Interview | Regisseur Lutz Pehnert über "Bettina" - "Sie war keine Protestsängerin - sie wollte Liebeslieder singen"

Do 19.05.22 | 14:05 Uhr
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Bettina Wagner Filmstill
Audio: Radioeins | 18.05.2022 | Interview mit Lutz Pehnert | Bild: Berlinale

Die Liedermacherin Bettina Wegner kennen viele vor allem wegen der Zeilen "Sind so kleine Hände" aus dem Lied "Kinder". Lutz Pehnerts neue Doku "Bettina" zeigt, dass sie viel mehr ist. Im Interview erzählt Pehnert, was ihn an ihr beeindruckt.

rbb: Herr Pehnert, Bettina Wegner wurde 1947 in West-Berlin geboren. Die Eltern waren überzeugte Kommunisten und gingen mit ihr, als die DDR gegründet wurde, rüber nach Ost-Berlin. Was bedeutet Ihnen Bettina, warum wollten Sie diese Frau porträtieren?

Lutz Pehnert: Ich kenne sie natürlich schon sehr lange. Und komischerweise war ich zu jung, als sie in der DDR aufgetreten ist. 1978 war der ZDF-Korrespondent Dirk Sager von der Sendung "Kennzeichen D" bei ihr zu Hause in der Leipziger Straße. Da hat sie das Lied "Kinder (Sind so kleine Hände)" gespielt, und das war sozusagen der Karrierestart für dieses Lied. Kurze Zeit später hatte sie auch ihren ersten Auftritt im Künstlerhaus Bethanien. Dieses Konzert wurde eine West-Platte. Und weil alle West-Platten irgendwann auch in den Osten kamen, haben wir Bettina Wegner tatsächlich über diesen Umweg über den Westen kennengelernt.

Lutz Pehnert © radioeins/Saupe
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Lutz Pehnert wurde 1961 in Ost-Berlin geboren. Seit 1995 arbeitete er als freiberuflicher Autor und Regisseur fürs Fernsehen. Zu seinen Dokumentationen und Reportagen zählen "Geschichte Mitteldeutschlands - Mörder, Häscher und Halunken" (2001), "Karl May - der Phantast aus Sachsen" (2004) und "DDR Ahoi! Geschichten der ostdeutschen Seefahrt" (2010)).

Pehnerts Dokumentarfilm "Bettina", koproduziert vom rbb, wurde in der Panorama-Sektion der Berlinale 2022 uraufgeführt.

Die meisten kennen natürlich nur dieses Lied "Kinder", was auch ein bisschen ein Unglück ist. Deshalb hat sie es jahrelang mal nicht gesungen, weil sie immer nur darauf fixiert wurde.

Und dann, glaube ich, ist auch das Schicksal der Liedermacher, der 1980e -Jahre, dass sie irgendwann als friedensbewegt und mit einem Gutmenschentum abgestempelt wurden und etwas verpönt waren. Da ist es gut, wenn mal ein bisschen Zeit vergeht, um so eine Sängerin mit ihren Liedern wieder zu entdecken - ohne den Geruch der 1980er Jahre.

Das habe ich gemacht und fand es sehr interessant, diese Lieder nochmal zu hören und sie nicht als so olle Kamellen wahrzunehmen, sondern als etwas, was tatsächlich heute noch sehr gültig ist.

Bettina Wegner ist wie gesagt Tochter kommunistischer Eltern. Wie politisch war und ist sie eigentlich?

Erstmal zum Umzug der Eltern: Die wären gerne in West-Berlin geblieben, zumal es in West-Berlin nicht so viele Kommunisten gab. Da haben die im Osten gesagt, bleibt mal drüben, wir brauchen euch dort.

Aber der Vater hat damals für die "Berliner Zeitung" gearbeitet und da eben Ostgeld verdient - und im Westen konnte er davon nicht leben. Also musste er notgedrungen, um überhaupt leben zu können, in den Osten gehen. Es war eine wirtschaftlich-finanzielle und weniger ideologische Geschichte.

Bettina Wegner war nie in dem Sinne eine politische Sängerin oder eine Protestsängerin oder eine Oppositionelle. So ist sie nie gestartet. Sie wollte tatsächlich Liebeslieder singen. Die waren meist sehr traurig.

Dann ist sie in den 1960er Jahren in der Hootenanny-Bewegung, der Singebewegung der DDR, angekommen. Dort hat man sich getroffen und über Lieder diskutiert. Diese
Singebewegung wurde aber irgendwann von den FDJ-Funktionären so auf Kurs und auf Format gebracht, dass es nicht jedem lieb war.

Deshalb ist sie ausgestiegen und hat ihr eigenes Ding gemacht. Mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in die CSSR kam die erste große Zäsur. Da hat sie Zettel geschrieben, dass das nicht geht, und diese in Pankow verteilt. Dabei wurde sie erwischt und kam vor Gericht.

"Ich wollte einfach singen - und das ging ja nicht in der DDR"

Die Stasi hatte Bettina eine lange Zeit im Visier. Letztlich wurde sie ausgebürgert. Wie ist sie damit umgegangen?

Eigentlich wurde sie nicht ausgebürgert. Sie hatte Auftrittsverbot. Sie wurde einfach nicht mehr zu Konzerten eingeladen. Und dann bekamen viele Künstler, Schriftsteller, Liedermacher, Sänger und so weiter, um sie ruhig zu stellen, sogenannte Reisepässe. Das heißt, ab 1980 konnte Bettina Wegner im Westen auftreten. Sie konnte in der DDR in Ost-Berlin leben, hat aber West-Geld verdient. Diese Pässe waren drei Jahre gültig, und dann hat man gehofft, dass die schließlich von allein in den Westen gehen würde, aber sie ist nicht gegangen.

Und da hat man ihr sozusagen über das verdiente Geld mit den West-Platten und den Konzerten versucht, ein Devisenverfahren anzuhängen. Das heißt, sie hätte am Ende wieder in den Knast gehen müssen - aber das wollte sie nicht. Sie ist dann unfreiwillig in den Westen gegangen "worden".

Im Rahmen der Berlinale hat Bettina Wegner dem rbb-Filmkritiker Knut Elstermann gesprochen gesagt, sie finde Ihren Film "echt okay". Sie habe auch ein paar Mal sehr emotional reagiert, während sie ihn gesehen hat. Wie war und ist Ihr Kontakt mit Bettina Wegner?

Wir sind beide Raucher. Man trifft sich bei Bettina nicht nur vor der Tür, sondern auch im Wohnzimmer. Und da hat man schon mal eine Ebene, die man mit Nichtrauchern nicht hat. Sie ist ein offener, lieber Mensch, überhaupt keine Zicke. Diese ganze Zusammenarbeit war wirklich sehr angenehm und sehr erfrischend.

Ich habe so einen anständigen Menschen selten erlebt. Sie ist ja auch so kompromisslos und auch so rigoros in der Anständigkeit. Im Film haben wir diese Tonbandprotokolle von der Gerichtsverhandlung, bei der sie angeklagt wird, Hetze gegen den Staat betrieben zu haben. Wie dieses zarte Mädchen von 21 Jahren dort gegen die Staatsmacht angeht und zu ihrer Sache steht und sich da überhaupt nicht verbiegen lässt! Und das passiert eigentlich das ganze Leben hindurch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Lutz Pehnert führte Raphaela Jungbauer. Der Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 18.05.2022, 19:30 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ihr bekanntestes Lied ist - leider - seit Jahrzehnten so ewig aktuell, wie es gute Liebeslieder sind: "Grade, klare Menschen wär'n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat ham wir schon zu viel." - Aber auch zu viele mit zu starrem Rückgrat.

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