Monat", ist Bauleiter Michael Bolle von den Berliner Stadtwerken optimistisch. Das Finanzamt Tempelhof könnte dann endlich Öko-Strom produzieren.

Michael Bolle, Bauleiter Berliner Stadtwerke | Quelle: rbb/Jan Menzel

Michael Bolle ist einer von fünf Bauleitern, die bei den Stadtwerken die Solaranlagen auf Berlins Dächer bringen. Mehr als 250 Anlagen hat das Landesunternehmen seit seiner Gründung vor acht Jahren verbaut. Die meisten sind auf Schulgebäuden, Behördendächern aber auch auf einer U-Bahn-Werkstatt der BVG installiert. Das einst als "Bonsai" geschmähte Stadtwerk wächst rasant und wäre wohl noch größer, wenn nicht Bauteile und Fachkräfte so knapp wären. "Wir werden zurzeit regelrecht überrannt, weil so viele nach Photovoltaik rufen", sagt Bauleiter Bolle, der seit 1991 in der Branche arbeitet.

Hohe Strom- und Gaspreise

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Eine andere Struktur und erstmals ein Gewinn

Der Run auf die Erneuerbaren schlägt sich auch unmittelbar in der Geschäftsentwicklung der Stadtwerke nieder. Noch im vergangenen Jahr schrieb das Unternehmen rote Zahlen. Ein Minus von 2,7 Millionen Euro stand in den Büchern. Für ein Unternehmen im Aufbau, das massiv investiert, ist das nicht ungewöhnlich, sagt Geschäftsführer Andreas Schmitz. Um so mehr freut ihn aber, was in diesem Jahr passiert ist: "Wirtschaftlich ist der Knoten geplatzt. Wir werden ein leicht positives Ergebnis erwirtschaften."

Schmitz und sein Unternehmen sind damit in einer völlig anderen Situation als viele andere Stadtwerke landauf landab. Die "klassischen" Stadtwerke in anderen Kommunen sind meist Allround-Anbieter. Sie liefern Strom und Gas, betreiben zum Teil konventionelle Kraftwerke oder sind für Trink- und Abwasser sowie Schwimmbäder zuständig. Das Berliner Stadtwerk ist dagegen ein Stromlieferant und vor allem ein Stromproduzent. "Das unterscheidet uns schon ein Stück weit von anderen", sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Schmitz.

Andreas Schmitz, Geschäftsführer Berliner Stadtwerke | Quelle: rbb/Jan Menzel

Anders als andere Stadtwerke ein Stromproduzent

Vor allem aber zahlt sich nun aus, dass das Stadtwerk von Anbeginn als Strom-Produzent konzipiert wurde. Neben den Solaranlagen auf den Dächern hat das Landesunternehmen 16 eigene Windräder im Umland von Berlin errichtet. Sie haben von Januar bis August mehr als 52.000 MWh Strom geliefert. Das sind rund 5.000 MWh mehr als die 35.000 Privat- und Gewerbekunden der Stadtwerke im gleichen Zeitraum verbraucht haben. Den "Überschuss" konnten die Stadtwerke auf dem Strommarkt verkaufen. Dort sorgen die stark gestiegenen Preise für ordentliche Erlöse.

Neben dem Geschäft mit Privat- und Geschäftskunden versorgen die Stadtwerke seit diesem Jahr auch das Land Berlin selbst zu 100 Prozent mit Ökostrom. Beliefert werden Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, die Stadtreinigung BSR und die Bäderbetriebe. Sogar die Berliner Ampeln leuchten mit Strom aus erneuerbaren Quellen. "Das sind in Summe 750 GWh, die wir an das Land Berlin liefern", berichtet Schmitz stolz. Die Strommenge entspricht dem, was 350.000 Haushalte im Jahr verbrauchen.

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Berlin ist größter Kunde seines Stadtwerks

Das Land als Kunde profitiert dabei noch von der langfristigen Einkaufsstrategie der Stadtwerke: Der Strom, der jetzt weitergeleitet wird, wurde schon im letzten und vorletzten Jahr zu den damaligen günstigen Konditionen gekauft. Im nächsten Jahr werden die Preissteigerungen aber auch das Land mit Wucht treffen. "Es wird ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen sein“, stellt Stadtwerke-Chef Schmitz in Aussicht, ohne exakte Zahlen zu nennen. Gemessen an dem, wie sich der Markt entwickelt, dürfte die Stromrechnung des Landes gut und gerne doppelt so hoch ausfallen.

Höhere Preise erwarten auch Privatkunden, die sich jetzt spontan entscheiden zu den Stadtwerken zu wechseln. Sie bekommen nicht mehr die früheren günstigen Konditionen und müssen damit rechnen, um die 49 Cent pro KWh zu zahlen. Das sind rund 20 Cent mehr als bei den Tarifen für die Bestandskunden. In der rot-grün-roten Koalition wird aber inzwischen laut darüber nachgedacht, ob nicht auch das Stadtwerk zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger beitragen kann.

SPD und Linke wollen Strompreisdeckel

Als erster hat der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg einen "Strom-Schutzschirm" für Stadtwerkskunden ins Gespräch gebracht: "Wir sollten als öffentliche Hand versuchen, mit unserem öffentlichen Unternehmen so viele Leute wie möglich zu schützen." Aus rechtlichen Gründen hält Schlüsselburg dies aber nur bei Bestandskunden und nicht bei Neukunden für möglich. Der SPD-Wirtschaftspolitiker Jörg Stroedter unterstützt die Idee: "Dafür haben wir doch die Stadtwerke als öffentliches Unternehmen." Er fordert zudem eine Marketingkampagne, damit mehr Menschen Kunden des Stadtwerks werden und dort von günstigeren Tarifen profitieren können.

Trotz dieser Erwartungen aus den Reihen der Koalition, reagiert Stadtwerke-Geschäftsführer Andreas Schmitz an dieser Stelle zurückhaltend. Er rechnet in diesem Jahr mit einem "niedrigen einstelligen Millionenbetrag", der als Gewinn übrig bleibt, keinesfalls also mit überbordenden Überschüssen. Vor allem will Schmitz die Berliner Stadtwerke auf Kurs halten: "Wir wollen nach wie vor massiv investieren." Der Plan sieht mehr als 250 Millionen Euro in den nächsten Jahren für den Ausbau der Erneuerbaren Energien vor.

Ganz oben auf der Stadtwerksliste steht der großflächige Ausbau von Photovoltaik, so wie auf dem Dach des Finanzamts Tempelhof. Je nachdem, wie sich die Standortsuche gestaltet und wie zügig Genehmigungsverfahren abgeschlossen werden, sollen so bald wie möglich acht bis neun Windräder dazukommen. Erstmals seit Jahren denken die Stadtwerke nicht nur darüber nach, Windräder in Brandenburg, sondern auch auf geeigneten Flächen im Berliner Stadtgebiet zu errichten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.10.2022, 09:05 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

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