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Quelle: dpa/Jens Kalaene

Mundart in Berlin und Brandenburg

Wo Dialekte verschwinden – und neue entstehen

Die Brandenburger schnacken teilweise Platt, Berliner finden Berliner Schnauze knorke und junge Leute schwören auf Kiezdeutsch. Wo kommt unsere Sprache her und wo geht sie hin? Ein Blick in die Sprachen und Dialekte unserer Region. Von Kira Pieper

Uns Sproak mütt blievn. Das ist Niederdeutsch – auch Platt genannt – und heißt: Unsere Sprache muss erhalten bleiben. Niederdeutsch ist Regionalsprache in Brandenburg und auch die "Berliner Schnauze" hat ihren Ursprung dort. Tatsächlich gibt es in Deutschland zwei Millionen Menschen, die immer noch sehr gut Platt sprechen können. Und dennoch wird die Sprache – wie andere Sprachen und Dialekte auch – zurückgedrängt.

Schon 2008 beschäftigte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) die Frage: Können Sie den Dialekt Ihrer Region sprechen [statista.com]? 1991 bejahten das noch 55 Prozent der Befragten, 1998 waren es 50 Prozent und 2008: 48 Prozent. Der Trend ist also rückläufig. 2014 zeigte eine Umfrage der GfdS [gfds.de]: Der berlinernde Prototyp ist vor allem männlich, stammt aus dem früheren Berliner Osten und ist 45 bis 59 Jahre alt. Die jüngste befragte Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen berlinert demnach am wenigsten.

Warum Dialekte und Sprachen verschwinden

Diese Entwicklung hat mehrere Gründe. Zunächst tragen die Medien eine gewisse Mitschuld daran. In den 1920er-Jahren erhielt das Hochdeutsche dank des Radios Einzug in die deutschen Wohnstuben. Wenn man den ganzen Tag mit Hochdeutsch berieselt wird, bleibt vermutlich etwas hängen.

Ein weiteres Problem für das Überleben der Dialekte: Die zunehmende Mobilität der Menschen. Ende des 19. Jahrhunderts lebten die meisten Menschen noch auf dem Land. Für die Verständigung reichte der ortsübliche Dialekt. Dann verlagerten sich die Arbeitsplätze immer mehr Richtung Stadt, der Handel wurde ausgeprägter, ein gemeinsamer Konsens in der Sprache musste gefunden werden. Außerdem verloren nach den Weltkriegen etliche Menschen ihre Heimat. An den neuen Wohnorten wurde ebenfalls ein kleiner gemeinsamer Nenner gesucht, um die Verständigung zu erleichtern. Hochdeutsch bürgerte sich ein.

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Anfang Dezember hat der Mundart-Verein "Adbeernest e.V." (übers. Storchennest) den erstmalig verliehenen Max-Lindow-Preis erhalten. Vergeben wird dieser vom Landkreis Uckermark und der Stadt Prenzlau für die Pflege und den Erhalt der Heimatsprache.

Dialekt sprechen macht klug

Dann kommt noch der Einfluss der Erziehung hinzu: Viele Eltern bringen ihren Kindern Mundart gar nicht mehr bei. Der Grund: In den Schulen wird Hochdeutsch gesprochen. Die Kleinen sollen es dort einfach haben. Außerdem kursiert vielerorts noch das Vorurteil: Dialektsprecher seien weniger intelligent und provinziell. Ein Gerücht, das Wissenschaftler unter anderem 2016 in einer Studie der University of Cambridge widerlegten [pubmed.gov]: Mehrsprachigkeit (und dazu zählen auch Dialekte) macht schlau. Wer sich mehrerer Sprachen bedient, trainiert das Gehirn.

Auffällig ist allerdings, dass im Süden Deutschlands noch viel mehr Dialekt gesprochen wird als im Norden der Republik. Sprachwissenschaftler Peter Rosenberg von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) erklärt das auf Nachfrage von rbb|24 so: Die Dialekte in Süddeutschland seien dem Hochdeutschen sehr ähnlich. Das Niederdeutsche im Norden sei dagegen eine völlig eigenständige Sprache mit eigener Grammatik. Das "Umschalten" zum Hochdeutschen sei deswegen viel schwieriger, werde nicht so sehr praktiziert und sei deswegen aus dem Wortschatz vieler Menschen verschwunden.

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In Berlin-Brandenburg wird Regiolekt gesprochen

Durchgesetzt hat sich im Berlin-Brandenburger Raum stattdessen ein sogenannter Regiolekt. Also eine Variation, die zwischen Hochdeutsch und Dialekt liegt. "Regiolekt liegt nah am Hochdeutschen, mit leichten Abweichungen", sagt Rosenberg. Um zu erklären, wie der Regiolekt in der Region Berlin-Brandenburg zustande gekommen ist, muss Rosenberg weit ausholen. Die Kurzfassung:

Eigentlich wurde in Berlin und Brandenburg tatsächlich mal flächendeckend Platt gesprochen. "Das war die Sprache der Hanse", sagt der Wissenschaftler. Als die Hanse unterging, wurde auch die Sprache unpopulärer. Die Menschen in Berlin fanden stattdessen die Sprache in Leipzig schick und imitierten den Wortschatz von dort. In Brandenburg hielt sich währenddessen Platt länger – sogar bis heute. Nach und nach schauten sich die Brandenburger dann wiederum die Berliner Sprache ab.

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"Hast du Handy bei?"

Nun kann man bei dem in Berlin aufgeschnappten Satz "Lassma Viktoriapark gehn" oder "Hast du Handy bei?", allerdings weder von Hochdeutsch noch von Platt oder "Berliner Schnauze" sprechen. Hier entwickelt sich seit ein paar Jahren eine ganz neue Sprach-Variation: Das sogenannte Kiezdeutsch. Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese von der Berliner Humboldt-Universität forscht auf diesem Gebiet. Sie erklärt: Kiezdeutsch habe seinen Ursprung in urbanen Räumen wie Berlin. Dort, wo 170 Nationen aufeinandertreffen, seien die Menschen wieder auf der Suche nach einer gemeinsamen Sprache – und binden Sprach-Fragmente aus anderen Sprachen wie Türkisch, Arabisch und Russisch mit ein.

Heike Wiese räumt auf Nachfrage von rbb|24 mit dem weit verbreiteten Vorurteil auf, diese Sprach-Variation sei nur fehlerhaftes Deutsch. Kiezdeutsch sei als Dialekt einzustufen, denn es weise Neuerungen in Wortschatz, Aussprache und Satzbau auf, stellt die Sprachforscherin klar. Eine Ansicht, die allerdings umstritten ist. Peter Rosenberg bezeichnet Kiezdeutsch nicht als Dialekt. "Es ist eine Variation mit einer Systematik. Aber für einen Dialekt ist es nicht lokal genug."

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Was kommt auf uns zu?

Bleibt die Frage, was wir künftig in der Region Berlin-Brandenburg sprechen werden. Sprachwissenschaftler Rosenberg wagt eine Prognose: Der Regiolekt in Berlin-Brandenburg werde sich weiter ausweiten. "Schon jetzt sagen manche Rostocker, die jungen Leute würden dort reden wie in Berlin." Außerdem könnte unsere Sprache noch etwas internationaler werden, sagen die beiden Sprachwissenschaftler Wiese und Rosenberg gleichermaßen.

Heike Wiese erläutert: Durch den Konsum von Streaminganbietern und sozialen Medien würden immer mehr englichsprachige Inhalte konsumiert und die Vokabeln schafften es zunehmend in unseren Wortschatz. Zudem werde Plattdeutsch vermutlich weiter zurückgedrängt. Auch Rosenberg spricht von der Zurückdrängung des Niederdeutschen. Er denke aber nicht, dass es komplett verschwinden werde. "Nur weil neue Sprachen und Dialekte entstehen, heißt es nicht, dass andere aussterben. Die Menschen sind in der Lage, mehrere Sprach-Formen zu nutzen", sagt er.

Brandenburger kämpfen um ihr Platt

In Brandenburg kämpfen die Menschen vor allem zwischen Uckermark und Prignitz darum, dass das Niederdeutsche erhalten bleibt. Seit Juni dieses Jahres ist die Sprache sogar durch die Brandenburger Verfassung geschützt.

In Freizeit-Einrichtungen wie der "Kinnerschool" in Sewekow (Ostprignitz-Ruppin) wird Kindern von 2 bis 12 Jahren spielerisch Plattdeutsch beigebracht. Weil es die Eltern teilweise nicht mehr sprechen und somit ihren Kindern auch nicht mehr beibringen könnten, sagt Heidi Schäfer. Sie leitet die Schule seit 14 Jahren und setzt sich unermüdlich für den Fortbestand des Niederdeutschen ein.

"Wissen Sie, je mehr die Globalisierung um sich greift, desto mehr besinnen sich die Menschen auf ihre Wurzeln", sagt Schäfer. "Ich glaube deswegen fest daran: Das Niederdeutsche wird erhalten bleiben." Von sprachwissenschaftlischer Seite wird ihre These unterstützt: "Sprache ist dafür da, sich zu verständigen", sagt Peter Rosenberg. "Aber es wird eben auch genutzt, um sich zu unterscheiden."

Beitrag von Kira Pieper

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