Jobcenter muss Teilnahme an Schul-Zirkusprojekt bezahlen - Bundessozialgericht stärkt schulische Teilhabe von Kindern in Grundsicherung

Mi 08.03.23 | 17:38 Uhr
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Rossebändiger-Skulptur von Joseph Wackerle vor dem Gebäude des Bundessozialgerichts in Kassel. (Quelle: dpa)
Bild: dpa/Andreas Gillner

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat die schulische Teilhabe von Kindern aus Familien im Grundsicherungsbezug gestärkt. Konkret muss demnach das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz in Brandenburg einer Grundschülerin die Teilnahme an einem Zirkusprojekt der Schule ermöglichen. Dies sei mit einem Schulausflug vergleichbar, für den die Jobcenter aufkommen müssten. (Az: B 7 AS 9/22 R: www.bsg.bund.de)

Für eine Projektwoche hatte die Grundschule auf ihrem Gelände im Landkreis Oberspreewald-Lausitz ein Zirkuszelt aufgestellt. Wegen der so entstandenen Kosten sollte jedes Kind zehn Euro bezahlen. Den Antrag auf Kostenübernahme für die damals siebenjährige Klägerin, die 2018 mit ihrer alleinerziehenden Mutter Hartz-IV-Leistungen erhielt, lehnte das Jobcenter ab. Die Zirkusprojektwoche finde auf dem Schulgelände statt. Das Jobcenter müsse aber nur für "Schulausflüge" bezahlen, begründete damals die Behörde.

"Schulausflug" nicht gesetzlich definiert

Das BSG gab der Klage nun aber statt. "Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat in seiner Entscheidung betont, dass es sich um von der Schule organisierte und verantwortete Veranstaltungen handeln muss, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband dienen (schulische Gemeinschaftsveranstaltung), die aber gleichermaßen auch außerhalb des Schulgeländes als Schulausflug stattfinden können", teilte eine Gerichtssprecherin auf rbb|24-Nachfrage mit. Dies sei deshalb von Bedeutung, weil das Gesetz ausdrücklich nur den "Schulausflug" benenne.

Ziel der Regelung ist laut dem Urteil aber die "gleichberechtigte Teilhabe an Bildung". Jobcenter müssten daher die hierfür anfallenden "typischen Bedarfe" decken, heißt es weiter. Hier gehe es um ein "Lernen an einem anderen Ort" außerhalb der Klassenräume.

"Veranstaltung muss mit Schulausflug vergleichbar sein"

Damit sei einerseits offen, wen die Schule als "Anbieter" einkauft, teilte die Sprecherin weiter mit. Dies könne beispielsweise ein Verein oder ein kommerzieller Anbieter sein. "Die Veranstaltung muss aber einem Schulausflug vergleichbar sein, der nach dem allgemeinen Wortverständnis mit einem Ortswechsel (außerhalb des Schulgeländes) verbunden ist. Damit wird nicht jede Art von Projekt oder Projektwoche auf dem Schulgelände von der Rechtsprechung erfasst werden."

Das Kasseler Urteil erging noch zu den früheren Hartz-IV-Regelungen. Diese entsprechen hier aber denen für das Anfang 2023 eingeführte Bürgergeld.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 08.03.2023, 19:30 Uhr

55 Kommentare

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  1. 55.

    Ich habe tals Richter am Sozialgericht tagtäglich mit den wissentlich falschen Entscheidungen der Mitarbeiter der Jobcenter zutun.

    Die Rechtsprechung geht nicht davon aus, dass ein Schulausflug einen Ortswechsel beinhaltet. Es gibt genug Kommentare dazu.

    Das JC muss nach allgemeiner Rechtsauffassung auch Projekte innerhalb des Schulgeländes zahlen.

    Diese Rechtsauffassung muss den Mitarbeitern bekannt sein.

  2. 54.

    Wie sollte das auch aussehen? Das schulpflichtige Kind muss kommen – und daneben sitzen?

  3. 53.

    Dass das Jobcenter da ist und zahlt / zahlen muss, finde ich grundsätzlich sehr gut. Als Steuerzahler und damit Mitfinanzierer diese Leistungen fragt man sich mitunter schon, welche Leistungen alle erbracht werden sollen, insbesondere für arbeitsfähige Bürger. Andere gehen arbeiten, um sich bestimmte Leistungen zu leisten oder auch für die Kinder

  4. 52.

    Aus dem Artikel:
    "... Dies sei deshalb von Bedeutung, weil das Gesetz ausdrücklich nur den "Schulausflug" benenne."
    und weiter
    "Die Veranstaltung muss aber einem Schulausflug vergleichbar sein, der nach dem allgemeinen Wortverständnis mit einem Ortswechsel (außerhalb des Schulgeländes) verbunden ist. Damit wird nicht jede Art von Projekt oder Projektwoche auf dem Schulgelände von der Rechtsprechung erfasst werden."

    Wie kommen Sie zu dem Schluß, dass "... die Sachbearbeiter wissentlich falsche Entscheidungen treffen. ..."?
    Finde ich ganz schön anmaßend.

  5. 51.

    Wenn man von der Allgemeinheit schon so gut bezahlt werden will, sollte auch bereit sein jede zumutbare Arbeit anznehmen. Die arbeitsfähigkeit sollte amtsärztlich festgestellt werden. Liegt eine solche vor, sind auch einfachste Tätigkeiten zumutbar. Ist jemand nicht bereit diese zu Leisten sollten spürbare Sanktionen erfolgen Notfalls sollte das GG entsprechend geändert werden.

  6. 50.

    Die Sozialgerichte sind wegen der vielen falschen Entscheidungen der Behörden so überlastet

    Etwa 70% der Kläger bekommen Recht.

    Wieso sollte man das Jobcenter entscheiden lassen? Die vielen Verfahren beweisen, dass die Mitarbeiter das Recht nicht richtig anwenden. Oft aus Faulheit oder Vorsatz

  7. 49.

    Das das Bürgergeld wieder nicht verfassungskonform berechnet wurde, ist ja bekannt.

    Wenn man die Berechnung der Experten zugrunde legt, kommt man auf 720 Eur zzgl Strom und Miete.

    Und auch die Trennung von erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Personen muss wieder her.

  8. 48.

    Die Haftung der Behörden für Kosten verlorener Verfahren wurde vor vielen Jahren ausgesetzt

    Oft werden Behörden nicht mal von Juristen vor Gericht vertreten.

    Nun ist es ja so, dass die Sachbearbeiter wissentlich falsche Entscheidungen treffen. Sie müssen sich selbst auf dem laufenden halten. Es gibt genug Möglichkeiten, die aktuelle Rechtsprechung nachzulesen

    Jeder Sachbearbeiter ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung die aktuelle Rechtsprechung zu beachten.

  9. 47.

    Ich habe eben die Meldung gelesen und verstehe nun überhaupt nicht diese Neiddebatte hier. Die Mutter hat eben damals Hartz 4 bekommen, kann das nicht passieren? Unsere Schule hatte so ein Zirkusprojekt letztes Jahr; das würde man keinem Kind wünschen, dass es an so etwas Schönem nicht teilnehmen kann...

  10. 46.

    Leider haften die Sachbearbeiter nicht selbst, werden nicht einmal zum Gericht geladen. Die Behörde finanziert sich aus Steuermitteln, heißt, ob sie ein Verfahren gewinnt oder verliert, ist gleich, es geht zu Lasten der Allgemeinheit.

    Hm, wie könnte man all diese Unmengen an Geldern sinnvoller ausgeben? Vielleicht das sozioökonomische Existenzminimum an alle Bürgerinnen auszahlen? Man lese die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 2004 und 2010: Das sozioökonomische Existenzminimum ist ein Gewährleistungsrecht und -anspruch, Art. 1+20 GG.

    So einfach und kostengünstig könnte es gehen.
    Die Vertreterinnen des BGE haben Modelle zur Umsetzung längst vorgelegt.
    Und Schwupps, keine Gerichtsverfahren mehr nötig, keine Jobcenter, Wohngeldstellen, XY-Stellen im Sozialbereich, denn: Alles ist bereits umfasst.

  11. 45.

    Vielleicht meinten diese gar nicht sich selbst, sondern unterstellten "Arbeitsunwilligkeit" der nächsten diskriminierten Gruppe, z. B. Menschen aus Osteuropa oder von noch weiter her? Das wissen wir nicht. Und dieses Gehetze gegen Mittellose ist einfach widerlich.

    Jedem Menschen sind laut Grundgesetz und EU-Sozialpakt und EMRK gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Jobcenter-Arbeits"angebote" sind quasi sämtlich im alleruntersten Einkommensbereich, sodass Betroffene "Kunden" bleiben, denn mit diesem Erwerb müssen sie "aufstocken", also weiter arm bleiben. Völlig perspektivlos, würdelos.

    Ach ja, oft sind diese "Jobs" auch noch durch Steuermittel mitfinanziert, also Ihr und unser aller Geld, das in die JC und an die Firmen fließt, die solche "Jobs" ausnutzen, um mehr Profit zu machen.

    Denken Sie mal nach, wer hier versagt.

  12. 44.

    Ent-würdigend, was das JC da von sich gibt, und so werden Bürger:innen andauernd und ausdauernd in ihren rechten verletzt!

    "lehnte das Jobcenter ab: Die Zirkusprojektwoche finde auf dem Schulgelände statt. Das Jobcenter müsse aber nur für "Schulausflüge" bezahlen" – dafür (zumal Streitwert 10 €) verpulvern die JC die Bürgergelder (MA- und Prozesskosten, Nerven und Würde der Betroffenen, Ansehen des Staates …). Kein Wunder, dass die JC ALLJÄHRLICH EINE MILLIARDE an Gelder, die für Weiterbildungen Bezugsberechtigter bestimmt sind, in die eigene Verwaltung umschichten und damit den Berechtigten entziehen – Begründung: Die berechneten und zugeteilten Haushaltsmittel seien "nicht auskömmlich". Nachzulesen beim Bundesrechnungshof, auch: Schwarzbuch der Steuerzahler.

    H4/BG ist "nicht auskömmlich", und nun? Unfassbar!


  13. 42.

    Man sollte hier das Jobcenter entscheiden lassen. Die Eltern sollen Arbeiten gehen, um es ihren Kindern zu ermöglichen. Dass man hier für Minimalbeträge teure Gerichte einschalten darf ist eine Perversion und ein Missbrauch unseres Rechtsstaates. Die Gerichte sind nicht ohne Grund vollkommen überlastet.

  14. 41.

    Helft mir auf die Sprünge! War es nicht früher so, dass für einen Ausländer, der ein Jahr von der Öffentlichen Sozialfürsorge lebte, die Abschiebung vor der Tür stand?

  15. 40.

    Meine Eltern hätten damals das Geld gehabt, mich an Ausflügen oder Klassenfahrten teilnehmen zu lassen. Trotzdem wollten sie das nicht und das Geld lieber für sich selbst sparen, bzw. ausgeben. Zum Amt hätte ich nicht gehen können.

  16. 39.

    Wenn die Mitarbeiter nicht so viele Fehler machen würden, wären die Sozialgerichte nicht überlastet.

    Leider nimmt man die Möglichkeit der Haftung der Mitarbeiter nicht in Anspruch.

  17. 38.
    Antwort auf [Neugieriger ] vom 09.03.2023 um 07:02

    Wenn die Mitarbeiter in den Sozialbehörden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig so viele Fehler machen würden, wären die Sozialgerichte nicht überlastet. Immerhin bekommt in über 70% der Kläger Recht.

    Wenn ein Richter anders entscheidet, kann man davon ausgehen, dass der Sachbearbeiter vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Fehler gemacht hat. Dann haftet er.

    Es wäre gut, wenn die Behörden die Gerichtskosten wieder selbst zahlen müssten. Dann könnten sie abwägen.

  18. 37.

    Neiddebatte ??§§§§§ mal ehrlich schon mal was von Aufklärung gehöhrt?? Stellen sie sich die Frage; Wie kommt ein Prozess zum BSG, wenn eigentlich der § 520 ZPO dies untersagt. Beim SGG /Gerichtskosten kostet weit unter 750 ,-€ und auch unter der 200,-€ Grenze der Beschwerde Möglichkeit. Also wie kann daher das BSG eine Entscheidung fällen?????

  19. 36.

    schönes Grundgesetz ist, aber nicht der Weisheit letzter Schritt bessser sie würden auch die Verwaltungsgesetze , Zivilprozessordnung das BGB oder auch das Strafrecht uvm Rechtsvorschriften kennen, dann würden sie anders, über das Grundgesetz denken..

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