Neuruppiner XY-Bande - "Wir dachten eben: OK, uns kann keiner was."

Sa 22.04.23 | 08:06 Uhr | Von Jörn Pissowotzki
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Olaf Kamrath, der "Pate von Neuruppin" (Quelle: Olaf Kamrath)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 21.04.2023 | Franziska Tenner | Bild: Olaf Kamrath

Drogenhandel, illegales Glücksspiel – vor gut zwanzig Jahren wurde der Neuruppiner XY-Bande der Prozess gemacht. Nun erzählt ein Buch von dieser skandalträchtigen Geschichte. Jörn Pissowotzki hat den ehemaligen "Paten von Neuruppin" getroffen.

Olaf Kamrath sitzt in seinem Haus in der Nähe der Neuruppiner Stadtmauer, ein sportlicher Mitfünfziger und die zentrale Figur der sogenannten XY-Bande. Mitte der Neunzigerjahre gegründet, betrieb sie unter anderem organisierten Drogenhandel, Bestechung, illegales Glücksspiel. Als die Gruppe 2004 aufflog, hatte die brandenburgische Stadt Neuruppin einen handfesten Skandal. Die Geschichte über den "Paten von Neuruppin" ging durch die Presse.

Weder der Name der Gruppe, noch sein Titel "Pate von Neuruppin" stammten von den damals jungen Bandenmitgliedern, stellt Kamrath heute klar: "Ich habe mich ja nie selber so genannt: Tachchen, ich bin der Pate von Neuruppin. Tachchen, wir sind die XY-Bande – das haben wir nie gesagt. Diese Namen haben wir bekommen." Benannt war die Gang, deren harter Kern aus vier bis fünf Leuten bestand, nach den Buchstaben "XY" in ihren Autokennzeichen.

"Ein Herz für Außenseiter"

Der Berliner Autor Frank Willmann hat die Geschichte der Kriminellen aufgeschrieben. Er hatte von einem Neuruppiner Fußball-Kumpel von den damaligen Ereignissen erfahren. Frank Willmann traf sich mit Olaf Kamrath und sein Interesse war geweckt: "Ich hab so ein bisschen ein Herz für Außenseiter. Gestörte Leute, die ein bisschen neben dem Strich laufen, und habe mich deshalb schon mit diversen Subkulturen der DDR beschäftigt: Punkrock, Fußball-Hooligans, Fußball."

Grundlage seines Buches "Der Pate von Neuruppin: Vom Imbisswagen zum Drogenimperium" sind lange Interviews, die Frank Willmann mit den Gangmitgliedern geführt hat.

"Es gab viele Punkte, wo man gesagt hat: OK, die sind damals nicht so richtig rübergekommen. Die kommen jetzt im Buch richtig rüber", erklärt Kamrath seine Bereitschaft, bei dem Projekt mitzumachen. "So wie es war, was auch der Wahrheit entspricht."

Eine Wendegeschichte

Olaf Kamrath und seine früheren Mitstreiter berichten chronologisch von den Ereignissen. Der Autor lässt sie mit ihrem Heranwachsen in der DDR-Kleinstadt Neuruppin beginnen. Es geht um die großen Veränderungen in den Wendejahren in Ostdeutschland. Damals, als die DDR zusammenbrach, waren die Männer 18 oder 19 Jahre alt. Viele ihrer Eltern waren arbeitslos, sie selbst wussten noch nicht, wohin ihr Weg führt: "Es gab die große Ansage von Kohl über die blühenden Landschaften. Aber, dass das mit Mühen zu tun hat, und dass man dazu eigentlich auch Geld braucht, das hat ihnen Kohl nicht erzählt, und das war für viele Ossis schwierig." Die Neuruppiner Gang habe zunächst legal versucht, sich eine Existenz aufzubauen, etwa mit einer Imbissbude.

Vom Imbiss zum Bordellbesitzer

"Wir waren Freunde und haben uns zusammengefunden und Geschäfte zusammen gemacht: erst legale Geschäfte, später dann illegale Geschäfte", fasst es Olaf Kamrath zusammen.

Im Gespräch wird schnell klar, wie wichtig ihm Familie und Freunde sind. Die "Freunde fürs Leben", wie er sagt. Heute ist ihm auch klar: "Die Straftaten hätte man komplett weglassen müssen, gerade die Drogen."

Die Freunde, aus denen dann die Bande wurde, verdienten Geld mit Spielautomaten, sie eröffneten eine Disco, auch Bordelle. Damit ließ sich in den 90ern viel Geld verdienen. Irgendwann stiegen sie auch in den Drogenhandel ein - mit Kokain, Marihuana und Ecstasy-Pillen. Sie belieferten größere Dealer in Berlin – und machten aus ihrer Sicht endlich das große Geld. Sie hätten die Neunzigerjahre ein bisschen wie einen "rechtsfreien Raum" verstanden, erinnert sich Kamrath.

Und Frank Willmann ergänzt: "Sie haben sich für unantastbar gehalten, weil es einfach so viele Jahre gut gegangen ist. Sie hatten Leute in der Stadt, die sie geschmiert haben." Oder mit Olaf Kamraths Worten: "Wir haben uns sicher gefühlt. Wir dachten eben: OK, uns kann keiner was." Denn die Bande hatte gute Verbindungen ins Neuruppiner Rathaus, genauer gesagt ins Amt für Liegenschaften sowie ins Ordnungsamt, und zur Polizei.

Doch die Männer der Neuruppiner Gang fielen in der Stadt auf: durch ihre Autos, ihre schwarzen Anzüge, ihre schicken Sonnenbrillen. In Neuruppin wussten mehr und mehr Leute, womit die Bande eigentlich ihr Geld verdiente. Um mehr Beweise für ihre kriminellen Taten zu finden, setzte die Staatsanwaltschaft einen verdeckten Ermittler ein.

Ein wichtiger Wendepunkt stellte das Jahr 2003 dar, als Olaf Kamrath politisch aktiv wurde, sagt Frank Willmann:"Weil er der Meinung war, dass er als Neuruppiner Bürger eine Rolle spielen müsste beim Wiederaufbau der Stadt, ist er CDU-Mitglied geworden und hat sich dann auch ins Stadtparlament wählen lassen." Kamrath fiel als Mitglied im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt auf. So ist es jetzt im aktuellen Buch nachzulesen. Aus dem Drogengeschäft hatte er sich damals schon verabschiedet.

Die Vergangenheit holte ihn aber ein. 2004 wurden die Bandenmitglieder verhaftet, unter anderem wegen Kokainhandels, illegalem Glücksspiel, Erpressung und Betreiben eines Bordells. Nach Informationen des Brandenburger Landeskriminalamts sollten sie Kokain im Wert von 1,3 Millionen Euro umgesetzt haben.

Frank Willmann (Quelle: Olaf Kamrath)
Frank Willmann, Autor von "Der Pate von Neuruppin" | Bild: Olaf Kamrath

"Ja, ich bereue vieles"

Olaf Kamrath wurde letztlich zu zwölf Jahren Haft verurteilt, seine engsten Mitstreiter bekamen neun Jahre. Der Vorwurf der Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen mafia-ähnlichen Vereinigung konnte allerdings nicht bewiesen werden.

Neun Jahre lang saß der sogenannte "Pate von Neuruppin" im Gefängnis, studierte dort erfolgreich Immobilienwirtschaft. Er wohnt und arbeitet heute in Neuruppin. Nach Auskunft von Frank Willmann haben fast alle der ehemaligen Bandenmitglieder den Weg ins "normale Berufsleben zurückgefunden". Zwei von ihnen mussten nach ihrer Entlassung, nachdem sie erneut beim Drogenhandel erwischt wurden, wieder ins Gefängnis.

Die letzte Frage in dieser Geschichte geht an Olaf Kamrath: Bereut er seine Taten? "Ja, ich bereue vieles. Also, im Nachhinein guckt man auch auf einen anderen Menschen mit 'nem anderen Blickwinkel. Viele Sachen versteht man nicht, wie man das überhaupt so machen konnte."

"Der Pate von Neuruppin: Vom Imbisswagen zum Drogenimperium" von Frank Willmann, Erscheinungsdatum: 22. April 2023

Sendung: Antenne Brandenburg, 21.04.2023, 21:00 Uhr

Beitrag von Jörn Pissowotzki

13 Kommentare

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  1. 13.

    Der Willmann kennt nicht die "Subkulturen" in der ehemaligen BRD und die heutigen gesamtdeutschen wohl schon gar nicht. Wenn das so seine tägliche "Arbeit" ist bin ich informiert. Was man uns heute so alles zumutet ist schon kennzeichnend. Es gab eine Zeit, die viel normaler war.

  2. 12.

    Autokennzeichen mit XY kenne ich hier aus unmittelbarer Nähe. Ehemalige Sympathie ? Ich weiß es nicht. Aber noch nie weitere Fahrzeuge mit XY gesehen. Zu Immobilienhändlern habe ich übrigens keine gute Meinung. Arm ist übrigens keiner aber irgendwie anders. Mehr möchte ich mich nicht äußern.

  3. 11.

    Was für ein Quatsch! 12 Jahre Haft für "harmlose kleine Fische"?

    "Sie hatten Leute in der Stadt, die sie geschmiert haben." Oder mit Olaf Kamraths Worten: "Wir haben uns sicher gefühlt. Wir dachten eben: OK, uns kann keiner was." Denn die Bande hatte gute Verbindungen ins Neuruppiner Rathaus, genauer gesagt ins Amt für Liegenschaften sowie ins Ordnungsamt, und zur Polizei."

  4. 10.

    Ach ja, die Geschichte mit dem "Honig fließen und gebratenen Tauben im Westen", die kenne ich auch aus der CSSR. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs. wohin ich nach 20 Jahren wieder hinreisen durfte, auf Sritt und Tritt begegnete sie mir..
    Diese Vorstellung hat in meinem Heimatland nicht lange angehalten, nach ein paar Jahren begriffen die Menschen, dass der Westen kein "Schlaraffenland" ist.

  5. 9.

    "Es gab die große Ansage von Kohl über die blühenden Landschaften. Aber, dass das mit Mühen zu tun hat, und dass man dazu eigentlich auch Geld braucht, das hat ihnen Kohl nicht erzählt, und das war für viele Ossis schwierig."

    Ja, ziemlich flappsige Aussage. Lässt eindeutig keinen Spielraum.

  6. 8.

    Nein, dem Text ist nicht zu entnehmen, dass alle Ossis so dachten. Unabhängig davon, was Sie da hinein interpretieren, dachte kein Ossi so. Noch nicht einmal der Zitierte. Dass das eine im Nachhinein formulierte flapsige Bemerkung ist, kam Ihnen nicht in den Sinn?

  7. 7.

    "Die Ossis" sollen so gedacht haben? "
    Kann ich dem Text ja nicht anders entnehmen,
    wenn man das Gelaber der damaligen Regierung geglaubt hat.
    Der Held der Geschichte hat es so oder so ähnlich ja selbst geschrieben.
    Ich hab's nur in zeitgemäße Satire verpackt. Sie haben es ja verstanden und sofort mit Döpfner-Sprech eingeordnet.

  8. 6.

    Ich glaube, die Überrumpelung kam für alle, also beide Ex-Länder. Und nur für sehr wenige gut so, wies leif. Halte vieles, was so abwertend daherkommt, für innere Abwehr und sich nicht damit befassen wollen.

  9. 5.

    Erinnert mich an Döpfnersprech "wenn man denkt die Hähnchen fallen gebraten vom Himmel und warme Milch mit Honig läuft die Wände runter." "Die Ossis" sollen so gedacht haben? Und nicht von der Wand zur Tapete denken können? Hm.

    In der "abgewickelten" DDR lebten und leben Menschen, deren Heimat hier ist, die diese selbst gestalten wollten und nicht – bis heute – als Niedriglohnzone mit Armutsrenten vegetieren will.

    Kohl & Co. kamen "top-down" über das Gebiet und die Menschen herab. Setzten ihre West-Beamten und Manager ein, verkauften für 1 DM an "Investoren".

    Die Menschen vor Ort hatten kaum etwas zu sagen, schon gar nicht zu gestalten.
    Heute kommen ähnliche Strukturen wieder – und die "Bürgerwehr".

    Blühende Landschaften, eine soziale, die Erde und das Leben schützende Politik ist das bis heute nicht, nur das sich immer schneller drehende Rad, das fast jeder erleben kann.


  10. 4.

    Damals... waren wir echt überrascht, weil wir die sogenannten Ossis ja für zu "dumm", also eigentlich unerfahren und ungelernte, für derartige Straftaten hielten. Den Imbisswagen, OK, aber sowas? Drogen - im Osten? Schnell gelernt...

    Die ganze Dramatik dahinter kommt einem erst jetzt, rückschauend, hoch. Das Verunglimpfen als "zu dusselig für Kriminalität", aber auch die völlige Halt- und Richtungslosigkeit der überrumpelten Bevölkerung, die Werbeversprechen von Kohl, die bittere Wahrheit..

    Ein (unverzügliches) Drama.

  11. 3.

    "...und dass man dazu eigentlich auch Geld braucht, das hat ihnen Kohl nicht erzählt."
    Kommt man ja auch nicht von selbst drauf, wenn man denkt die Hähnchen fallen gebraten vom Himmel und warme Milch mit Honig läuft die Wände runter.
    Ob dieses Buch hilft, Verständnis zu entwickeln für die spezielle Situation, in der sich viele ehemalige DDR-Bürger damals befanden?
    Gut ist schonmal, dass er seinen Irrtum inzwischen eingesehen hat.
    Daran müssen andere noch arbeiten.

  12. 2.

    "Frank Willmann traf sich mit Olaf Kamrath und sein Interesse war geweckt: "Ich hab so ein bisschen ein Herz für Außenseiter. Gestörte Leute, die ein bisschen neben dem Strich laufen, und habe mich deshalb schon mit diversen Subkulturen der DDR beschäftigt: Punkrock, Fußball-Hooligans, Fußball."

    Arogante Scheisse! Schreibt das Buch um sich wichtig zu finden. Ansonsten nur Dorfgeschichte

  13. 1.

    Das waren doch harmlose kleine Fische. Kein Vergleich mit den Herrschaften in Berlin. Aber die Gerichte konnten sich hier ohne Angst um ihre Familien mal so richtig austoben!

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